Das Blöken der Wölfe. Joachim Walther

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Das Blöken der Wölfe - Joachim Walther

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Hai ganz zu schweigen, der Mann ist der Schuldige, ohne eigentlich tätig gewesen, ohne ein Täter zu sein.

      Woraus folgt, dass es schwer möglich, wenn nicht gar unmöglich ist, jemandem zu vertrauen, der seiner selbst nicht sicher ist. Wie auch umgekehrt zu gelten scheint, dass ein verlässliches Ich eine Bedingung dafür ist, sich auf ein Du zu verlassen: Selbstvertrauen als Basis des Vertrauens.

      Das klingt bestimmt (und man sollte es auf jeden Fall mit fester Stimme sprechen), als sähen wir ein Licht bei unserem Nachtschwimmen im Meer des Begriffs, das uns trägt, solange wir schwimmen, das wir spüren, aber nicht fassen können, doch hat sich nichts verändert: Das, was wir für einen Leuchtturm halten wollten, ist nur das Licht auf unserm eignen Kopf, das nichts erhellt, was wir nicht selbst beleuchten, und das ist das Nächstliegende.

      Der uns Nächste, der naheste Mensch, der Eine, Einzige, der Liebste, dem wir vertrauen, dem wir uns anvertrauen, der uns, sofern wir das unverschämte Glück haben, mit dem uns liebsten Menschen auch verehelicht zu sein, angetraut wurde mit dem Akt der Trauung. Die Liebe zu einem Menschen als höchste Form des Vertrauens. Und weil das so ist, gibt es hier auch die tiefsten Stürze, die langwierigsten Verletzungen, die größten Enttäuschungen. Nach großer Enttäuschung … ist wohl das häufigste idiomatische Kürzel im Annoncenteil der Zeitungen, in dem Menschen Menschen suchen, Nähe, neues Vertrauen. Enttäuschtes Vertrauen: Diese Wunden sind tief, weil der Getroffene wehrlos war, ungepanzert, weich, geöffnet, vertrauensselig, und der Schmerz ist groß. Oft beschrieben, besungen, öfter noch durchlitten in stummer Verlassenheit, zeigen wir aufs Herz, unsere vitale Mitte, und, siehe, es liegt offen: gebrochen, blutend, durchbohrt.

      Etymologisch kommt das Wort Vertrauen von Treue her, und insofern ist es nicht ganz falsch, einen Vertrauensbruch Untreue zu nennen, auch wenn das manchem modernen oder gar schon postmodernen Zeitgenossen anachronistisch in den Ohren klingen mag, der den Wortstamm nur im monetären Bereich, als Veruntreuung von Geld, gelten lassen möchte. Missbraucht ist das Wort, o ja, doch deshalb unbrauchbar? Wollten wir alles Missbrauchte aus unserm Wortschatz tilgen, wir würden arm, und nicht nur an der Sprache, auch am Reichtum des Empfindens. Heimat, Volk, Vaterland: alles missbraucht, oft und gründlich, und Vertrauen auch. Noch sind die Transparentlosungen auf der Netzhaut gespeichert, die wir bis vor Kurzem lesen und verinnerlichen sollten, zum Beispiel die, weiß auf rot: Unsere Liebe und unsere Treue unserem sozialistischen Vaterland! Kompakt gepresster Wortschrott.

      Aber da waren wir schon einmal. Und nicht nur wir im Osten. Liebe, Treue, sozialistisches Vaterland: Lassen wir das „sozialistisch“ weg oder setzen wir ein „national“ vor das „sozialistisch“ – schon sind wir in unserer gemeinsamen Vergangenheit. Doch unsere Losung heißt: Vorwärts, wir müssen zurück!

      Und da hören wir Meister Eckehard in mittelalterlichem Halbdunkel seine Reden der Unterweisung halten: … es gibt nichts, predigt er, woran man besser erkennen kann, ob man ganze Liebe habe, als Vertrauen. Sehr schön, sehr wahr. Und sehr wahrscheinlich kommt man diesem Mysterium als Mystiker auch näher als mit der kahlen Vernunft, die das Geheimnis, das Schwebende, das sich nicht auf den Begriff bringen lassen will und kann, als irrational bezeichnet oder gar beschimpft. Doch wahr ist auch der Umkehrschluss: Wo Misstrauen ist, kann keine ganze Liebe sein.

      Oder Woyzeck. Wie er über die Bühne hetzt, gejagt von seinen Furien, wie er, noch ahnungslos, seine Marie fragt, was da unter ihren Fingern glänze, und sie ihm antwortet: Ein Ohrringlein, habs gefunden! Worauf er sagt, er habe so noch nix gefunden, zwei auf einmal … Noch weiß er nichts vom schönen, dummen Tambourmajor, doch spürt er schon, da ist etwas, ist jemand, und eben das ist der Moment, da die schwere Krankheit in ihn fährt, sich ausbreitet und Kopf und Herz erfasst: Die Eifersucht ist injiziert, die Krankheit, die selbstzerstörerische Raserei. Hirnwütig, sagt Marie, als der schon wissende Woyzeck sie anstarrt und klagt: Ich seh nichts, oh, man müssts sehen, man müssts greifen können mit Fäusten. Und wie er dann, hin- und herrennend, hilflos wütet: Hat er da gestanden? Da? Da? Und so bei dir? So? Und wenig später dann: Du hast einen roten Mund, Marie. Du bist schön wie die Sünde. Marie: Franz, du redst im Fieber. Woyzeck: Ich habe ihn gesehen … Jeder Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt einem, wenn man hinabsieht. Sie geht wie die Unschuld! Nun, Unschuld, du hast ein Zeichen an dir. Weiß ichs? Weiß ichs? Wer weiß es? Und Woyzeck stürzt davon, stürzt in die kalte Hölle des Zweifels, fällt in das bodenlose Nichts seiner einzigen, tödlichen Liebe. Und dann sprichts aus der Wand, etwas zieht ihm zwischen die Augen wie ein Messer, und der rot aufgehende Mond ist ihm ein blutig Eisen. Das mörderische Ende ist bekannt. Das Stück ist Fragment geblieben: Wir, Schreiber, Regisseure, Schauspieler und Zuschauer zugleich, inszenieren es in Generationen fort, ohne zu einem guten Schluss zu kommen.

      Woyzeck und Marie. Oder eben Jens und Barbara. Ihn kenne ich seit 20 Jahren, sie seit fünf, als sie zusammenzogen. Er schrieb, sie malte: ein beneidenswert konfliktfreies Paar, meinte ich, bis mir Freund Jens eines Abends einen Monolog hielt, die Chronik seines geweckten Misstrauens, der Beginn vom Ende seines Traums. Er war allein, sie unterwegs, doch telefonisch nicht dort zu erreichen, wo sie angegeben hatte. Als ich kam, hatte er schon einiges getrunken. Und dann brach es aus ihm heraus:

      Fünf Jahre, sagte er, im ersten sagte ich, es sei mit ihr so schön, dass ich sterben könnte, weil Glück mir nicht steigerbar schien. Damals hätte mir eine Trennung wehgetan, heute tötet sie. Fünf Jahre freiwillige Treue, unbedingtes Vertrauen, kein Gedanke an Verrat, und ich bin sicher, es war auch bei ihr so. Vor zwei Monaten spürte ich, wie sie sich zurückzog, von mir entfernte, es war ein Ahnen, kein Wissen. Ich, beunruhigt, fragte nach, und sie sagte, sie habe jemanden zufällig getroffen, der sie irritiere. Der Hieb zwischen die Augen. Das Bedürfnis, sie zu umarmen – und gleichzeitig wegzustoßen, mich ihr zu Füßen zu werfen, sie zu erniedrigen. Sie sagte, es sei ein Verhängnis, das Leben gemein, was doch nur heißen konnte, es sei über sie gekommen wie ein Schicksal, gegen das sie wehrlos sei, als müsse sie sich entscheiden, was sie jedoch nicht könne. Ein paar Tage später sagte sie, sie habe ihn ein zweites Mal getroffen, diesmal bewusst, sie sei zu ihm gegangen, weil sie es musste, und sie habe sich in ihn verliebt, doch passiert sei nichts. Das sei die Wahrheit, sagte sie. Die Wahrheit! Frauen zwischen zwei Männern: Sie belügen keinen – und beide, ihre Wahrheit ist gespalten wie ihre Liebe. Und ich? Ich will dem nicht und muss doch zusehen, ich brauche, liebe sie, muss die Eine, Einzige verlässlich spüren, oder alles kommt ins Rutschen. Diese Abhängigkeit, diese Verfleischung der Gefühle, die den Kopf, der gern oben bleiben möchte, hinunterzieht in schwarze Strudel. Was tun, was tun? Nichts, ich kann nichts tun. Ich liebe sie und muss doch Abstand gewinnen, sie bergen, ohne sie einzusperren, sie halten, ohne von ihr in den Abgrund gerissen zu werden, das Konträre zugleich. Lähmende Traurigkeit, Alkohol, und ich will stark sein, nicht verhärten, nicht in Selbstmitleid zerfließen. Das naive, freiwillige, kindliche Vertrauen der ersten fünf Jahre ist verloren, die Unschuld dahin. Muss ich nun auf ihre, meine Liebe verzichten, mich mit ihr arrangieren, illusionslos, sogenannt erwachsen, abgeklärt? Ich will nicht! Doch so geht’s mit Stolz nach unten, die Flügel breit, den Kopf hoch, ohne zu winseln, lautlos, kampflos, sieglos. Oder sollte ich trumpfen, kämpfen, fordern? Ich schnecke mich ein, zieh mich zurück, die Fühler draußen, doch fürchtend, sie tritt darauf. Wenn ich genau wüsste, dass sie wüsste, was sie will: ein Leben mit mir, wäre ich bereit, unser Leben ihr zuliebe zu ändern. An ihr ein vorher nie gekannter Egoismus, eine Kälte, ein Schweigen, das ihre Geheimnisse birgt. Von mir hängt nichts ab. Vor ein paar Tagen sagte sie, ich müsse versuchen, mir ein zweites Leben zu sichern, ein autonomes, das auch ohne sie lebbar sei. Sie als mein einziger Halt – damit sei sie überfordert. Alles ist hohl unter mir. Und immer das Gefühl, sie sagt mir nicht die volle Wahrheit, um mich zu schonen. Ihr Schweigen, mir zuliebe, die Lüge aus Liebe. Merkwürdig, wie sich Hass und Güte ergänzen, wie ich selbst, wenn sie mich verletzt, ihr nicht wehtun möchte. Selbst als sie eines Nachts spät kam, sehr spät, sich zu mir legte, zärtlich zu mir war, mit mir schlief, und danach sagte, sie müsse etwas gestehen, sie sei vorher bei ihm gewesen. Wie das zusammenbringen, ohne wahnsinnig zu werden? Herzrasen, schlaflose

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