Auszeit mit Tine. Bernhard Spring

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Auszeit mit Tine - Bernhard Spring

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– und? Dann stell dich doch nicht so an.“

      Also stell ich mich ab und eigentlich hat sie ja auch recht. Suche also etwas Laub zusammen, kokle ein bisschen vor mich hin und kurz darauf brennt die Terrasse kontrolliert ab. Tine legt ein paar Decken vor dem Haus aus, mummelt uns ein und dann gibt’s Wein und Röstschnitte am Spieß. Wir starren in die Flammen und bechern dabei, und flascheln schließlich. Tines Küsse schmecken erst nach lieblichem Dornfelder, dann nach irgendwas Fruchtigem aus Moldawien. Das Etikett kann ja kein Mensch entziffern, aber darauf kommt es ja auch nicht an.

      Dann, als der Mond immer mal halbwegs von langsam vorbeiziehenden Wolken verdeckt wird, kommt die Zeit der Gruselgeschichten. Bei Tine geht es um sehr viel Dunkelheit und wenig Rettung, ich verlaufe junge Mädchen im Wald und böse Männer mit aufblitzenden Messern stechen immer daneben, um es spannender zu machen. Zum Schluss bin ich mir ganz sicher, dass so ein Dunkelmann oben in unserem Schuppen wohnt, und beschließe, demnächst dort mal nachzusehen. Tine lacht sich Mut an, auch über meine dämlichen Witze, und trinkt fleißig weiter. Den Frühburgunder macht sie fast im Alleingang nieder, als ich Holz nachlegen bin. Und dann ist sie so in Schwung geraten, dass sie gleich noch eine Flasche namens André entkorkt.

      Das Brot knackt zwischen unseren Zähnen und krümelt uns unter die Deckendekolletés. „Trocken Brot macht Wangen rot“, kichert Tine albern in sich hinein. Und dann singen wir doch noch ein bisschen. Bob Dylan sitzt zwischen uns und hat auch Carole King mitgebracht, schade, dass ich nicht Gitarre kann. Wir singen mit halblauter Stimme, legen Scheit um Scheit nach, und wenn mal einer pinkeln muss, schwankt er verdächtig in die Nacht.

      Irgendwann können wir nicht mehr singen, weil unsere Kehlen schlapp sind und uns die Texte ausgehen. Wir sacken zusammen wie zwei alte Indianer auf Nachtschicht. Fehlen nur noch die Pferde auf der Koppel und ein Little Bighorn im Hintergrund. Das Feuer prasselt vor sich hin, wird immer kleiner und kleiner und die Augen werden mir schwer. Wir lehnen nicht mehr aneinander, sondern sind zur Seite gerutscht, bis wir gemütlich zwischen Haus und Feuer liegen. Starren aus halboffenen Augen in die rote Glut und irgendwie glaube ich nicht, dass wir den Sonnenaufgang noch sehen werden.

      Der nächste Morgen weckte uns viel zu früh mit seiner bissigen Kälte. Fröstelnd schlichen wir in das Wohnzimmer und machten uns am Ofen zu schaffen, um uns aufzuwärmen. Aber das half auch nicht viel, einschlafen konnten wir eh nicht noch einmal, es war schon zu hell.

      „Junge, Junge“, murrte Tine mit zerstörter Miene, „du säufst ja schon für zwei.“

      „Vorsicht“, knurrte ich müde in nicht besserer Stimmung. „In meinen Bauch passen definitiv höchstens zwei Flaschen Wein.“

      „Deswegen ist dir die dritte Flasche auch zu Kopf gestiegen, Kindchen!“

      Ein unschlagbares Argument.

      Wir fühlten uns beide etwas verkatert, und weil wir mit so einem Haustier nicht unbedingt hinaus in die viel zu grelle Sonne wollten, blieben wir im Wohnzimmer liegen, wo wir uns träge umhersuhlten und unsere Kopfschmerzen bedauerten. Ab und an maulte Tine was und bekam eine ebenso gemaulte Antwort zurück, dann gab ein Wort das andere, es folgte ein kleiner Tritt oder ein Rest Röstbrot flog durchs Zimmer und dann war wieder Ruhe für eine Weile.

      Tine bilderte durch ihr Magazin und sah ziemlich angegriffen aus. Wildes Haar, verschlafene Augen und eine gelangweilt salzstangenkauende Backe. Ich hatte dem Böll eine zweite Chance gegeben, weil die anderen Bücher im Regal so aussahen, als könnte man sich von ihren Einbänden eine sehr gefährliche Hautkrankheit holen. Und irgendwie passte sein deprimierendes Buch ganz gut zu meinem deprimierenden Zustand.

      So regenerierten wir ganz vorsichtig durch den Vormittag, zwängten uns zum Mittag Nudeln rein und trauten uns dann mit dem Nachtisch, Kirschen vom Vortag, sogar wieder auf die Terrasse. Dort lagen noch die Weinflaschen, die Decken und vor allem die Reste des Lagerfeuers breit verstreut.

      „Wer räumt das auf?“, wagte ich mich uns zu fragen.

      „Keine Ahnung“, gestand Tine. „Ich hab jedenfalls Urlaub.“

      „Ich auch!“, protestierte ich. Wir sahen uns an und mussten lachen.

      „Komm, wir gehen in den Wald, Pilze pflücken“, schlug Tine vor. „Vielleicht findet sich ja inzwischen ein liebes Mainzelmännchen, das sich unser erbarmt.“

      Damit war ich sofort einverstanden, denn auch wenn ich Tines Hoffnung nicht so ganz teilen konnte, dürfte die Terrasse in der späteren Dämmerung einen etwas ästhetischeren Eindruck machen als jetzt, so grell ausgeleuchtet. Dann könnte ich mich auch schon viel eher mit ihr auseinandersetzen.

      Jetzt aber ging es in den Wald! Also schlenderten wir sehr gemächlich durch das Gartentor hinaus, mit nichts als etwas Wasser medium und einem Korb bewaffnet, auf den nahen Wald zu. In dem hohen Gras war ich so leichtsinnig, zum ersten Mal über Zecken zu sprechen – dabei war Tine noch längst nicht wieder auf der Höhe. „Kannst du mit solchen Hiobsbotschaften nicht warten, bis ich gesund bin?“, fragte sie vorwurfsvoll und bis weit über den Waldrand hinaus konnte sich Tine nicht von der Sorge um ihre Gehirnhaut trennen, die sie nun durch diese beißwütigen Tierchen bedroht sah. Ich verlagerte meine Hand von ihrer Hand auf ihre Taille. Das half meistens ein bisschen und auch jetzt wurde Tine etwas ruhiger. Sie versuchte, ihren Kopf an mich zu lehnen, was nicht ganz klappte, weil wir unterschiedlich groß sind und jeder mit seinen Füßen anders wippt. Also nicht.

      „Hoffentlich finden wir auch ein paar, jetzt wo ich mir so einen Appetit drauf gedacht habe“, meinte Tine und war endlich bei der Pilzjagd angekommen. Aber sosehr sie auch suchte, zwischen den Bäumen waren nur Erde, etwas Laub und Rindenbrocken zu finden, sonst nichts. Ausgepilzt. Missmutig stapfte Tine über die herausragenden Wurzeln. Es war aber auch wirklich nichts zu machen! Kaum rückten die Bäume etwas enger zusammen, sodass der Boden unterbelichtet und feucht war, huschten sie ein paar Meter weiter auch schon wieder auseinander und ließen die Sonne den Boden beheizen. Dann lief der Wald in eine wilde Wiese aus, die noch nie von einem Schaf beknabbert worden war, und setzte im Hintergrund schon wieder zu einem neuen Waldstück an. „Vielleicht ist ja heute gar nicht die Zeit für Pilze“, vermutete ich nach einer halben Stunde Querfeldeinwanderung, die mir wie ein halbes Semester erschien. Tine war sich zwar nicht so sicher, gab aber die Hoffnung noch lange nicht auf. Nach den enttäuschenden Wäldchen wollte sie nun die Wiesen näher untersuchen. Also stolzierte sie wie ein Storch durch die Halme, um nichts zu zertreten, was bei näherer Betrachtung gar nicht da war. Tine ließ sich trotzdem nicht unterkriegen. „Ich finde ein paar, verlass dich drauf!“, rief sie mir zu, ohne von dem Grün aufzusehen. „Weißt du übrigens, dass es viel mehr essbare als giftige Pilze gibt?“, fragte sie mich. „Das hab ich mal in einer Reportage gesehen.“ Ich kämmte mit einem Stock das Gras durch und unterstützte Tines Suche nach besten Kräften. Doch außer einem Frosch, der mich ebenso erschreckte wie ich ihn, entdeckte ich nichts. „Aber wenn du einen giftigen mit im Topf hast, hilft es dir nicht viel, dass er einer Minderheit angehört“, feixte ich zu Tine rüber. Sie sah auf und steckte die Fäuste in die Hüfte. „Na hör mal! Dass du immer so pessimistisch sein musst! Du kennst dich doch mit Pilzen aus, oder?“ Ich verneinte. „Du wirst doch wohl nen ganz gewöhnlichen Wiesenchampignon von irgendwelchen bösen Giftpilzen unterscheiden können, Kindchen! An den Lamellen unter dem Kopf?“ Ich grinste sie nur ahnungslos an.

      „Reicht ja, wenn einer von uns beiden Bescheid weiß“, erlaubte ich mir zu sagen. Da musste Tine lachen. „Wenn es nur mal so wäre! Ich dachte, du …“

      Ach, diese lückenhaften Bildungslücken! Wie würden wir nur in freier Wildbahn überleben. Wahrscheinlich müssten wir uns gegenseitig

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