Deutschland – deine Politiker. Friedemann Weckbach-Mara

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Der Artikel zum Unfall

      Andererseits besiegelte der Vorgang eine enge, dauerhafte Freundschaft zwischen Genscher und Redakteur Hans-Erich Bilges, dem tatsächlichen Autor des originellen Textes. So eng, dass sie in einer einträglichen PR-Firma dauerhaft zusammenfanden. Mehr über „Genschers PR-Firma“ im Anhang.

      Kein Wunder also, dass Genscher zu allen Zeiten eine besondere Vernetzung mit Chefredaktionen genießen konnte. Dieser enge Kontakt ermöglichte es ihm sogar, ein ungeliebtes Interview zurückzuziehen, das er gar nicht gegeben hatte, sondern sein umtriebiger Parteifreund Jürgen Möllemann.5 Mehr noch – selbst eine unerwünschte Schlagzeile konnte Genscher mit diesen Kontakten schon mal verhindern, wie wir später im Kapitel über Regierungswechsel erfahren werden. Besonders wenn es um sein Privatleben ging, zog er alle Register, um Veröffentlichungen zu bremsen. Dabei griff er auch schon mal zur Unwahrheit, etwa um seine Krankheit zu vertuschen.

      Dagegen war bei seiner Scheidung nicht so viel Mühe notwendig, denn zu der Zeit stand das Thema nicht besonders hoch im Kurs der Medien. Entsprechend gab es im Gegensatz zu späteren Scheidungen nur ein paar kleine Meldungen, als Genscher 1969 seine Ehefrau Luise gegen seine jüngere Sekretärin Barbara Schmidt tauschte. Genscher-Mutter, Neu-Ehefrau und Tochter aus erster Ehe bildeten mit ihrem Hans-Dietrich schnell eine harmonische Familie und keiner fragte mehr nach.

      Erst Ende der 80er Jahre wurde der Partnertausch unter Politikern offener diskutiert. So kam CSU-Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann (1925–2012, Bundesminister des Inneren 1982–1989, für Verkehr bis 1991) im Februar 1988 schnell in die Schlagzeilen, als er nach 17 Ehejahren die Scheidung von seiner Frau Christel verkündete. Man habe sich schließlich längst getrennt. Nun wolle der 62-jährige eine 30-jährige Arzthelferin heiraten. Ein neues Haus für beide sei schon im Bau.

      ◆

      Als sich Willy Brandt6 1980 von seiner zweiten Frau Rut7 scheiden ließ, sorgte das mehr unter den Genossen als in den Medien für Diskussionen. Aufsehen erregten schon eher Fotos, die zeigten, wie er mit seiner neuen Frau Brigitte Seebacher (*1946, 26 Jahre jünger als Rut) in der Bonner Beethovenhalle zum Bundespresseball kam. Üblicherweise tragen Damen bei der Gelegenheit vorzugsweise lange Abendkleider. Dagegen erschien die eingetauschte neue Frau Brandt im kurzen Kleid, das viel Bein zeigte. Er strahlte an ihrer Seite verschmitzt in die Kameras. Noch Jahrzehnte später ging die angesehene Fernsehjournalistin Wibke Bruhns darüber hart mit Brandt ins Gericht. Gefragt, ob dieser tatsächlich ein großer Frauenfreund gewesen sei, sagte sie der „Hör zu“ im Februar 2012:

       Willy Brandt in der „Express“-Parlamentsredaktion. Rechts mein damaliger Stellvertreter Georg Streiter, wurde 2011 Vizeregierungssprecher in Berlin

       Er hat ein Buch geschrieben, „Über den Tag hinaus“, in dem er nicht ein einziges Mal seine Frau Rut erwähnt. Auch die Art, wie er sich getrennt hat nach über 30 Jahren Ehe für diese Ziege … – wie heißt die noch mal?

       „Hör zu“: Brigitte Seebacher.

      Ja. Nicht zu glauben. Er hatte ein tief gestörtes Verhältnis zu Frauen. Von ihm selbst hörte sich das ganz anders an. Als er im Dezember 1986 in meine Bonner „Express“-Redaktion kam, erzählte uns Brandt – damals SPD-Bundesvorsitzender – über seine neue Ehefrau Brigitte: „Für mich ist es eine große Hilfe, wenn wir miteinander über Geschichte und langfristige Zusammenhänge reden.“

      ◆

      Freundinnen neben der Ehefrau blieben im Gegensatz zu Scheidungen in der Bonner Republik über Jahrzehnte schlicht tabu. Davon profitierte CSU-Chef und Bundesfinanzminister Theo Waigel8, Katholik wie Zimmermann. Jahrelang hatte Waigel schon die ehemalige Skiläuferin Irene Epple (Olympiazweite 1980, 18 Jahre jünger als Theo Waigel) zur Freundin, aber das war kein Thema für die Öffentlichkeit. Parteiintern schon eher. Mitten im Wahlkampf plakatierte die örtliche CSU nur einen Steinwurf von Waigels Haus entfernt ein riesiges Plakat mit überlebensgroßer Stoiber-Familie. Glücklich strahlten sie in Richtung Waigel, ganz nach dem Motto: Seht her, unsere Familie ist in Ordnung. In der Zeit versprach Waigel gleich reihenweise den stillhaltenden Journalisten in die Hand, jeder würde exklusiv erfahren, wenn es offiziell zu Trennung und neuer Heirat käme.

      Die Vorgeschichte blieb so erst einmal in der Schublade: 1988 verließ er die Diplomvolkswirtin Karin Waigel nach 22 Ehejahren. Der Minister lebte allein in seinem Heimatdorf Oberrohr (660 Einwohner), Karin blieb in der Münchner Stadtwohnung, Tochter Birgit (damals 16 Jahre) kam ins Internat.

       Waigel als Gast auf meiner Geburtstagsfeier

      Am 23. Oktober 1994 erschien Waigel (damals 54 Jahre) um 19.00 Uhr in der Münchner Innenstadt beim Notar. Nach zwei Stunden war der Scheidungsvertrag unterschrieben. In der Folgewoche besiegelte das zuständige Familiengericht in Günzburg die Scheidung. Ergebnis: Der CSU-Chef zahlte seiner Frau einen monatlichen Unterhalt in Höhe von knapp 6.000 D-Mark, statt Abfindung erhielt Karin Waigel die Eigentumswohnung (Schätzwert damals: 550.000 D-Mark) mit Möbeln. Am 26. November 1994 folgte die Hochzeit um 11.00 Uhr im Standesamt der neuen Heimat Seeg im Allgäu. Mit Kohl und Co. Im nächsten Jahr kam der Sohn zur Welt und die drei wurden eine erkennbar glückliche Familie.

      1995 erzählte mir mein langjähriger Bekannter Karsten Voigt9 von einer Ost-West-Heirat der besonderen Art – seiner eigenen: Erst hatte die 36-jährige DDR-Journalistin Brigitta Richter jahrelang für den Ostberliner Geheimdienst MfS den damals 54-jährigen Voigt (zu der Zeit außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion und Vorsitzender des Verteidigungsausschusses des NATO-Parlaments) ausspioniert, dann gaben sich beide am ehemaligen Tag der Deutschen Einheit (17. Juni) in Berlin vor dem Standesbeamten das Jawort. Für seine „ganz große Liebe“ aus der DDR hatte er sich nach 20 Ehejahren von der Architektin Inge Voigt scheiden lassen: „Wir haben uns ohne Streit einvernehmlich getrennt. Durch die Politik lebt man sich halt auseinander.“

      Oder anderweitig zueinander. Denn bereits Jahre vor dieser Scheidung hatte Voigt seine Neue in Westberlin auf einer Tagung kennengelernt. Ein „Aha-Erlebnis“ (Voigt) mit Folgen. Die beiden telefonierten regelmäßig und trafen sich immer häufiger. Kurz vor dem Fall der Mauer kam sie über Ungarn in den Westen. Voigt: „Ich habe sie damals auf dem Flughafen abgeholt.“

      Danach arbeitete sie in seinem Abgeordnetenbüro, später in einer Berliner Werbeagentur. Dass seine neue Geliebte ein Stasi-Spitzel war, sah Karsten Voigt mit „großer Gelassenheit. Natürlich musste sie nach Gesprächen mit mir berichten, sonst hätte sie ja nie mehr ausreisen dürfen. Doch das gehört alles längst der Vergangenheit an.“

      Genauso wie die Erinnerung daran, dass der einstige MfS-Führungsoffizier von Brigitta Richter diese beim Verfassungsschutz angeschwärzt hat, Voigt und seine Geliebte von Beamten des Bundeskriminalamts (BKA) vernommen wurden und am Ende der zuständige Richter wegen „geringer Schuld“ auf Klageerhebung verzichtete. So gab es keine Hindernisse mehr für ihre deutschdeutsche Liebesgeschichte.

      ◆

      Ganz

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