Dattans Erbe. Nancy Aris

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Dattans Erbe - Nancy Aris страница 14

Dattans Erbe - Nancy Aris

Скачать книгу

bekommen, Nadezhda hatte mich indirekt vor den Nachbarn gewarnt und ich war nicht Olga. Aber was sollte mir eine Frau mit solch zarter Stimme schon antun? Leider hatte ich keinen Spion. Egal, ich schloss auf. Vor mir stand eine zierliche Frau um die dreißig. Sie sah blass und kränklich aus, fast ein bisschen abgemagert. Ihre krumme Haltung ließ sie älter wirken. Sie war in eine dicke Strickjacke gewickelt, die ihr eindeutig zu groß war. Darunter kam eine graue Jogging-Hose zum Vorschein. Die Haare trug sie kurz, einfach abgeschnitten, ohne erkennbare Frisur. Ihr Äußeres entsprach nicht dem Standard der sonst eher schicken und rausgeputzten Russinnen.

      „Ach, Sie sind ja gar nicht Olga. Wie schade. Ich hatte die Sluchina unten gesehen und gehofft, dass sich alles wieder eingerenkt hätte.“

      Eingerenkt? Die Sluchina? Marina hatte in ihrem Brief angedeutet, dass die Vormieterin lange hier gewohnt hatte und unerwartet ausgezogen war. Das Zimmer sah dementsprechend aus. Aber was hatte das „eingerenkt“ zu bedeuten? Vor mir stand eine verzweifelt wirkende Frau, der ich gerade eine Hoffnung genommen hatte. Bei meinem Anblick wurde sie gleich noch krummer.

      „Entschuldigen Sie, ich möchte Sie nicht belästigen. Es ist nur so, dass wir gute Freundinnen sind. Plötzlich war Olga weg. Seitdem habe ich nichts mehr von ihr gehört. Ich mache mir einfach Sorgen. Und als die Sluchina, also ich meine Nadezhda Walentinowna, mir über den Weg lief, hatte ich gehofft, alles wäre wieder beim Alten. Aber entschuldigen Sie, ich habe mich ja nicht einmal vorgestellt. Ich heiße Tatjana, Tatjana Petrowna.“

      Sie hielt mir ihre Hand hin und ich erwiderte den zarten, fast lapprigen Händedruck. ‚Die bräuchte mal ein richtiges Steak‘, war mein erster Gedanke …

      „Und ich bin Anna. Ich habe die Wohnung hier gerade vor einer halben Stunde gemietet, da wusste ich nichts von einer Olga. Und Nadezhda Walentinowna hat auch nichts erwähnt. Nur ihre Nichte hatte angedeutet, dass die bisherige Mieterin Hals über Kopf ausgezogen ist. Was für Probleme gab es denn? Aber setzen Sie sich doch. Wir stehen hier an der Tür herum wie die Möbelpacker … Leider kann ich Ihnen nichts anbieten, nicht einmal einen Tee.“

      Tatjana lachte. „Sie sind nicht von hier, stimmt’s? Bei uns sagt das keiner – „herumstehen wie die Möbelpacker“.

      Bei uns auch nicht, dachte ich, aber mir fiel gerade nichts Besseres ein. „Ich bin aus Deutschland, aus Berlin. Zuerst habe ich im Hotel gewohnt, im Versal, aber das ist nichts für mich. Ich bin erst seit ein paar Tagen in Wladiwostok. Im Hotel habe ich Marina kennengelernt. Sie arbeitet an der Rezeption und hat mir das Zimmer hier vermittelt.“

      „Im Versal?“

      Tatjana musterte mich: Schuhe, Fingernägel, Frisur. Wahrscheinlich hätte ich das nicht sagen sollen. Eigentlich war das Hotel nichts Besonderes, aber sein Ruf aus alten Zeiten hing ihm noch an. Jeder, der Versal hörte, dachte Kempinski. Seine Gäste konnten nur reiche Schnösel sein.

      „Es war ein Geschenk, eine sentimentale Geste eines älteren Herrn, der besondere Erinnerungen mit dem Haus verbindet. In seinem Auftrag bin ich auch hier.“

      Nun hellte sich das Gesicht wieder auf, vielleicht auch, weil ihr taxierender Blick und die Analyse von Schuhwerk, Zwirn und Haarstyling keinen Anhaltspunkt für überbordenden Reichtum geliefert hatten.

      „Das hört sich ja aufregend an. Vielleicht mögen Sie mit zu mir kommen. Dann koche ich uns einen Tee und Sie erzählen mir von Ihrer Mission. Ich habe ganz ausgezeichnete Pasteten. Die hat meine Mutter selbst gemacht und heute Morgen erst vorbeigebracht. Sie ist zu Besuch hier. Mögen Sie Pilze? Sie werden sie lieben!“

      Ich dachte an das Archiv, an den Rucksack im Hotel, an Nadezhda – keine Gespräche auf dem Flur bitte … Alles sprach dagegen, diese spontane Einladung anzunehmen. Andererseits … Es war genau das, was ich an Russland so mochte.

      „Gern, aber ich kann nicht lange bleiben, weil ich einiges zu erledigen habe. Mein Gepäck ist noch im Hotel.“

      Zwei Stunden später saßen wir schon beim Cognac – die bürgerliche Alternative zum Wodka. Ich mochte keine harten Sachen, wollte aber nicht unhöflich sein. Früher wurde mir das oft zum Verhängnis. Heute war ich schlauer und nippte nur ab und zu mal am Glas. Tatjanas Wohnung lag gegenüber, nur zwei Türen weiter. Dass sie komplett anders wirkte, lag daran, weil sie zwei Wohnungen zusammengelegt hatte. Die Trennwand war bis zur Mitte herausgerissen, sodass man direkt in einen großen Raum trat, die Küche. Eigentlich ganz gemütlich, wenn es nur ein Fenster gäbe. Von der Küche kam man in ein Schlaf- und Wohnzimmer. Dort waren neue Wände eingezogen. Die zweite Wohnungstür war mit einem Regal zugestellt. Ein Bad konnte ich nicht entdecken. Man sah, dass viel Arbeit im Umbau steckte. Ich fragte mich, ob Tatjana das alles selbst bewerkstelligt hatte oder ob es einen Mann im Haus gab.

      Bisher hatte Tatjana nur von Olga erzählt – wie sie ins Haus gekommen war, was sie beruflich machte und warum es Probleme gab. Für mich hörte sich das alles ein bisschen unheimlich an. Wäre Tatjana mir heute beim Frühstück begegnet und hätte ich erfahren, was hier alles passiert war, wäre ich wahrscheinlich nicht eingezogen. Jetzt war es zu spät. Ich tröstete mich damit, dass vielleicht nur die Hälfte ihrer Geschichten stimmte. Um nicht noch mehr zu erfahren, drängte ich zum Aufbruch. Die Arbeit im Archiv konnte ich abhaken, vielleicht würde ich noch kurz vorbeischauen, um wenigstens ein Findbuch durchzugehen. Aber sicher würde man den Cognac riechen. Nein, das konnte ich nicht riskieren. Trotzdem wollte ich los. Obwohl ich aufstand, legte mir Tatjana noch eine Pastete auf den Teller und redete einfach weiter.

      „Jetzt habe ich Ihnen so viel von uns hier erzählt, Anna. Dabei habe ich ganz vergessen, Sie auszufragen, was Sie hierher verschlagen hat. Das holen wir nach, ganz bestimmt. Sie müssen unbedingt wieder zu mir kommen. Jetzt, wo Olga weg ist. Und bitte seien Sie nicht allzu besorgt. Hier wohnen ganz anständige Leute. Man muss sie nur zu nehmen wissen.“ Dann zeigte sie auf den Teller. „Und hier nehmen Sie die Pastete mit auf den Weg.“

      ‚Zu nehmen wissen‘ – ich kannte ihre Sprache nicht einmal richtig, wie sollte ich wissen, wie wer richtig zu nehmen war. Tatjana kam mir ganz recht. Sie könnte mich in die Hausregeln einweihen und mir erklären, wer welche Macke hatte. Wenn ich recht darüber nachdachte, fand ich es eigentlich ganz spannend. Ich war von meinem Heimatstern in ein mir fremdes Universum geknallt und bekam sogar eine Übersetzerin zur Seite gestellt. Alles würde sich fügen.

      „Vielleicht haben Sie am Wochenende Zeit und kommen zu mir zum Tee, Tatjana Petrowna? Da habe ich ein paar Tage, um die Wohnung etwas auf Vordermann zu bringen. Wissen Sie, ich würde die Wände gern streichen. Es sieht alles so alt und abgenutzt aus. Vielleicht finde ich irgendwo auch einen Schrank oder ein Regal. Ich möchte es etwas netter machen, habe nur keine Ahnung, wo hier ein Baumarkt in der Nähe ist. Vielleicht ist es Quatsch, den Aufwand zu betreiben. Und Geld kostet es auch. Aber eigentlich ist es schnell gemacht. Nur ein Tag und danach ist es sicher schöner und ich fühle mich wohler.“

      Tatjana sprang vom Stuhl auf und klatschte in die Hände, fast wie ein Kind.

      „Ich liebe streichen, das erinnert mich an meine Kindheit, als wir selbst gebastelte Zeitungshüte trugen. Lassen Sie mich Ihnen helfen. Hier hat auch garantiert noch jemand die nötigen Utensilien. Das brauchen Sie nicht kaufen, völlig unnötig. Ich höre mich morgen mal um bei den Nachbarn. Und dann gehen wir mit Wolodja runter in den Keller. Wissen Sie, er ist so etwas wie ein Hausmeister, allerdings ein selbst ernannter. Früher wurde er von der Genossenschaft bezahlt, aber nachdem der Block privatisiert wurde, wollte man dafür kein Geld mehr ausgeben. Trotzdem kommen alle, wenn sie etwas zu reparieren haben oder was brauchen. Und er hilft, weil er es nicht anders kennt. Außerdem hat er Zeit, denn er ist Rentner. Dafür bekommt er von jedem etwas geschenkt: Kartoffeln von Irina, Fisch von Wadim und ich fülle ihm Formulare aus, wenn er Ärger mit den Ämtern hat.

Скачать книгу