Das Blöken der Wölfe. Joachim Walther

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Das Blöken der Wölfe - Joachim Walther

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Ein eisiger Sommer: Aus meiner Anthologie werden 11 Kollegen durch die Zensur entfernt, Freund Frank H. hat Parteiverfahren an der Humboldt-Uni, mein Lektor Klaus S. soll aus dem Verlag, der sich Neues Leben nennt, fliegen. Der Cheflektor L.: Empörte Autoren des Verlags hätten ihm berichtet, Klaus S. habe gegen den Ausschluss der Neun gestimmt, damit sei er untragbar für den Verlag. Perversionen, Deformationen, wohin ich sehe.

       18.8.80

      DDR-Urlaub-Sommer Ostsee: die um sich greifende Nivellierung, die Urlauberströme. Niemand braucht zu hungern, doch was über dieser gewerkschaftlich organisierten Massenabfütterung liegt, ist abgeschafft: Freude am Finden eines außergewöhnlichen Genusses. Stattdessen Groß-Restaurants mit drei Gerichten jeden Abend: Broiler, Bauernfrühstück, Tartar (ohne Ei). Keine Servietten, Tee ist alle. Die Kellnerinnen lamentieren über ihre Belastung, die Gäste mümmeln schweigend, gedemütigt täglich, zu müde zum Protestieren. Es herrscht weithin das zentral verwaltete Masseneinweisungssystem. Das Individuelle, nicht etwa der Staat, stirbt ab.

       19.11.80

      Der kulturpolitische Oberhofmarschall Kurt H. verkündet Reisestopp für DDR-Künstler, um nicht länger „die magere Kulturlandschaft in der BRD aufzuwerten“. Mein Gott, welch blinde Selbstgefälligkeit, welch dümmliche Arroganz. Immer breiter klafft die Schere Realität-Ideologie.

       12.12.80

      Empfang in der Ständigen Vertretung. Die Diplomaten als die Fettaugen auf der ungenießbaren Welt-Suppe. Die ideologischen Gegner verzehren gemeinsam ausgesuchte Delikatessen. Karl-Eduard v. S. neben Fritz P. Small talk, schweifende Blicke, entzückte Ausrufe, falsche Freundlichkeit. Gipfel der Geschmacklosigkeit: Ein DDR-Vertreter und einer aus der Bundesrepublik wetten, ob die Rote Armee bis zum Jahresende in Polen einmarschiert oder nicht. Sie wetten um eine Kiste Deinhard lila.

       13.4.81

      Honecker spricht auf X. Parteitag vom gewachsenen Bildungsstand der Menschen, lässt sich aber am Abend von einigen zigtausend FDJlern bejubeln. Eine Rundfunkreporterin, vom Jubel aufgeputscht, sagt, die Bäume Unter den Linden seien „aus dem Boden geschossen“.

       22.4.81

      Heute fiel Schnee und es kamen die Störche: Sie segelten durch die Flocken wie zu früh gekommene Dichter.

       27.6.81

      In der Universität wird eine noch volle Wahlurne vom letzten Mal gefunden.

       1.10.81

      Die Revolution steht noch aus. Die herrschenden Politbürokraten fürchten die Utopie, versuchen die Träume als konterrevolutionär zu denunzieren. Ziel dieser Revolution wird sein: die Assoziation freier Menschen, die Demokratie, das Ende der Unmündigkeit und der Arbeitsteilung in Leitende und Angeleitete, wird die kreative und transparente Gesellschaft sein.

       27.10.81

      Die Druckgenehmigung für meinen Günther-Roman von der Zensurbehörde verweigert. Daraufhin zieht mein Verlag den Druckantrag zurück. Die Verlagszensoren begründen: Es gäbe veränderte politische Umstände, die zu neuen Überlegungen im Staatsinteresse zwängen, die Parallelitäten im Roman seien evident, es gäbe eine Reihe von Stellen, in denen die Geschichte der Gegenwart den Spiegel vorhalte. Das Buch könne so nicht erscheinen, die Produktion sei gestoppt, nun läge es an mir, den Änderungsvorschlägen nachzukommen. Der Zensor der Hauptverwaltung für Verlage und Buchhandel hat im Manuskript genau die Stellen angestrichen, die ihn treffen müssen und sollen (Zensurpraxis im 18. Jahrhundert, das Spitzelwesen im Königreich Sachsen, die Überwachung der Künstler). Es wäre zum Lachen, hätte ich an diesem Buch nicht drei Jahre gearbeitet.

       18.11.81

      Klaus H., Chef der Zensurbehörde, der sich gern Bücherminister nennen lässt, schreibt mir auf meinen Brief (in dem ich schrieb, ich möchte in der DDR leben, schreiben und veröffentlichen, wenn aber das Buch nur im Westen erscheinen könne, dann dächte ich auch daran, dort zu leben, wo meine Bücher seien), er fände meine Überlegungen „elementar abstoßend“. Christa W. rät mir zu lernen, mich von Derartigem nicht mehr verletzen zu lassen, findet aber, ich dürfe dem Literatur-Administrator H. diese Formulierung nicht durchgehen lassen. Doch ich bin müde, will den Clinch nicht.

       4.2.82

      Nun soll das Buch doch erscheinen. DDR mon amour? Doch rechte Begeisterung will sich nicht einstellen für Selbstverständlichkeiten.

       29.11.82

      Bei einer Lesung in einer Privatwohnung im Prenzlauer Berg erscheint die Stasi und erklärt auf das Argument, es handle sich um eine private Zusammenkunft: Hiermit erklären wir die private Zusammenkunft zu einer öffentlichen Versammlung und für aufgelöst, die Ausweise, bitte.

       6.1.83

      Vorladung in Verlagsleitung. Die Zensur lehnt einen Beitrag aus meiner Kindheitsanthologie ab, empfiehlt es, was im Totalstaat befehlen heißt. Der Autor Reiner F. erfährt davon, schreibt an den Bücherminister H. Nun fieberhafte Suche nach der „undichten Stelle“, die bei mir vermutet wird. Exemplarischer Vorgang: Die Zensur will nicht genannt sein als Zensur, der Verlag soll deren Entscheidung als seine vertreten und verkünden. Mein Verlagsleiter spricht vom Vertrauensbruch (durch mich natürlich), droht Disziplinarverfahren an, spricht vom freundschaftlichen Verhältnis zum Ministerium. Der Autor soll vorgeladen werden: Wenn er den Namen des Informanten nicht nenne, würde von ihm künftig keine Zeile mehr gedruckt werden. Diese Ungeheuerlichkeit spricht ein Verleger, ohne rot zu werden, gelassen aus.

       24.1.83

      Heute im Verlag gekündigt. 14 Jahre als Lektor und Herausgeber zu Ende. Verlagsdirektor T. verweigert mir die notwendige Unbedenklichkeitserklärung für meine Studienreise nach Stuttgart, obwohl er letzten Montag sagte, er würde kein Junktim zwischen der Reise und dem schwebenden Disziplinarverfahren herstellen. Er steht unter Druck, involviert ist die Zensurbehörde, die sich bloßgestellt sieht, und der Sicherheitsbeauftragte der Blockpartei, die sich liberal nennt. Ich sage (und hoffe insgeheim, er wird mich überreden zu bleiben), dass ich bei diesem Junktim kündigen müsse. Bitte, sagt er, gib mir das schriftlich, ich unterschreib sofort. Beim Unterschreiben sagt er, er anerkenne meine Konsequenz, ruft aber später im Schriftstellerverband an und sagt, ich sei noch bis 10.2. Angehöriger des Verlags. Meine Reise sollte am 7.2. beginnen.

       10.2.83

      Ab heute „freier“ Autor. Die Kündigung hat nichts genützt. Nun sieht sich der 1. Sekretär des Schriftstellerverbandes H. außerstande, meine Reise zu befürworten, solange die Sache nicht geklärt sei. Auch dort das falsche, doch konzertierte Spiel. Ich hab’ das alles gründlich satt, denke an innere Emigration, Rückzug aufs Land. Wie Arnim 1815.

       7.12.83

      Lesung in Westberlin. Dieses unnormale Gefühl von Normalität, dieses schlechte Gewissen wegen des Reise-Privilegs. Hier wie dort heimatlos. Nach einem Gespräch mit einem West-Verleger die Sicherheit, dort nicht leben und schreiben zu können, der Sog zurück, wo niemand nichts von mir wünscht. Hier die Friedhofsruhe, dort das Marktgeschrei, das Buch als Ware. Zwischen den Welten: im Riss, die Brust offen. Die Lehre der Evolution: Anpassung. Aber wie, ohne als Claqueur missbraucht zu werden? Mit Ironie, die meine Trauer clownesk verdeckt?

      

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