Echo eines Freundes. Ingvar Ambjørnsen

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Echo eines Freundes - Ingvar Ambjørnsen

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ins Yale-Schloss. Steht jetzt jemand im Dunkeln bereit und beobachtet mich? So kommt es mir vor. Ich ziehe den Schlüssel vorsichtig wieder heraus. Schleiche mich zur Ecke. Dort liegt der kleine Garten in seiner ganzen steilen Pracht. Dort liegt die Sigurdsbude, halb verschlungen von der Kiefernhecke. Dann gehe ich mit entschiedenen Schritten zurück und schließe ohne weiteres Federlesen die Tür zum Gang auf. Ziehe die Tür hinter mir ins Schloss. Bin endlich zu Hause.

      Wohnzimmer mit Küchenecke, eine sogenannte »offene Lösung«. Das gefällt mir. Vor dem einen Fenster zum Garten: ein blau gestrichener Tisch. Zwei Stühle. Das gefällt mir auch. Man kann nie wissen, was die Zukunft im Schilde führt, auch wenn die Zeit langsam zu Ende geht. Vielleicht eines Tages. Zwei. Eine Frau und ein Mann, die hatten einander so lieb. Küche? Ein Spülbecken und eine Kochplatte. Was will man noch mehr? Zwei Platten, ein Backofen mit Platz für ein mittelgroßes Hähnchen. Das ist mehr als genug. Übersichtlich und praktisch. Die Schränke voller Gläser und Teller. Ich scherze mit mir selbst. Sage mit lauter Juxstimme, dass ich erst irgendwann im Frühling spülen muss. Jage mich in die Sofaecke, dann weiter ins Schlafzimmer. Wo ich zuerst einen kleinen Zusammenbruch erleide, ehe ich das Lächeln wieder hervorzwinge. Die Tapete ist aus Kunststoff und stammt aus den achtziger Jahren. Gelb und Braun in Kreisen und Quadraten. Schwarzer Pilzangriff oben unter der Deckenleiste. Fenster? Nein. Doch. Zwei Stück im Format fünf mal fünfzehn Zentimeter. Aussicht auf die Rückseite der Mülltonne. Ich lasse mich auf das Bett fallen, das nach Schimmel riecht, vielleicht nach etwas noch Gefährlicherem. Im Badezimmer mit der Toilette hat der schwarze Pilz seinen Feldzug zum vollen Sieg fortgesetzt, und im Abfluss der Dusche hat jemand seine DNA in Form von Kopf- oder Schamhaaren hinterlassen. Unwiderlegbare Beweise, aber der Täter ist über alle Berge.

      Ich weigere mich zu weinen. Ich versichere mir selbst, dass ich hiermit umgehen kann. Ich weiß nur zu gut, was die Alternative ist.

      Laufe auf der Stelle. Beruhige mich. Das hier wird ein schönes Zuhause werden. Ein wunderschöner Aufenthaltsort. Meine Höhle. Schlafzimmer ohne Fenster ist Gewöhnungssache. Es wird sich ein Rat finden. Es wird sich für alles ein Rat finden.

      Draußen im Gang stehen die Kartons mit meinen Habseligkeiten. Wie versprochen. Und der mit einem Tuch bedeckte Fernseher. Ich trage ihn vorsichtig ins Wohnzimmer und bugsiere den Stecker in die Dose. Minuten später sitze ich in meiner eigenen Wohnküche und sehe irgendeine Fernsehdiskussion. Ohne Laut. Nur sicherheitshalber. Es ist nicht lange nach neun, aber dennoch. Kein Grund, die gute Stimmung aufs Spiel zu setzen, die wir meinem Gefühl nach während der gerade hinter uns liegenden kurzen Begegnung etabliert haben. Sie sitzt doch immerhin jetzt da oben und lauscht. Etwas anderes kann ich mir einfach nicht vorstellen. Ich würde genau dasselbe tun, wenn ich in ihrer Lage wäre. Die Fernsehdiskussion scheint an Tempo zu gewinnen. Der Moderator versucht, die Gemüter zu beruhigen, das aber ohne besonders viel Glück. Schwenk zu einem Marktplatz. Blut. Eine Menge Blut. Zerfetzte Leiber, halb mit Plastikplane bedeckt. Zurück ins Studio. Ton ist absolut unnötig. Leicht, von den Lippen zu lesen. Das hat nichts mit dem Islam zu tun, sagt der mit der Hornbrille. Rein gar nichts. Worauf der, der ein bisschen aussieht wie ein Forscher, oder vielleicht eher wie ein Archäologe, einen zornbebenden Zeigefinger auf eine Person richtet, die nicht mit im Bild ist. Kamera in Bewegung. Vermutlich zu Lars Gule. Aber nein. Eine junge Frau in hellblauem Hidschab. Die sicher etwas über Mackerherrschaft und Brand im Haus des Islam sagt. Der gelöscht werden muss und wird. Der Archäologe nutzt die Gelegenheit, um eine skeptische Miene aufzusetzen.

      Doch, wenn ich Annelore wäre, würde ich jetzt unbedingt mit gespitzten Ohren dasitzen, an diesem allerersten Abend mit einem Fremden im Haus. Obwohl der erste Eindruck so absolut ermutigend war. Es ist immerhin ihr Haus. Ich würde denken: Wir werden in den kommenden Jahren schließlich zusammenleben. Es ist sehr wohl möglich, dass er mich nach dem Gehirnschlag finden wird. Wenn ich hilflos im Badezimmer liege. Oder schlimmer: Auf dem Klo. Gebadet in eigenen Sekreten. Es wird nicht länger als zwei Tage dauern, dann kennt er meine Gewohnheiten, und ebenso schnell wird er auf Abweichungen reagieren. Ich werde in meinem dunklen Wohnzimmer sitzen und auf seine Aktivitäten horchen. Um sie besser kennenzulernen.

      Schwenk zu einer wütenden Menschenmenge. Bart. Jede Menge Bart. Grüne Flaggen mit seltsamer Schrift. Flammen. Ich schalte um auf Kanal 7. Travel. Indien. Der Ganges, vermutlich. Muntere Frauen, die im grauen Flusswasser bunte Kleidungsstücke waschen. Vermutlich zu den Klängen einer gutgestimmten Sitar. Ich achte nicht auf die Untertitel. Gebe mich den Bildern hin. Eine Leiche treibt vorbei. Jemand wäscht einen Elefanten. Kinder, die spielen und auf den Kameramann zeigen. Das Leben geht seinen endlosen Gang, und vielleicht werden wir im nächsten Leben als Dromedare und Bienen geboren. Habe ich im Küchenschrank nachgesehen? Im Kühlschrank? Nein. Der Kühlschrank, ein praktisches kleines Teil mit eingebautem Tiefkühlfach, ist ganz einfach leer. Dazu gründlich gesäubert. Leuchtend rein. Kalt. Das Tiefkühlfach eisfrei. Gut. Ich versuche mir vorzustellen, wie es wäre, in eine Wohnung mit einem schmutzigen Kühlschrank zu ziehen. Fischblut unten, dazu ein vergessener Brokkolistrunk in voller Schimmelblüte. Ich habe Glück gehabt. Mit dem Schimmelpilz in Schlafzimmer und Bad kann ich viel leichter umgehen. Der ist längst nicht so dreckig. Im Küchenschrank: eine Schachtel Liptons Tee mit acht Beuteln. Und eine Packung Salz. Nicht schlecht, denke ich nun, um dann meinen nächsten Gedanken auf den Proviant im Koffer draußen auf dem Gang zu richten. Bald darauf sitze ich zum allerersten Mal an dem blauen Tisch, mit einer schlichten, aber wohlschmeckenden Brotzeit und einem dampfenden Becher Tee. Aber Moment! Das mittlere Fenster ist ja wohl eine Tür? Wahrlich, wahrlich! Und der Schlüssel steckt von innen und überhaupt. Ich stehe auf der Türschwelle und trinke den heißen Tee. Gleichzeitig nehme ich den frischen Herbstabend in mich auf. Flüstere in die Dunkelheit hinein: Hier wirst du es gut haben. Du hast sogar direkten Zugang zum Garten.

      Nun zieht Annelore Frimann-Clausen oben im ersten Stock an der Schnur. Ein sanftes Gurgeln in den Rohren hängt für einige Sekunden gewissermaßen in der Luft, während das Unaussprechliche weggetragen wird, vermutlich unter den Rasen, wo sich der große Tank befindet. Nun gut. Die Herrscherin des Hauses hat ihr Geschäft verrichtet, ob nun Bimmelim oder Bommelom (wie meine Großmutter immer sagte), und macht sich jetzt bereit für die Nacht. Gott segne sie und unser teures Vaterland, denke ich.

      Und verwende den Teebeutel ein weiteres Mal.

      Ich hasse Verschwendung.

      4

       Ein gesegnet normaler Supermarkt

      Ich träume, ich wäre eingesperrt. Bekäme keine Luft. Im Traum befinde ich mich in einer winzigen Wohnung unter der Erde. Ungeheuer kleine, klaustrophobische Kammern, noch dazu mit Möbeln vollgestopft. Tische, Sofas und Stühle, ich stolpere mit Staub und Schimmel im Mund umher. Ich kann nicht schlucken, ich will um Hilfe rufen, aber das Einzige, was aus mir herauskommt, ist ein fremdes, boshaftes Lachen. Zwischen den kleinen Kammern gibt es ein Netzwerk aus langen engen Gängen, die Wände sind niedrig, ich muss mit einer Art Heroinknick in den Knien gehen, ab und zu muss ich sogar niederknien, jemand ist hinter mir her, ein nach Schweiß stinkender Schatten; etwas haucht mir in den Nacken, ich flehe auf Knien um mein Leben, und darum, nicht ganz und gar den Verstand zu verlieren, oder ist es schon zu spät? Hat die Vernunft mich bereits verlassen? Woher kommt dieses fremde Lachen, das die ganze Zeit durch mich hindurchströmt wie ein Abwässerfluss? Josef Fritzl maskiert als Annelore Frimann-Clausen. Nackt. Verzerrt, mit runzliger Elefantenhaut. Ich selbst gefangen in einem Käfig. Annelore Frimann-Clausen, die aufschließt und die acht Türen zu der Wohnung aufschiebt, in der sie mich gefangen hält, zusammen mit der Tochter Elisabeth, Kellersklavin in vierundzwanzig grauenhaften Jahren, ich ahne die Zeit wie einen kalten Windstoß Revue passieren. Vergewaltigungen. Einsame Geburten. Jetzt hält sie meinen Schwanz in der Hand, und ich merke, dass ich überaus widerwillig wachse und hart werde. Und sie lächelt ohne Zähne, habe ich daran gedacht? Wie gut es ohne Zähne wäre? Nun wecke ich mich selbst, ich vertreibe mich aus diesem Kellerkerker, beschämt und wütend, schweißnass und gehetzt. Und befinde mich auch jetzt in einem fremden Raum

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