Dattans Erbe. Nancy Aris

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Dattans Erbe - Nancy Aris

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uns bei Wolodja angekündigt, aber vorher erzählen Sie mir noch, was Sie hier machen. Das hatten wir das letzte Mal vergessen.“

      Mir hatte es die Sprache verschlagen und ich musste mich kurz sammeln. Dann erzählte ich Tatjana vom Archiv, vom alten Bornecker und seinem Großvater und von dem Tagebuch, nach dem ich suchte. Sie saß wie gebannt vor mir, sagte kein Wort, sondern schenkte ab und zu Tee nach. Als ich mit meinem Monolog fertig war, brach es aus ihr heraus.

      „Das hört sich ja an wie aus einem Abenteuerroman – diese Verschwörungsgeschichte, die Verbannung, dann die einzelnen Tagebuchteile. Wer sollte das denn auseinandergerissen haben? Da stimmt doch irgendetwas nicht. Wer weiß, was auf den fehlenden Seiten stand … Entweder etwas ganz Persönliches – vielleicht Briefe an eine heimliche Geliebte – oder ein Familiengeheimnis. Vielleicht auch etwas, das das Geschäft betraf, etwas, das nie in die Öffentlichkeit hätte gelangen dürfen. Eine Erfindung? Eine mysteriöse Krankheit? Spionage? Das ist ja wie in einem Krimi. Und das hier, hier in Wladiwostok, in unserer langweiligen Stadt.“

      Ich dachte so vor mich hin, dass Geschichte fast immer wie ein Krimi war. Man musste nur eintauchen und schon taten sich ungeahnte Abgründe auf. Das tatsächlich Geschehene wirkte oft viel unglaubwürdiger und spektakulärer als das, was Romanautoren so zu Papier brachten. Würde die Realität sich nicht ständig durch ihre einfache Existenz selbst vergewissern, wir hielten sie für ausgedacht. Ich hatte aufgehört, mich darüber zu wundern. Stattdessen hatte ich mir angewöhnt, der Realität zu misstrauen und alles um mich herum als großen Roman zu betrachten. Man musste nur den Überblick behalten.

      „Ja, mal sehen, was ich rausbekomme, in Ihrer langweiligen Stadt. Ich finde sie übrigens gar nicht so langweilig, muss mich nur etwas orientieren. Da prasselt gerade eine ganze Menge auf mich ein. Wollen wir gleich einmal zu Wolodja gehen? Wie heißt er denn richtig? Ich kann ja schlecht Wolodja zu ihm sagen.“

      Tatjana winkte ab.

      „Aber natürlich, alle sagen Wolodja. Ich kenne nicht einmal seinen Vatersnamen. Vielleicht Wladimir Sergejewitsch? Ich weiß es nicht. Aber bei der Gelegenheit – wollen wir nicht zum Du wechseln? Ich habe Ihnen, habe dir so viele private Dinge erzählt … da wäre es komisch, beim Sie zu bleiben.“

      Tatjana zog ihre Strickjacke über und dann gingen wir in den Keller. Vielleicht war es eher Souterrain, denn es kam noch etwas Tageslicht in die Räume. Wir arbeiteten uns durchs Labyrinth. Ganz hinten hörte man leise Klaviermusik. Das war also die Schatzkammer. Wolodja saß im Trainingsanzug in einem Sessel und las in einer Illustrierten. Ich hatte ihn mir ganz anders vorgestellt, irgendwie geheimnisvoller. Als er uns hörte, sprang er aus dem Sessel und schloss Tatjana in seine Arme. Auch Wolodja sah blass aus, wahrscheinlich saß er den ganzen Tag in dem Kabuff hier unten. Mit dem Aufzug konnte er auch unmöglich auf die Straße, denn der Sportanzug sah aus, als ob er dreißig Jahre alt war, verschlissen und ausgebeult, auf jeden Fall ein altes sowjetisches Modell. Dazu trug er karierte Filzpantoffeln. Dass es so etwas noch gab … Er war ein typischer Rentner um die siebzig, eine gut konservierte Sowjetausgabe.

      „Tanja – da ist ja meine Sonne. Na endlich. Fast zwei Wochen hast du dich nicht blicken lassen und den guten alten Wolodja allein hier sitzen lassen. Muss erst hoher Besuch aus Deutschland kommen, damit du dich an mich alten Zausel erinnerst?“

      Tatjana schaute etwas betreten zur Seite. Da musste ich ihr wohl aus der Patsche helfen. „Ich bin doch kein hoher Besuch. Tatjana hat in höchsten Tönen von Ihnen geschwärmt. Ich bin Anna. Seit gestern wohne ich bei Ihnen schräg gegenüber.“

      Tatjana stellte einen Teller mit drei Pasteten auf den Tisch.

      „Jaja, schon gut, meine Tanja weiß ja, dass ich ihr ohnehin nichts übel nehmen kann.“ Dann trottete er los und sagte halblaut vor sich hin: „Und ihr braucht also Möbel. Na dann wollen wir mal sehen, was der gute alte Wolodja noch so auf Lager hat.“

      Er schloss einen Raum auf und wir standen inmitten von Regalen, Tischen und Schränken. Hier hätte man eine Sozialgeschichte des sowjetischen Wohnens abfassen können. Wolodja meinte, dass wir uns ruhig Zeit lassen sollen. Auch wegen des Hochschleppens sollten wir uns keine Gedanken machen, er könne ein paar Studenten dafür in die Pflicht nehmen. Dann schlurfte er wieder zu seinem Sessel. Ich hatte ohnehin nur das eine Zimmer. Zu viele Dinge konnte ich nicht mitnehmen. Die Wahl war deshalb schnell getroffen. Ich entdeckte einen akzeptablen Couchtisch, eine kleine Kommode, ein Bücherregal, einen Nachttisch und einen schmalen Kleiderschrank. Alles stammte aus den 1970ern, hässliche Furniermöbel, die ich mir zu Hause nie hinstellen würde. Ich hatte vor, sie anzustreichen. Irgendein warmer Farbton. Das würde passen. Dann riefen wir Wolodja und ich zeigte ihm meine Ausbeute.

      „Wenn ich diese Dinge hier haben dürfte … Ich will nicht ausverschämt sein, aber wenn Sie vielleicht noch einen Teppich hätten, wäre das großartig. Der PVC-Belag in meinem Zimmer hat schon bessere Zeiten gesehen.“

      Wolodja nickte und setzte seine Tour fort. „Kommen Sie mit, junge Dame. Hier hinten finden Sie alles aus Stoff. Ich habe hier einen kleinen Raum, der komplett trocken ist. So schimmelt nichts. Kommen Sie, schauen Sie mal: Gardinen, Decken, Kissen und auch Teppiche.

      Und dort hinten“, er zeigte auf einen Nachbarraum, „finden Sie allen restlichen Kleinkram: Dinge für die Küche, Töpfe, Geschirr, Kleiderhaken, Spiegel, alles, was man braucht und nie hat.“ Wolodja lachte selbst über seine Sammelwut.

      „Ja, es ist kaum zu glauben, was sich über die Jahre ansammelt, dabei holen sich die Studenten schon mal ab und an was bei mir. Aber schauen Sie – das alles hätten die Leute weggeschmissen. Das ist also die neue Zeit. Die Leute wissen einfach nichts mehr zu schätzen. Ihre Eltern haben ein ganzes Leben für solch eine Schrankwand gespart, aber auf einmal kann alles weg, weil es nicht mehr modern ist.“

      Wenn ich ehrlich war, fand ich dieses Sammelsurium abgestoßener Möbel auch nicht sonderlich attraktiv. Aber auch ich tat mich schwer, Dinge, die noch funktionierten, wegzuschmeißen. Ich fand es rührend, dass sich jemand darum kümmerte und denen half, die nichts hatten. Immerhin war es besser als nichts. Für mich war es ideal. Was sollte ich mir für die kurze Zeit Möbel anschaffen?

      „Ich finde es wirklich toll, dass Sie sich darum kümmern, Wolodja. So jemanden bräuchte man in jedem Haus. Wie kann ich mich erkenntlich zeigen? Was wollen Sie dafür denn haben?“

      Wolodja lächelte und trottete wieder zu seinem Sessel zurück. Er setzte sich und zögerte einen Moment. „Wissen Sie, ich brauche kein Geld. Auch wenn ich nicht viel habe, komme ich damit gut aus. Aber ich bin alt und viel allein. Gescheit kochen kann ich auch nicht.“

      Dann stockte er. Offenbar war es ihm peinlich, etwas zu erbitten. Tatjana durchbrach die Stille.

      „Nun sag schon. Genier dich nicht. Wir alle wissen, dass du ein Leckermaul bist.“

      Wolodja schüttelte den Kopf und hob mahnend seine Hand.

      „Nun aber halblang. Naja, wahrscheinlich hast du nicht ganz Unrecht. Also … Ich war mal in der DDR, habe dort auf der Werft gearbeitet. Und ich kann mich daran erinnern, dass es in der Kantine immer Suppe gab. Aber die war viel dicker als bei uns, so richtig nahrhaft und mit viel Fleisch drin. Die Deutschen aßen das als Hauptgericht.

      Ich habe in Erinnerung, dass sie nicht Suppe dazu sagten, sondern ,In einem Topf‘. Das hat mir damals sehr gut geschmeckt. Wenn Sie das auch können, dann laden Sie mich doch einmal zu ,In einem Topf‘ ein. Geld brauche ich nicht.“

      Ich musste lachen. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ich

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