Deutschland – deine Politiker. Friedemann Weckbach-Mara
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Deutschland – deine Politiker - Friedemann Weckbach-Mara страница 3
Vorwort
Ein Satz, den Historiker Ludwig XIV. zuschreiben, geht mir nicht aus dem Sinn: „Zwei Dinge darf das Volk niemals erfahren: was wirklich in der Wurst ist und wer wirklich die Macht hat.“
Mit der Wurst bin ich schnell durch. Spät, sehr spät habe ich meine erste Currywurst gegessen, als der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder uns im Dezember 1999 in der neuen Berliner Kanzlervilla am Ende des Interviews für „Bild am Sonntag“ dazu einlud. Erst schickte er seine Leibwächter mit sonorer Stimme zum Einkaufen, dann ließ er die Berliner Originalkost (Hamburger mögen mir die Bezeichnung verzeihen) auf Porzellan mit Silberbesteck servieren. Dazu gab es Champagner. Beim anschließenden Schreiben des Interviews rebellierte mein Innenleben mächtig, aber inzwischen habe ich mit der Currywurst meinen Frieden gemacht und genieße sie gelegentlich, Champagner eher seltener.
Mit der Macht ist es komplizierter. Das habe ich in gut 30 Jahren als Hauptstadtkorrespondent immer wieder erlebt. Wer wo an den Fäden zieht, ist schon eine spannende Geschichte, besonders wenn man als Journalist an zahlreichen vertraulichen Gesprächen teilnehmen kann. Allerdings durfte ich über die Hintergrundinformationen gerade wegen der Vertraulichkeit bisher nicht berichten. Erst mit dem Ende der 17. Wahlperiode, also für die Zeit nach der Bundestagswahl 2013, bekam ich von den wichtigsten Gesprächspartnern grünes Licht für dieses Buch. Dafür danke ich meinen Freunden in der Politik.
Das Erlebte reicht von der ganz menschlichen Seite wie dem immer wiederkehrenden Austausch der Ehepartner unter Politikern, verschwiegene Krankheiten über Partnertausch zum Regierungswechsel bis zu Terrorgefahren, Krieg und der Arbeit von Geheimdiensten. Natürlich gehören dazu auch Indiskretionen wie die Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen oder die Erinnerung daran, wie Helmut Kohl Angela Merkel aufforderte, mit mir nicht mehr zu reden, sie mich später zwar einen „gefürchteten Journalisten“ nannte, mir aber trotzdem regelmäßig Interviews gab. Übrigens auch Kohl wieder, als seine Umfragewerte sanken.
Die Summe der Einzelereignisse mag eine kleine Antwort auf die große Frage geben, wer wirklich die Macht hat, wie das so läuft in unserer Politik und wie aus Stimmungen Stimmen werden. Dabei greife ich auf meine unveröffentlichten Recherchedokumente und einige meiner 6.500 veröffentlichten Artikel zurück.
Nachrichtenfälschung mit Hans-Dietrich Genscher
Beginnen wir doch gleich mit dem größtmöglichen Ärgernis, das Reporter zu bieten haben, mit der Falschmeldung. Wie sie entstand und was daraus wurde. Zuletzt habe ich das so richtig erlebt, als der Kurzzeit-Bundespräsident Christian Wulff1 noch CDU-Vize und niedersächsischer Ministerpräsident war. 2008 trennte er sich von seiner Ehefrau Christiane. Eindrucksvoll legte er ein dankbares Bekenntnis zu wunderbaren gemeinsamen Zeiten mit ihr ab – so eindrucksvoll, dass sich jeder fragen konnte, warum die Trennung überhaupt stattfand. Dann wurde sein Scheidungsgrund bekannt: Er tauschte nach 19 Ehejahren seine gleichaltrige Ehefrau gegen die 13 Jahre jüngere Bettina Körner. Nur, wie sieht sie aus? Sofort begann die Suche nach einem Foto der Neuen. Plötzlich kommt sonntags eines auf den Markt, von dem einschlägige Klatschinformanten behaupten: „Das ist sie.“ Prompt prangt das Foto Montag exklusiv auf Seite Eins. Sieht prima aus.
Den Sonntag hatte ich bei meiner Familie in Bonn verbracht, nahm am Montag die Frühmaschine nach Berlin. Im Flugzeug las ich die tolle Exklusiv-Story, ohne zu wissen, wie sie zustande kam. Kaum hatte ich nach der Landung das Handy wieder eingeschaltet, da meldete sich Wulffs Sprecher, der schwergewichtige Olaf Glaeseker (im Amt bis zu seiner Entlassung am 22. Dezember 2011): „Warum haben Sie mich nicht angerufen? Das Foto ist falsch.“ Erschrocken versprach ich Aufklärung und den baldigen Rückruf. Gespannt fuhr ich zu den Kollegen.
In unserem Großraumbüro angekommen, gibt es die nächste Überraschung: Blond, schlank mit Schuhen wie aus dem Bleistiftspitzer, so steht dort die aufstrebende, junge Redakteurin vor mir und verblüfft mich mit dem Satz: „Warum denn recherchieren? Es liest sich doch gut.“ So ein Unsinn. Mit einer Richtigstellung auf Seite Eins umgehen wir nur mühsam eine formale Gegendarstellung. In der Überheblichkeit des Älteren brumme ich: „Das hat es früher nicht gegeben.“ Dabei denke ich an die beschauliche Bonner Republik am schönen Rhein. An der Spree ist alles ein paar Nummern größer. Da eilen allein zu Silvester dreimal mehr begeisterte Menschen zum Brandenburger Tor, als Bonn insgesamt Einwohner hat. Aber von wegen, früher war alles besser. Schon Sekunden nach dem Anflug von Wehmut fällt mir das Wahljahr 1976 ein.
◆
Damals war ich mit Ausweisnummer 168 gerade neues Mitglied der Bundespressekonferenz. Das ist laut Satzung „ein Zusammenschluss deutscher Parlamentskorrespondenten, die aus Berlin und/oder Bonn ständig und weit überwiegend über die Bundespolitik berichten“. Der eingetragene Verein ist regelmäßig Gastgeber für Pressekonferenzen. Dabei gelten drei Zitierregeln, die auch sonst im Umgang mit Informanten eingehalten werden: A unter Eins = zur beliebigen Verwendung, B unter Zwei = zur Verwendung ohne Quelle und ohne Nennung der Auskunftgebenden, C unter Drei = vertraulich. Also Stillschweigen. Das war in Bonn eine unumstößliche Regel.
Bei meinem ersten großen Auftrag in der Parlamentsredaktion der „Bild“-Zeitung ging es allerdings weniger um Zitierregeln, dafür umso mehr um eine faustdicke Lüge.
Wir schreiben den ersten September 1976. Der neue Außenminister und FDP-Chef Hans-Dietrich Genscher2 ist auf Wahlkampftour. Ein BMW mit Journalisten fährt im Kreis Uelzen dem Promi-Tross hinterher und stößt mit einem „Triumph“-Sportwagen frontal zusammen. Zwei Personen werden schwer verletzt. Ein Kollege stirbt. Als die Nachricht über den Ticker der Agenturen läuft, rufe ich bei Genschers Büroleiter Klaus Kinkel3 an und erfahre: „Herr Genscher war schon weg, als der Unfall passierte, er hat davon nichts mitbekommen.“ Mein Büroleiter Michael Spreng schickt ein Fernschreiben – damals gab es noch diese ratternden Dinger mit Lochstreifen – an die Zentralredaktion: „Lieber Hans-Erich, das Rührstück mit Genscher geht nicht. Er war schon weg, als der Unfall passierte.“ Für uns war ist Thema durch. Am nächsten Morgen fahre ich hoffnungsfroh zur Heinrich-Brüning-Straße in die Redaktion. Auf meinem Schreibtisch liegt die „Bild“-Zeitung mit der Schlagzeile: „Genscher kniete im Gras – sein Freund starb“.
Ich kann es nicht fassen. Unter der Autorenzeile „Von Friedemann Weckbach-Mara“ steht wörtlich: „Kreidebleich, am ganzen Körper zitternd, kniete Außenminister Genscher im Gras neben der grauenhaften Unfallstelle an der Landstraße. Nacheinander hielt er die Hand der schwer verletzten Journalisten. Fassungslos presste der Minister hervor: ‚Es ist ja furchtbar.‘ Zu seinem Vertrauten Verheugen4 gewandt: ‚Sagen Sie alle Termine ab.‘“
Als vermeintlicher Autor stand ich plötzlich im Zentrum der Kollegenschelte, sie starteten eine Unterschriftensammlung gegen mich und meine Lügenstory, wie sie es nannten. Ich hatte keine Chance zur Richtigstellung. Während ich noch meine Wunden leckte, kam die Stimmungsmache mit der Rühr-Story im Wahlkampf außerhalb Bonns gut an. Genscher fuhr mit 7,9 Prozent seinen ersten Wahlsieg als FDP-Chef ein, und die Zeitung hatte eine wahrlich exklusive Story. Eine für mich neue Variante von Geben und Nehmen zwischen Politikern und Journalisten.