Auszeit mit Tine. Bernhard Spring

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Auszeit mit Tine - Bernhard Spring

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Grün der Natur wurde nur von einer blauen Schäferhütte aufgelockert, die immer verfallener aussah, je näher sie uns kam. Als sie nur noch ein paar Meter entfernt war, erkannten wir, dass sie nicht einmal ein Dach besaß. Kein Weg war bis hierher getrampelt worden, weder vom Tal aus noch vom Hügel hinunter. Die vier Wände, von denen der Anstrich blätterte, standen wie ein Gerippe zwischen dem Gras und Tine, die neugierig durch das Fensterloch blickte.

      „Und, was ist drin?“, fragte ich.

      „Das Dach“, berichtete Tine. „Findest du das nicht auch äußerst romantisch?“

      Ich sah sie fragend an, aber sie sprudelte schon los. „So eine verfallene Hütte, mitten in der Landschaft. Kein Mensch weit und breit, keine Tür, kein Schloss. Hat sich hier in grauer Vorzeit ein einsamer Schäfer erhängt? Trifft sich hier heimlich ein Liebespaar? Oder ist es ein unscheinbares Räubernest? Da kommen doch gleich Hunderte Geschichten hoch! Kennst du Huckleberry Finn?“

      Ich wollte schon weitergehen, da schlug Tine vor, genau hier, vor dieser Kulisse des Verfalls, eine Pause zu machen, um dieses „rustikale Ambiente“, wie sie es nannte, noch ein bisschen auf uns wirken zu lassen. Dafür würde sie sich sogar in das Zeckengras setzen, schwor sie mir hoch und heilig. Ganz ohne Decke und mit richtig viel Elan. Ich hatte nichts dagegen, warum auch nicht? Und eigentlich, musste ich so für mich zugeben, hatte die Hütte wirklich ihren bestimmten Charme. Vielleicht könnten wir ja das nächste Liebespaar sein, das sich hier heimlich zum Schäferstündchen traf …

      Aber dann war ich doch der Einzige, der vor der Bruchbude wirklich zu Boden ging, denn Tine hatte die kleinen, roten Punkte in den umliegenden Büschen entdeckt und war mit einem freudig gejauchzten „Himbeeren!“ auf das Gestrüpp losgetanzt, das sie nun wie eine steinzeitliche Sammlerin fleißig abgraste. Vergessen Romantik und Hirtengesang, Liebelei und Heimlichkeit. Mein Mädchen war auf Beutezug und ich durfte Däumchen drehen.

      Da zuckte sie plötzlich zusammen und blieb stehen. „Ups!“, sagte sie nur und kam kichernd zu mir zurückgehopst. „Da sind zwei im Gebüsch“, flüsterte sie mir ins Ohr. „Ich glaube, die wollten grade du-weißt-schon-was machen.“

      Ich sah abwechselnd Tine und das genannte Grünzeug verwundert an und wusste nicht, ob sie mich da gerade veralberte. Denn da war nichts außer grün. Sie amüsierte sich ganz unverhohlen prächtig über die unklare Situation und anscheinend auch speziell über meinen belämmerten Gesichtsausdruck. „Glaubste nich?“, fragte sie schalkhaft. „Dann geh doch da ma bei die Himbeern.“

      Doch das war nicht mehr nötig, denn in diesem Moment kamen tatsächlich zwei Leute aus dem Gebüsch, in geduckter Haltung und zumindest die Frau mit roten Wangen.

      „Ihr habt uns ja schön erschreckt!“, meinte der Mann, der vorangegangen war, und grinste sich einen ab. „Gleichfalls“, entgegnete Tine frech. Ich sagte nur: „Mich nicht.“ Der Kerl sah mich verdutzt an und grinste dann schon wieder extrabreit. Tine gab mir einen Klaps. „Lasst mal, das ist ein Studierter. Der erzählt dauernd so komische Sachen.“ Darauf lachten die beiden und erklärten, dass sie ebenfalls studieren würden. Sie, das waren Hannes und Claudia. Sie gehörten zu einer Rudergruppe der Schiller-Universität in Jena, die an der Unstrut zwecks Paddelurlaubs zeltlagerte. Sie studierte interkulturelle Medienwissenschaften und er Sozialpädagogik. Und das alles erfuhren wir in weniger als zwei Minuten und ohne jede Nachfragen. Es war unglaublich! Sie plapperten wie zwei Wasserfälle und das alles nur, um nicht zu dem komischen Zusammentreffen noch ein peinliches Schweigen kommen zu lassen. Ich sah Tines Augenbrauen amüsiert nach oben rutschen – ich wusste genau, was sie in diesem Moment dachte: Ich armes Mädchen allein mit drei Bekloppten von der Uni.

      Und bei dem Gedanken schlenderte auch mir ein genüssliches Lächeln über die Lippen.

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