Echo eines Freundes. Ingvar Ambjørnsen

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Echo eines Freundes - Ingvar Ambjørnsen

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      In einer gewissen Zeit nach dem Tod meiner Mutter hatte ich mein Leben aus dem Griff verloren. Damit Ordnung und Fleiß wieder hergestellt werden konnten, mussten vorübergehend andere das Steuer übernehmen. Das kommt in den besten Familien vor. Das Dasein wächst einem über den Kopf. Man endet im Chaos.

      Es ist dieser Zustand böser Anarchie, an den ich jetzt denke, als ich die Tür der Sigurdsbude öffne. Hinter mir: der herbstliche Garten mit dem melancholischen Zwitschern von Meise und Zeisig und dem Gurgeln in den Dachrinnen des Hauses. Vorn: ein Raum, der stark an meinen eigenen Kleiderschrank in der erwähnten Periode erinnert. Eine massive Wand aus Gegenständen. Eine Art Installation einer gequälten Yoko Ono. In dem kompakten Chaos kann ich ganze Möbel, Teile von Möbeln und Möbeltrümmer sehen, Ordner und Papiere, Stapel von Zeitungen und Zeitschriften, Pappkartons und Schuhkartons, Vorhänge und Teppiche, alte Farbeimer, geöffnete Zementsäcke. Bücher. Spielzeug. Werkzeug. Das alles und unendlich viel mehr. Wie gesagt: eine Wand. Wo die Hohlräume, die entstanden sind, wenn größere Gegenstände aufeinandergestapelt wurden, nach und nach von anderen und kleineren gefüllt worden sind. Im Winkelraum zwischen einer zerbrochenen Lampe und dem Türrahmen: kleine Medizinflaschen, hineingeschoben, bis kein Platz mehr war. Zwischen den Fächern eines zerbrochenen Regals: Konservendosen voller Schrauben, Nägel und Maschinenteile, mit peinlicher Genauigkeit nach Höhe und Breite gestapelt. Und überall, in allen kleineren Ritzen und Hohlräumen: Papierservietten in allen Regenbogenfarben, zusammengefaltet und hineingeschoben, ein Flickenteppich des Wahnsinns aus diesem und jenem und dem Teufel und seiner Großmutter, so etwas habe ich noch nie gesehen, aber das habe ich eben doch. In meinem eigenen Schlafzimmer, in der guten alten Blockwohnung, in der Mutter und ich in Alltag und Kampf zusammengelebt haben.

      Wo es dann mit mir ein böses Ende nahm.

      Ist es wirklich erst eine Stunde her, seit ich beschlossen habe, dass der Gang zum Briefkasten das Projekt für diesen Tag sein sollte? Vorbei an Frau Frimann-Clausens Küchenfenster?

      Und jetzt das. Plötzlich wirkt alles so fremd. Wie etwas Gigantisches aus einer Parallelwirklichkeit. Ich fische das Mobiltelefon aus der Tasche und weiche zurück, bis die Türöffnung der Sigurdsbude das gesamte Display füllt. Knipse. Einmal, zweimal, dreimal, vielmal. Doch. Das hier ist Kunst. Das hier ist kranke Kunst. Das kann ich vergrößern und zur Herbstausstellung schicken.

      Aber dann schicke ich es lieber an Annelore Frimann-Clausen.

      Mit dem Text: Alles wegwerfen? Nur das Werkzeug behalten?

      Ich brauche eine Bestätigung. Am liebsten schriftlich, per SMS.

      Ich habe mir schon eine azurblaue Vase und eine Ukulele ohne Saiten ausgesucht.

      Ich gehe ein bisschen in den Garten. Es ist so ein schöner Herbsttag, mit hohem Himmel und Laub in allen Farben. Säuerlicher Geruch von feuchtem Gras und Fallobst. Wann habe ich zuletzt so auf einen Anruf gewartet? Oder eine SMS? Ich kann mich nicht erinnern. Es muss Jahre her sein. Es muss in einem anderen Leben gewesen sein. Ich lasse die Tür zu meiner Wohnung sperrangelweit offenstehen. Schon liebe ich diese Tür. Es ist eine Tür von der Sorte, die ich bisher nur im Film und in Wohnzeitschriften gesehen habe. Die Glastür, die direkt in den Garten hinausführt. Ich fülle einen großen Becher mit Tee aus der Thermoskanne und nehme ihn mit hinaus. Ich bin König und Kaiser und Herr des Gartens! Ich nippe an dem würzigen Getränk, während ich das Telefon in der linken Hand halte.

      Es klingelt, als ich mir eine einzelne Johannisbeere von einem fast geplünderten Strauch unten am Zaun sichere.

      Sie ist es.

      »Hach, das ist mir jetzt aber wirklich peinlich.«

      Ich: »Peinlich?«

      »Ja, mir war gar nicht klar … ich wusste nicht, dass es so weit gekommen ist. Ich hätte natürlich nachsehen müssen, ehe du gekommen bist.«

      Hier schalte ich mich mit ruhiger Stimme ein und versichere ihr, dass es hier im Fiolvei 5 rein gar nichts gibt, das ihr peinlich sein müsste. (Abgesehen von dem Schimmelpilz, der im Schlafzimmer und im Bad auf dem Vormarsch ist, aber den behalte ich bis auf Weiteres für mich.) »Ich habe mich jetzt nur gemeldet, weil ich wissen wollte, ob ich wirklich alles wegwerfen soll, das nicht …«

      »Ja. Sigurds Werkzeug will ich behalten. Und die Hobelbank. Den Rest kannst du entsorgen. Aber ich hab das wirklich nicht so gemeint, dass du dich jetzt gleich darüber hermachen solltest. Wenn ich gewusst hätte, wie es da unten aussieht … Ja, das ist eine lange Geschichte. Das verstehst du sicher. Es hat mit deinem Vormieter zu tun. Aber ich will dich damit jetzt nicht belästigen. Wie gesagt. Es tut mir leid.«

      Wir machen ab, dass ich eine Grobsortierung vornehmen soll. Dann wird sie jemanden »auf den Schuppen ansetzen«, was wohl bedeutet, dass jemand aus Polen die größten Teile holen wird, wenn ich meinen Teil der Arbeit erledigt habe.

      Sie will mir einen Tausender geben.

      Ich lehne höflich ab.

      Sie besteht darauf.

      Ich lehne noch einmal ab, aber dann bedanke ich mich ganz schnell, damit ihr die Sache nicht noch peinlicher wird.

      Wir beenden das Gespräch.

      Ich renne auf der Stelle und klatsche in die Hände, aber nur ganz kurz, weil ich über die Nachbarschaft hier oben weniger als nichts weiß.

      Phantasien. Freier Flug von Spiel und internen Scherzen, ein unschätzbarer Trost im Alltag, das ist meine Stärke, meine geheime Waffe. Die glatte intellektuelle Fassade zu bewahren, das nachsichtige Lächeln, die gehobene Augenbraue – und zugleich die jungenhaften Einfälle im tiefsten Herzen zu pflegen, der Umwelt verborgen. Auf diese Weise wird ein schnelles Mittagessen in dem zubereitet, was jetzt als Bistro der Sockelwohnung erscheint; spielend leicht von einem Koch aus Kroatien, es gibt eine feingehackte rote Zwiebel und eine reife Avocado, es gibt winzige Würfel aus mittelaltem Gouda, vier Kapern und ein Eigelb, alles angerichtet auf einem gebratenen Stück Brot, in einem Bett aus zerlassener Margarine. Und in dem Moment, in dem der kroatische Koch den Teller auf die Platte des blauen Tisches schiebt – da lässt man sich selbst am Tisch nieder und bedankt sich für die Einladung. Hebt Messer und Gabel und nickt dem Abgesandten der Fernsehnachrichten wohlwollend zu. Doch, so ist es. In Grefsen in Oslo wurde ein historischer Fund gemacht, und der Unterzeichnete hat alles ausgegraben, das trug sich heute Vormittag zu, und natürlich ist das Kulturministerium bereits informiert worden. Nein. Bis auf Weiteres ist die Fundstätte markiert und abgesperrt. Jeglicher Verkehr in der Umgebung ist streng verboten. Was? Ja, auch das trifft zu. Es handelt sich um eine komprimierte Masse von Objekten unterschiedlicher Art, Konsistenz, Farbe und Funktion.

      Es hat mit deinem Vormieter zu tun.

      Ach ja? Ich habe ja schon angenommen, dass es sich um ein männliches Wesen handelt. Jetzt verstehe ich auch, dass hier offenbar eine Art Geisteskrankheit vorliegt. Eine andere Möglichkeit, die sich durchaus nicht ganz ausschließen lässt, ist, dass Annelore ihm die Schuld zuschiebt. Wozu sie ja andererseits auch sehr gute Gründe haben kann.

      Mir kann das ja egal sein, als ich mir nun ihren leuchtenden Tausender vor mein inneres Auge rufe. Tausend Kronen, um eine überfüllte Bude auszuräumen! Das ist phantastisch. Vor allem, da ich schon feststellen konnte, dass sich einige dieser Gegenstände problemlos verkaufen lassen. Die azurblaue Mingvase, zum Beispiel. Die wird nicht für einen oder zwei Zehner verschleudert. Ein Bonuspunkt an dieser ohnehin schon positiv geladenen Situation ist natürlich, dass mir der verheißene Tausender wichtige Informationen über meine neue Vorgesetzte hier im Hause vermittelt. Sie hat ein lockeres Verhältnis zum Geld.

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