Echo eines Freundes. Ingvar Ambjørnsen

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Echo eines Freundes - Ingvar Ambjørnsen

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für einen Moment ein budenhaftes Gebäude draußen im Garten. Ich hatte schon begriffen, dass dieser Abend einer von der Sorte war, an die ich mich noch oft erinnern würde, und zwar mit Freude und Wehmut gleichermaßen.

      Aber die Sigurdsbude?

      Und nun war sie diejenige, die von Wehmut erfüllt wurde. Nach nur wenigen Sekunden saß ich mit dem gerahmten Hochzeitsbild in den Händen da, das junge Paar, sie schaute aus strahlenden Augen zu ihm auf, er hatte einen etwas zerstreuten André-Bjerke-Blick, er schien hinter dem Rücken des Fotografen mystische blaue Gipfel zu erspähen. Gab es ein Leben nach dem Tod?

      Diese Bude habe Sigurd gebaut, erklärte Annelore, für den Fall, dass ich das noch nicht begriffen hätte, und in diesem Glauben ließ ich sie mehr als gern. Auf einem anderen Foto, das sich auf demselben Beistelltisch befand, starrte er uns mit Kirkeby-Brille und einer geraden Pfeife, wie der Vater von Dennis sie hatte, geradewegs ins Gesicht.

      »Ein flottes Mannsbild!«, ich fügte hinzu: »Ein flottes Paar!«

      Ja, vielen Dank für dieses Kompliment, er sei ein lieber Mann gewesen, es war der Krebs, und das ganze Leben in derselben Anwaltskanzlei, ja, auch in derselben Loge, übrigens. Und dann gebe es noch etwas, worüber sie nicht so gern spreche, das sich aber nicht unter den Teppich kehren oder totschweigen lasse, und das sei die Kiefernhecke.

      Wieder ging ich mit ihr ans Fenster, und abermals wurde in den dunklen Garten gezeigt. Nach einer Weile ging mir auf, dass besagte Kiefernhecke ein Teil der Dunkelheit war, die die Sigurdsbude jetzt teilweise versteckte, und mitten in der Kiefernhecke konnte ich auch das Licht von einem Fenster im Nachbarhaus ahnen, es sah aus wie ein trübes gelbes Auge im tiefen Schwarz.

      Diese Hecke gehöre Meijer, mit ij, sie betonte das gewaltig, und der Odem von dreißig Jahren nachbarlichem Zwist schlug mir entgegen wie ein eiskalter Wind, aber dann teilte sie einfach mit, die Hecke dürfe unter gar keinen Umständen beschnitten oder berührt werden. Es war spielerisch leicht zu verstehen, dass ich nicht zur Teilnahme an ihrem Krieg eingeladen wurde, aber dass ich, als neuer Hausbewohner, doch über den Frontverlauf im Bilde sein müsste.

      Jetzt wusste ich es also.

      Sie hatte vor Gericht verloren. Zu Lebzeiten Sigurds wäre das niemals passiert, aber so war das Leben und so war der Tod. Karsten Meijer arbeitete im Außenministerium. Und den Rest könnte ich mir ja wohl denken.

      Das Letzte, worauf wir uns einigten, ehe ich voller Optimismus und Tatendrang die Schlüssel zu den Räumlichkeiten entgegennahm, in denen sich mein neues Leben abspielen würde, war, dass ich an jedem letzten Sonntag des Monats bei ihr essen sollte. Bei dieser Mahlzeit würden wir in einem praktischen und angenehmen Rahmen Dinge zur Sprache bringen, die sich auf das Mietverhältnis und das tägliche Leben im Haus bezogen. Eine hervorragende Alternative dazu, »einander die Bude einzurennen«, da stimmten wir beide überein, und ich sah schon eine gute altmodische Mahlzeit vor mir, serviert auf weißen Porzellantellern mit Goldrand, Kalbsfrikassee, Hammelkohl, geräucherter Schellfisch, leicht gesalzener Kabeljau und Schweinerippe.

      Der letzte Sonntag im Monat? Bis dahin waren es nur noch vierzehn Tage. Dann würde der September in den Oktober übergehen. Wir kamen überein, dass es eine ganz hervorragende Idee war.

      Zitat: »Denn dann kannst du doch einfach die ganze Mängelliste mitbringen und wir können das gleich alles klären.«

      Worauf wir mit wieherndem Lachen voneinander Abschied nahmen und ich in die Dunkelheit hinausglitt und mit ihr eins wurde.

      3

       Die Sockelwohnung

      Der Weg war mir erklärt worden. Ein Irrtum war angeblich unmöglich, und zum Glück stimmte das dann auch. Ich folgte den Schieferplatten zur Hausecke, wo eine gelbe Außenlampe angebracht war. Vermutlich von Sigurd, dachte ich dankbar, und sicher hatte er bei der Planung an jemanden wie mich gedacht. Eine Außenlampe hinten an der Ecke, damit ein eventueller Mieter der Sockeletage sich nicht im Stockfinsteren seinen Weg suchen müsste. Das hier – also, dass er an mich gedacht hatte, ohne auch nur eine Ahnung von meiner Existenz auf Erden zu haben, fand ich rührend. Vor allem im Hinblick darauf, dass er jetzt tot und verschwunden war. Dass wir niemals eine Gelegenheit gehabt hatten, uns zu begegnen, damit ich mich bedanken könnte. Da und dort, als ich gerade um die Ecke bog und die Treppe betrat, auf die mich Annelore Frimann-Clausen vorbereitet hatte, beschloss ich, dass die »Mängelliste«, wie sie das vorhin so scherzhaft genannt hatte, stattdessen eine Liste über alles sein sollte, was ich an meinem neuen Aufenthaltsort zu schätzen wusste. Wenn ich in meinem bisherigen Leben etwas gelernt habe, dann, dass es sich zeitweise lohnen kann, das Suchlicht auf das Positive zu richten. Auf alles, was funktioniert und das Leben leichter macht. Und da Sigurd also in weiser Voraussicht an der Hausecke diese Außenlampe angebracht hatte, fiel das Licht eben auf diese Seite, so dass die Treppe zu meiner Wohnungstür nun strahlend erleuchtet war, sogar an einem dunklen Herbstabend.

      Gut gedacht, dachte ich, während ich meinen Koffer auf die Schieferplatten stellte und den Schlüssel aus der Jackentasche zog.

      Ich beschloss, mir diese Ankunft einzuprägen. Dafür zu sorgen, dass sie mir in Erinnerung blieb. Nicht, weil ich damit rechnete, dass ich jemals gebeten werden würde, über dieses für mich historische Ereignis zu sprechen, sondern einfach für mich selbst. Wie oft war ich umgezogen, seit ich seinerzeit, in einem Alter von einunddreißig, aus meinem Elternhaus vertrieben worden war? Es kam darauf an, wie ich das zählte. Und was man als neues Heim betrachtet. Ob man beschließt, alle Orte mitzunehmen, an denen man sich über einen gewissen Zeitraum aufhalten musste. Auf jeden Fall, dachte ich, um jetzt nicht stehenzubleiben und über solche Dinge nachzudenken, ist das hier, diese Sockelwohnung, die du im nächsten Augenblick betreten wirst, aller Wahrscheinlichkeit nach dein letzter Aufenthaltsort auf Erden. Diese Erkenntnis stimmte mich feierlich und ehrfürchtig, ich blieb für einen Augenblick stehen und fuhr mit der Hand über die weiß gestrichene Tür. Berührte vorsichtig die Türklinke. Wie oft würde ich durch diese Tür aus- und eingehen, ehe mich der Tod in sein Reich rief? Aus und ein, bei Regen und bei Sonne, bei Schnee und Wind. Sommer, Winter, Herbst und Frühling. In Freude und Trauer. Ich sah mich so deutlich vor mir. Wie ich in Shorts und Sandalen die Treppe heruntertänzelte, und dann wieder mit Mantel und Wollmütze. Auf dem Weg nach und von, wie das Leben nun eben ist. Hier und jetzt: Ein Fremder, der zum ersten Mal diese Tür aufmachen würde. Aber schon in einem oder in drei Tagen: Alltag. Routine. Der Schlüssel, der unbewusst aus der rechten Hosentasche gezogen und automatisch ins Schloss gesteckt wurde. Das vertraute Klicken, das verriet, dass die Tür offen war. Dass ich einfach eintreten könnte. Der sichere Winkel im Dasein, wo die vertrauten Geräusche und Gerüche herrschten. Dort, wo die Stunden vorhersagbar waren.

      Aber jetzt. Da steht er. Der Fremde. Eine dunkle Gestalt im Durchgang zwischen dem hohen Bretterzaun zum Nachbargrundstück und der weiß gestrichenen Hauswand. Der groben Grundmauer. Die Füße fest auf die Steinplatte vor der Tür gesetzt. Den Schlüssel in der Hand. Und der unvermeidliche Gedanke: Was, wenn der nicht passt? Was, wenn du den Schlüssel ins Schloss schiebst und dann kannst du ihn weder nach rechts noch nach links drehen? Du steckst fest. Du kannst den Schlüssel auch nicht herausziehen. Wenn du Gewalt anwendest, bricht er ab. Als ob er aus Glas wäre. Andere Menschen haben diese Tür tausendmal geöffnet, aber wenn die Reihe an dich kommt, ja, dann geht es schief. Mit einer solchen Nachricht zu Annelore Frimann-Clausen zurückzukehren, ist ausgeschlossen. Es ist ganz einfach unmöglich. Du auf der Flucht hinunter nach Sandaker und weiter. In freiem Fall in ein Dasein als drogensüchtiger Obdachloser. Der Weg ist kurz. Darüber lesen wir in der Zeitung. Sehen es im Fernsehen. Jede menschliche Zerstörung beginnt mit etwas, das im Ausgangspunkt wie eine alltägliche Bagatelle wirken kann. Dann kommt eins zum anderen. Und dann bricht alles zusammen.

      Es

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