Das Blöken der Wölfe. Joachim Walther

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Das Blöken der Wölfe - Joachim Walther

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      Ceausescu nannte gestern sein demonstrierendes Volk Konterrevolutionäre und Faschisten. Unser Sprachsensorium ist geschärft. Vor Wochen noch nannte man bei uns das demonstrierende Volk Staatsfeinde, Mob und Abschaum, die Munition war ausgegeben, Pläne für Internierungslager und schwarze Listen waren fertig. Uns blühte eben jener himmlische Frieden, der jetzt in Rumänien wütet. War der Conducator bislang nur lächerlich, ist er nun blutig, ein anachronistisches Monstrum, behängt auch mit zwei Karl-Marx-Orden dieses Landes. Wir, die wir nur knapp seinen Brüdern im Geiste entgangen sind, fordern von der Regierung, den Mörder öffentlich einen Mörder zu nennen.

       15.1.90

      Besetzung, Begehung des Hauptquartiers der Stasi in der Normannenstraße. Die Tore wurden von innen geöffnet, und die Menschen liefen durch das riesige Objekt, Stolz und Unglauben in den Gesichtern.

       22.2.90

      Der Stoff der nächsten Jahre: die Trauerarbeit, die Frage nach der Mitschuld. Was hätten wir wissen, erkennen können? Warum vermieden wir die konsequente Analyse? Aus Furcht, das Verderbte, aussichtslos Misslungene illusionslos zu konstatieren, weil wir uns dann hätten moralisch entscheiden müssen: zu Widerstand oder Flucht. Der Selbstbetrug, der bequeme, an die Lernfähigkeit des Totalitarismus glauben zu wollen. Die hilfreiche Illusion von der Aufklärung der Macht durch Vernunft. Das kindliche Festhalten an einer Utopie aus dem 19. Jahrhundert, die schon 1930 in der Sowjetunion pervertiert worden war. Das Abstumpfen des Gewissens angesichts deutlichster Zeichen: Wahlbetrug, Totalüberwachung, Machtarroganz. Das Wissen ohne Folgen, das Hinsehen, ohne zu reden, das geflüsterte Murren, kein lauter Protest. Psychologisch ein Verdrängen, ethisch ein Versagen, politisch ein Stabilisieren. Wie uns, wie mir das geschah, diese Geschichte ist schreibend zu erkunden, zu erkennen.

      

Zuerst veröffentlicht: Der Morgen, 1. September 1990

       VOM KULT ZUR KULTUR

       1

      „Berlin ist das Letzte. Der Rest ist Vorgeschichte. Sollte Geschichte stattfinden, wird Berlin der Anfang sein.“ Was wie ein althochdeutscher Zauberspruch klingt, ist von Heiner Müller und vor Jahren erst geschrieben.

      Die Mauer fiel und begrub unter sich den Staat, den sie schützen sollte vor den eigenen Bürgern. Berlin, die Rose aus Zement, hat sich des Keuschheitsgürtels aus Stacheldraht entledigt und ist nun frei zu freien: die andere Hälfte von sich selbst.

      Die Stadt hat eben jetzt die große Chance, zur europäischen Kulturmetropole zu werden. Manch einer spricht gar von der Kulturhauptstadt Europas. Doch sollten wir vermeiden, wieder einmal vollmundig an der Tafel einer Kultur zu sitzen, bei der, so Karl Kraus über uns Deutsche, Prahlhans Küchenmeister ist. Es müsste genügen und wäre mehr als genug, wenn aus der Berliner Hochzeit eine Hoch-Zeit der Kultur entspränge. Die Stadt, die andre Dichter Hure, Babel, Nessel und Ninive nannten, kann nun werden, was sie für kurze Zeit schon einmal war: ein Biotop, in dem Kultur gedeihen kann.

       2

      Es war einmal. Zwischen Wilhelm und Adolf, deren kultureller Horizont am teutonischen Stahlhelmrand endete, wurde Berlin von einer Kultstätte dumpfer Selbstherrlichkeit zur europäischen Kulturstadt der zwanziger Jahre.

      Ein Grund dafür war gewiss die republikanische Verfassung. Res publica heißt öffentliche Sache, und eine solche ist auch die Kultur. Ein weiterer die Offenheit der Stadt, der Strom in sie hinein, wo sich Heterogenes vermischte: das Eigene mit dem Fremden, Tradition mit Avantgarde, Westliches mit Östlichem, Konservatives mit Radikalem, Südliches mit Nördlichem, Utopie mit common sense, Repräsentatives mit Experimentellem, Hermetisches mit Agitatorischem, Subversives mit Affirmativem, Rot mit Weiß und Schwarz (was auf wundersam alchimistische Weise Gold ergab: die goldenen Zwanziger), Liebesgott Eros mit Schicksalsgöttin Ananke oder Erkenntnisdrang mit Notwendigkeit, welche, so Freud, die Eltern der Kultur sind.

      Hierzu ein kurzer Blick in die Bevölkerungsstatistik jener Jahre. 1925 lebten unter 4 Millionen Berlinern 106.500 Ausländer. 22.500 Polen. 17.000 Tschechoslowaken. 15.200 Österreicher. 10.300 Russen. 3.000 Schweizer. 1.400 Engländer. 1.100 Nordamerikaner. 660 Franzosen. Berlin, so wird vorausgesagt, wird in den nächsten 10 Jahren ein Bevölkerungswachstum auf 6 oder 7 Millionen erleben.

      Städte, in denen sich eine solch internationale Mischung herstellt, müssen entscheiden, ob sie dabei melting pot oder salad bowl sein wollen. Die Kultur, aus gutem Grund, zieht die Salatschüssel dem Schmelztiegel allemal vor. Wird ein Salat bereitet, werden die Zutaten nicht in eine heiße Pfanne geworfen, verrührt und bis zur Unkenntlichkeit gesotten – die Bestandteile, lediglich gewürzt nach lokaler Sitte und gut gemischt, bleiben sichtbarlich erhalten. Auf solch behutsame Weise könnten wir dann den Berliner Salat haben: vitaminreich, bunt anzusehen und sehr gesund. Multikulturell – so heißt dafür das Mode- und Zauberwort unsrer Tage.

       3

      Kultur, gottlob, lässt sich politisch nicht dekretieren. Sie muss lediglich wachsen dürfen und bedarf dazu des Bodens und eines günstigen Klimas. Ist das gegeben, gedeiht sie nahezu von allein, grünt und blüht und lebt in Konkurrenz und in Symbiose, vereint in Vielfalt und in Widerspruch: ein lebendiger Organismus, vernetzt und verletzlich, und insofern der Pflege bedürftig.

      Aha. Spätestens an dieser Stelle hören Politiker die Nachtigall deutlich trapsen. Ganz recht, Kultur kostet Geld. Doch zahlt sie sich auch aus. Was ein Land, eine Stadt für die Kultur tut, wird sie diesen mehrfach vergelten. Städte wie Paris, Amsterdam, Zürich, New York oder Salzburg wissen, was sie an ihr haben. Was ausstrahlt, zieht auch an. Und nicht nur die Touristen. Kultur ist eine Humusschicht, auf der allerlei gedeiht, neue Ideen vor allem. Sie stellt nicht lediglich nur dar, was ist, sie regt an, spielt durch, bereitet geistig vor, was werden soll. Sie erzeugt eine Nachfrage, meint Walter Benjamin, für deren volle Befriedigung die Stunde noch nicht gekommen ist. Kultur als Investition in die Zukunft.

       4

      Berlin sucht derzeit Investoren, insonderheit der ramponierte Osten dieser Stadt. Nachdem die Transparente von den Fassaden sind, sieht man die ruinösen Hinterlassenschaften besser. Not aber macht erfinderisch.

      Und so hat die neue Kulturverwaltung der ärmeren Stadthälfte einen Kulturatlas entwickelt, der in Europa werben soll für Kulturprojekte. Unter anderem für das Filmkunsthaus Babylon am Luxemburgplatz. Den Prater in der Kastanienallee. Das Projekt Tacheles in der Oranienburger Straße. Die Kulturfabrik Pfefferberg in der Schönhauser Allee. Die Kulturbrauerei Ecke Sredzkistraße.

      Da wird zentral avisiert, was künftig dezentral funktionieren soll. Kein Widerspruch: Die neue Verwaltung will, bravo und bravissimo, nicht mehr Obergärtner sein (in der realsozialistischen Vergangenheit, requiescat in pace, waren’s nicht selten die Böcke, die da rigide gärtnerten), der mit Rasenmäher und Herbiziden den Wildwuchs verhindert und jedes Kräutlein, das da unverschämterweise einfach so wachsen will, zum Unkraut erklärt und der Ruhe und Ordnung halber jätet. Jede lebendige Hochkultur wächst von unten auf, vom Boden her. Wer diesen versiegelt, weil ihn das anarchische Gären, das kreative Keimen und das unkontrollierbare Wimmeln in den unteren Regionen beunruhigt, entzieht sich selbst den Nährstoffstrom, trocknet aus, verholzt, stirbt ab und bricht im ersten Sturm des Herbstes. So geschehen 1989.

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