Totalbeton. Karoline Georges
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Meine tägliche Zuteilung bestand aus einer Spritze Antikörper, einem Liter Wasser und acht Portionen Nährmittel, unter der bedrückten Grimasse der Mutter oder dem kalten Auge des Vaters, der jede Familienprozedur mit demselben entnervten Seufzen überwachte, ob ich nun Schluckgeräusche machte oder mich zu schnell auf meinem Platz im Wohnzimmer niederließ, wo ich mich überhaupt nicht mehr bewegen durfte. Alles musste gemessen sein, Bewegungen und Worte, Portionen und Proportionen. Alles auf ein Minimum reduzieren, Gegenstände zum Beispiel, um Unfälle zu vermeiden, um die Störung von werweißwas oder werweißwem zu vermeiden. Das war zunächst der Vater, der sich fast gar nicht bewegte, wie auch die Mutter nicht, die sich um alles Sorgen machte, vor allem, dass man die Anderen ringsum stören könnte. All diese Unbekannten, in zwei Metern Entfernung hinter jeder Wand, die hätten uns denunzieren können, wenn es Wortwechsel zwischen der Mutter und mir gab. Jemand hätte den Ärger des Vaters hören können, selbst verdichtet zu einem einzigen Pfeifen der Nase; jemand hätte merken können, dass der Vater und die Mutter sich gar nicht mehr ansahen, ich sie aber umso mehr und umso fragender.
Ich hatte schon begriffen, dass man die Regeln unbedingt befolgen musste, weil man sonst in die Gräue ausgestoßen wurde und Staub fressen musste, bis man verfaulte. Wenn ich Lust auf Zeitvertreib hatte, bat ich also um Schlaferlaubnis. Mit genau dieser Formulierung konnte ich ein entnervtes Seufzen des Vaters oder eine Träne der Mutter vermeiden.
Der Schlaf stört nicht mal Gegenstände, stellt nichts in Frage, weder die räumliche Enge noch die schlechte Stimmung des Vaters oder die Traurigkeit der Mutter. Der Schlaf stellte stets eine Befreiung dar, denn der Vater schloss erleichtert einen Moment die Augen, wenn ich den Platz aufgab, den ich normalerweise neben ihm einnahm. Da taten sich plötzlich fünfundsiebzig Zentimeter auf, ein neuer, vollkommen wolkenloser Horizont.
Der Schlaf war garantierte Stille, ohne jegliche Frage, die den Vater und die Mutter zwangsläufig in Bedrängnis gebracht hätte, aber auch sämtliche Unbekannten in Hörweite. Denn man durfte nicht fragen, weshalb alles so trist war, weshalb so langweilig, weshalb man zu ersticken meinte, weshalb der Vater so hässlich war mit seinen Grimassen, weshalb die Mutter stumm darum bat, ihre Tränen nicht zu verraten. Der Schlaf war immer eine vorbildliche Lösung.
Die Schlafstelle war so groß wie das Tuch, und das Tuch reichte von einem Ellbogen zum andern und vom Hinterkopf bis vier Zentimeter über meine Füße hinaus. Früher oder später wirst du zu groß werden und zu viel Platz brauchen, hielten mir der Vater und die Mutter vor. Dann wirst du dich kleiner machen müssen.
Ich hatte Angst vor dieser problematischen Größe, die es sofort zu reduzieren galt, regelmäßig sah ich mich vor mir, wie ich eingerollt auf der Seite lag, in genau derselben Haltung, die der Vater und die Mutter einnahmen, zwei formlose, schweigende, zusammengestauchte Massen, ähnlich wie die Müllsäcke, die zur Entsorgungsanlage ans Ende der Etage gebracht wurden. Aber jener schicksalhafte Tag der vollen Größe kam nie, ich blieb klein, immer klein; vielleicht war es mir ja auch gelungen, aus lauter Angst vor meiner Größe zu schrumpfen. Ich konnte mich noch lang machen, die Zehen strecken, um das Relief meines Körpers abzuflachen und so, dem Anschein nach, in der Leere des Raums aufzugehen.
Am Morgen nach dem, was der Vater als mein Verschwinden betrachten sollte, blieb das graue Tuch allein und zusammengefaltet mitten auf der Schlafstelle liegen, zu dem Zeitpunkt, da ich normalerweise zwischen den Spritzen und der Immobilisierungsphase im Wohnzimmer wartete. Die Mutter betrachtete das kleine graue Rechteck, ohne sich zu rühren, als könnte ich mich noch darauf befinden. Das Kind war schon so klein, dachte sie, so winzig, dass es irgendwann gar nicht mehr war.
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