Das Blöken der Wölfe. Joachim Walther

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Das Blöken der Wölfe - Joachim Walther

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im Büro für Urheberpflichten. Mein Antrag zur Genehmigung einer Simplizius-Adaption für den SDR Stuttgart wird abgelehnt, in Absprache mit dem Bücherminister und dem DDR-Rundfunk. Die Stelle, die vorgibt, keinerlei inhaltliche Fragen zu entscheiden, empfiehlt mir, den Inhalt so zu überdenken, dass dieses Hörspiel in der DDR machbar ist. In der gegenwärtigen Exposé-Fassung sei es politisch nicht zu verantworten. So werden Projekte im Keim vernichtet, dabei immer die latente Drohung: nichts mehr veröffentlichen zu können.

       17.4.84

      Rückzug aus Berlin. Einzug in Mecklenburg. Das Haus auf dem Feld – ein Ort zum Bleiben, Überleben, fernab der betriebsamen Sinnlosigkeiten, des Rennens gegen Mauerbeton, vergeblich, wunden Kopfs. Die Arbeit ist schwer, doch es wird, es wird. Über mir kreist ein sowjetischer Hubschrauber wie eine dynamitgefüllte, geflügelte Kaulquappe. Ich säe trotzig Möhren. Als ob das hülfe.

       1.2.85

      Der Staat als Übervater. Er mag die braven Kinder um seiner Ruhe willen, den frechen droht er mit dem Finger, die hartnäckigen verstößt er. – Seine angemaßte Omnipotenz: Er, der allein die Mittel hat, die Giftgehalte in Luft, Wasser und Boden zu messen, erklärt die Daten zur geheimen Verschlusssache, enthält also den Menschen die Daten vor, die sie unmittelbar, vital betreffen, zu seinem, nicht deren Erhalt. Er nimmt sich das Recht: treffender ist diese Herrschaftsform nicht zu benennen.

       14.2.85

      Eine abblätternde Losung auf einer Barackenfront: Der Sozialismus siegt! Das Provisorium suggeriert Ewigkeit und pfeift im Keller. Sympathie, wachsend, für die Anarchisten: Solange das Hierarchische, das horizontal nicht Vernetzte, sondern sich vertikal Aufgipfelnde bestehen bleibt und in verratenen Revolutionen lediglich umgewälzt, aber nicht strukturell verändert wird, muss dieses menschenverschlingende Spiel, das sich Geschichte nennt, als solches demaskiert werden. Um der Menschen, der Opfer willen. Wenn ich sehe, wie pyramidaler Zentralismus überall über Menschen entscheidet, wie die Entscheider nichts befähigt als ihr mehr oder weniger gekonntes öffentliches Schauspiel (wenigstens einer der Lebenden ist Profi: Ronald Reagan), wie die Beherrscher der Menschen und ihrer eigenen Mienen Mimen sind, jedoch nicht auf harmloser Bühne, sondern realiter mit den sichtbar katastrophalen Folgen (Umwelt, Dritte Welt, Rüstung), wie sie Macht erringen und erhalten, wofür Ressourcen verbraucht, Menschen geopfert werden und gar Kriege stattfinden, wenn ich dies sehe, denk ich, es müssten Verhältnisse her, in denen es niemanden mehr gelüstet, Macht zu haben, weil dies zu gefährlich geworden ist: für den Mächtigen.

       29.5.85

      Heute etwa 50 Wurzeln einer wuchernden Pflanze in einem Umkreis von 500 Metern eingegraben. So mit dem Spaten außerhalb des Gehöfts umherzuschleichen und der Natur in ihrem Überlebenskampf zu helfen, hatte etwas Närrisches und Subversives.

       18.11.85

      Provinz, Provinz! Es scheint, als ob der Rückzug aus der sogenannten Großen in die Kleine Welt in seiner Bescheidung weniger Einschränkung denn Erweiterung bedeutet. Der ruhigere und genauere Blick auf die Natur des Wechsels, auf diesen Mikrokosmos eröffnet tiefere Perspektiven in den Makrokosmos, manchmal, selten. Letztlich hingen nach einem Regen an der oberen Querstange des Zauns Tropfen. Sonne brach durch und ließ die Tropfen diamanten blitzen. Eine kurze Zeit, ermöglicht durch einen bestimmten Einfallswinkel der Sonne, vergänglich wie der Tropfen selbst. Was andres ist menschliches Leben in kosmischen Zeiträumen, zufällig wie Tropfen und Sonnenstrahl, aufleuchtend und vergehend wie das diamantene Gleißen, wertvoll durch Unwiederholbarkeit, von einer Schönheit, deren Glanz nur in der Kunst andeutungsweise widerscheint?

       2.1.86

      Ein Traum. Mein Hinrichtungstermin ist auf 6 Uhr des nächsten Morgens festgelegt, ohne Angabe von Gründen, verhängt von einem anonymen Staat. Ich versuche verzweifelt, die wenigen Stunden sinnvoll zu nutzen, doch fällt mir in der Lage nichts Sinnvolles ein. Beim Erwachen der Schrecken über den Leviathan, des Gottes, der sich selbst inthronisiert hat und nicht sterben will. Wie überirdisch steht das staatliche Prinzip über allen und allem, führt ein abgehobenes, abstraktes Dasein und übt konkret Macht aus, die jedoch von den Vollziehenden des Apparates unabhängig ist. Er verteilt, analog zu Gottes unerforschlichen Ratschlüssen, Lob und Tadel, fasst Beschlüsse, die zu begründen er nicht verpflichtet ist, verhängt Strafen bis hin zur Todesstrafe (dies eine seiner ungeheuerlichsten Monstrositäten), reißt Völker in Abgründe, die seinem Überleben dienen. Und doch ist kein einzelner Vollstrecker des staatlichen Willkürwillens persönlich dafür verantwortlich: Dies zeigen die Schwierigkeiten, führende Staatsverbrecher als Schuldige in den großen Weltprozessen zu verurteilen – immer gibt es den Befehlsnotstand, und selbst bei den Ersten Männern gab es Zwänge, die ihnen keine andere Wahl ließen. Vergeblich, einen Schergen eines beliebigen Systems moralisch zu verurteilen, da sein Tun von ihm unabhängig einem höheren Prinzip, dem staatlichen, untergeordnet ist, das, gleich ob er wollte oder nicht, vollzogen werden muss, wenn nicht von ihm, dann von einem anderen, und einer findet sich immer. Das Verweigern des Einzelnen hält diese selbstlaufende Mechanik nicht an.

       13.8.86

      25 Jahre Mauer. Steinernes Sinnbild einer Herrschaftsform, einer Denkungsart. Leben am anus mundi.

       26.2.87

      Der Gerontologe Gorbatschow versucht den sklerotischen Koloss zu verjüngen. Er als Gejagter, der nicht viel Zeit hat. 70 Jahre Zentraldiktatur hat die Menschen unschöpferisch, lethargisch werden lassen. Nun steht der Käfig halb offen, doch sie wollen nicht fliegen, sie glauben’s nicht, haben Angst, haben das Fliegen verlernt. Wenn der gute Zar Gorbatschow am apathischen Apparat scheitert, ist der Sozialismus fürs erste passé. Ohne Demokratie keine Kreativität. Sklaven verweigern die Leistung, zu Recht. Nun erzwingt die Stagnation Wandel, bei Strafe des Untergangs. Es ist ein Nachholen, noch immer keine Neuerung. Gorbatschow gebraucht dramatische Worte. Nichts davon in den DDR-Medien, diesem täglichen Trauerspiel. Die politbürokratische Überheblichkeit: Wir hätten keinen Nachholbedarf in Sachen Demokratie, bei uns, so Honecker, sei die bereits verwirklicht, so beispielsweise bei der Mitarbeit in Küchenkommissionen, wörtlich, ernsthaft, schamlos. Er brüstet sich mit ökonomischen Erfolgen, der reale Mangel indes bleibt. Das Volk wird nicht befragt, nicht informiert, es darf Ergebenheit ausdrücken. Das Volk als Wink-Element. Wieder das Erstarren, das Sträuben gegen Neues, die Furcht vor Veränderung. Nur gezwungen und gestoßen bewegen sich die neokonservativen Führer einen Trippelschritt vorwärts. Zukunft hat das nicht. Die DDR als faradayscher Käfig: unter ihm geschützt sitzen die Informationsmonopolisten und leiten die Perestroika-Blitze aus dem Osten ab. Ein neuer betonierter Provinzialismus – der real pervertierte Sozialismus.

       17.7.87

      Die DDR schafft die Todesstrafe ab, der Staat verzichtet auf ein Machtmittel: die Anmaßung, rechtmäßig zu töten. Nun müssten weitere Schritte folgen. Verzicht auf das zentralistische Administrieren. Außerdem gibt es eine Amnestie: ein Gnadenakt der alten Art. Nicht Gnade, sondern Rechtsstaatlichkeit ist nötig. Und das Abschaffen der Honecker-Strafrechtsparagrafen Hetze, Verbindungsaufnahme etc., dieser Gummi-Paragrafen, die machtpolitischer Willkür alle Möglichkeiten geben. Aber nichts davon.

       27.12.87

      Der Mensch, Nutznießer und Opfer seiner erhöhten Produktivität, sieht sich immer weniger imstande, den Selbstlauf der Prozesse zu steuern. Sein Tun ist immer weniger freiwillig, freie Entscheidung zum Fortschreiten. Es ist ein zwanghaftes, zwangsläufiges Vorwärtshasten, eine Flucht nach vorn, ein Zug ohne Bremse, ohne Möglichkeit des Aussteigens, das Tempo ist zu hoch. Es sei denn, er verzichtet aus Einsicht, er findet für sich neue Werte. So aber wie bisher isst er den Apfel Erde, auf dessen Schale,

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