Auszeit mit Tine. Bernhard Spring
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Auszeit mit Tine - Bernhard Spring страница 7
„Guck mal“, deute ich überrascht die Straße runter. „Der Junge!“
„Was für ein Junge?“, fragt Tine, die ja eh grad nur Augen für den Hund hat. Ich aber bin völlig durch den Wind. „Das ist der Junge, den ich heute im Wald gesehen habe.“
Herr Riemer kneift die Augen zusammen. „Das ist vom alten Schäfer Kanitz der Enkel. Michael Kanitz. Hat es auch nicht leicht.“
Das will ich genauer wissen, aber Herr Riemer winkt nur ab. „Das ist wieder eine ganz andere Geschichte“, sagt er und ist bald am Ende seines Rundgangs angelangt. Wir stehen vor seinem Haus. „Wenn Sie mal wirklich was von der Natur sehen wollen, dann können Sie ja mal mit auf meinen Hochstand kommen“, lädt er uns zum Abschied ein. „Wenn man Glück hat und Susi die Schnauze hält, ist das eine ganz schöne Sache.“
Tine ist gleich hellauf begeistert, schon allein, weil sie so das Hundchen noch mal wiedersehen kann, von dem sie gar nicht mehr loskommt. Wir sagen also zu. „Am nächsten Freitag wäre gut, treffen wir uns vorn an der Weggablung, so gegen zehn.“
Damit ist es abgemacht. Der alte Mann stellt sich ordnungsgemäß an sein Gartentor und winkt uns nach. Und wir drehen uns immer mal um und winken zurück, bis die Hauptstraße einen Bogen macht und wir uns aus den Augen verlieren.
Tine ist ganz vergnügt, weil wir uns so gut unterhalten haben, die Mädchen für sich und die Männer für sich. Und fragt mich immer wieder, ob ich nicht auch die Susi anstandslos toll fände. Und ob ich mir gemerkt hätte, wann und wo wir uns am Freitag treffen. Und was wir wohl mitbringen sollten? „Bestimmt keinen Wein, den mag er ganz sicher nicht, oder?“ Ja, lieber oder. Wir haben ja noch Zeit für andere Ideen.
Ich klettere noch einmal auf einen der Kirschbäume, um die Versorgung für unsere Rückreise zu sichern, und dann laufen wir zwischen dem Getreide entlang.
„So nachdenklich, Kindchen?“, meint Tine in unser Schweigen hinein.
„Mir geht der Junge nicht aus dem Kopf“, gestehe ich. „Was wohl mit dem los ist? Herr Riemer hat so komisch getan.“
„Ach ja?“, macht sie halb zärtlich, halb voll bitterer Ironie. „Dir geht der Junge nicht aus dem Kopf?“
„Na ja“, gebe ich zu, „irgendwie interessiert mich das.“
„Da weiß ich aber, wie wir dir helfen können“, sagt sie mit einem plötzlichen Elan und spaziert schnurstracks mit ihren Schlappen vom Weg ab. „Komm!“, ruft sie und schon tauchen wir in ein gelbes Meer aus haarigen Halmen, haben die Decke unter uns gelegt und sind im Korn verschwunden. Nur die Sonne sieht uns hier und brennt ihre Initialen auf unsere Haut. Nach einer halben Stunde müssen wir da weg, weil es unerträglich wird. Aber spannend war es trotzdem. Oder gerade deswegen. Wir müssen ja noch so viel erleben, und wenn wir unsere Wunschlisten miteinander vergleichen, wissen wir manchmal nicht, ob wir das alles zeitlich schaffen in unserem einen Leben. Wie gut, dass wir uns schon so jung gefunden haben!
SIEBENTES KAPITEL
Nach dem Baden und dem Abendbrot greift Tine in das kleine Bücherregal im Wohnzimmer und fischt eine alte Schwarte hervor. Dann wachsen wir uns unterm Dach zwei Kerzen auf einen Teller und ziehen die leeren Deckenbezüge über die Unterwäsche. Lesestunde ist angesagt. Tine will darüber zum Einschlafen kommen, weil sie eigentlich noch nicht richtig müde ist, aber Böll macht uns mit seinen Ansichten eines Clowns ganz traurig und deprimiert. „Ich dachte, da geht es um einen Zirkus oder so“, sagt Tine enttäuscht und legt das Buch schon nach der zweiten Seite wieder beiseite.
Da dümpeln wir nun also im Dachboden auf drei Matratzen verteilt rum, sind jung und frisch gebadet und könnten eigentlich zufrieden sein, aber uns liegt da leider diese halbe Liebesgeschichte vom ollen Böll im Magen. Und wie geht das mit uns mal weiter, lautet die böse Frage, die plötzlich unausgesprochen im Raum steht.
Und dabei hatten wir uns so fest vorgenommen, nur in ganz besonderen Ausnahmen an die Zukunft zu denken! Weil sie ja sowieso von ganz alleine kommt, egal, was wir über sie denken. Also wollen wir in den Tag hinein leben und uns keine Gedanken um uns machen, besonders nicht im Urlaub.
Das ist aber nicht immer leicht, gerade am Abend, wenn da so viel zwischen uns ist, dass es doch irgendwie mal gesagt werden muss, auch wenn uns die Worte dafür fehlen. Nur dass es etwas Großes ist, das wissen wir ganz bestimmt. Und dass es manchmal wehtut, auch weil es so groß und bedeutend ist. Wenn dann noch Bölls schwere Geschichte kommt, können wir gar nicht anders, als durch das dünne Tuch, das die Mücken fernhalten soll, über den Balkon und zum Mond hin verträumt zu gucken. Und dann fragen wir doch heimlich die Zukunft, was sie mit uns beiden vorhat, und wir bekommen ein bisschen Angst, weil sie nicht antwortet.
Die Stimmung kippelt bedenklich und ich kann mich nicht aufraffen, mich aufzuraffen. Da kitzelt mich Tine zum Glück in die Seite und ich muss wegzucken, wenn es stubenrein bleiben soll. Ich kitzle zurück, wir stänkern und zucken herum und lachen und da erwische ich den Kerzenteller mit dem Fuß. Tine schreit spitz auf, ich beuge mich über die züngelnden Flammen, puste kurz und wir sind in Sicherheit und im Dunkeln.
„Erst haust du die Kerzen um und dann löscht du den Flächenbrand“, stellt Tine verwundert fest. „Kindchen, Kindchen, da weiß ich jetzt vor Schreck gar nicht, ob ich dich loben oder in die Ecke stellen soll.“
„Ist ja nur ein kleiner Sachschaden“, beruhige ich sie und knauple mir das Wachs von den Fingern.
„Hm“, macht sie und ich höre, wie sie sich unter der Decke zurechtlegt. Langsam gewöhnen sich meine Augen an die halbdunkle Bude.
„Auf jeden Fall bin ich jetzt wieder hellwach“, sagt sie nach einer Weile. Ich nicke gedankenversunken vor mich hin. Da fällt mir der Haufen Holzspäne ein, den ich am Mittag zusammengekehrt habe. Das Lagerfeuer!
„Du bist wo n bissl verrückt?“, fragt Tine ungläubig. „Hatten wir nicht grad eben Brand genug?“ Aber ein Stückchen will sie es schon wahrhaben.
„Komm“, bitte ich sie mit Hundeblick im Dunkeln und schmuse mich an sie heran, „wir können auch Brot rösten und was singen.“ Tine rappelt sich auf und ist gewonnen. „Na gut“, erklärt sie sich bereit. „Dann machen wir aber gleich richtig durch. Und ohne Singen, sonst verlass ich dich.“
Während sich Tine einen Pullover aus dem Klamottenberg sucht, bin ich schon auf der Terrasse und schichte eine hölzerne Pyramide zusammen. Nach dem kleinen Vorfall am Bett besteht Tine auf einen Eimer Regenwasser in der Nähe. Und weil ihr der Schreck doch noch ein bisschen in den Gliedern steckt, suche ich zur Sicherheit noch ein paar Sandsteine zusammen, die ich um das Holz kränze. „Nun reicht’s aber!“, befehle ich und Tine nickt demütig. Und rückt sogar ganz bereitwillig ihr Magazin raus, das nun als Feueranzünder herhalten muss. „Aber nicht die Seite mit den Sudokus“, sagt sie nur, „die hab ich noch nicht gemacht.“
Aber Tines entgleiste Bekannte taugen nicht zum Verfeuern. Die beschichteten Seiten vom Magazin kräuseln sich zusammen, die Flamme ist zu schwach. Ich denke an Böll, der bestimmt gut Zunder macht. Aber wir dürfen doch nicht jemand so Trauriges auch noch verheizen. Während ich noch etwas nachdenklich in der Landschaft stehe, wird Tine langsam ungeduldig. „Mach doch keene Wissenschaft draus,