Mörder-Quoten. Leo Lukas

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Mörder-Quoten - Leo Lukas

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den Rashomon-Effekt angesetzt, jenes nach Kurosawas Filmkunstwerk benannte Phänomen der selektiven Wahrnehmung; hielt mich dann aber doch im Zaum.

      „Ja“, sagte er. „Ich bin unsicher, ob ich einen Mord, den ich hätte ausführen sollen, tatsächlich begangen habe.“

      Ich spürte, dass sich mir die Nackenhaare aufstellten. Weidlich bemühte ich mich, das Gefühl zu ignorieren, ich würde in eine Sache hineingezogen, die mir alsbald über den Kopf wachsen könnte. „Unangenehm“, sagte ich, Verständnis vortäuschend. „Was bringt Sie zu dieser Vermutung?“

      „Das Ganze war überhaupt nicht mein Stil. Vielmehr im Endergebnis ein Pfusch, wie er mir niemals unterlaufen würde.“

      „Ah ja.“ Ich nickte, breitete aufmunternd die Arme aus. „Schildern Sie doch einfach, was Sie daran bedrückt.“

      Und das tat er.

       2

      Ins Haus zu kommen, ist keine Hexerei. Der Bravo hat einen Generalschlüssel, wie ihn sämtliche Wiener Zeitungsausträger besitzen. Als solcher ist er auch verkleidet, passend zur frühen Morgenstunde. Jedes Detail stimmt, bis hin zu den Verhältnissen in der dicken Umhängetasche: fünfmal Krone, zweimal Kurier, je einmal Presse und Falter.

      Seiner Recherche zufolge gibt es im Stiegenhaus keine Kameras. Trotzdem geht der Bravo auf Nummer sicher, prinzipiell. Er trägt eine hauchdünne Maske, die nur aus nächster Nähe als solche zu erkennen ist und die biometrische Aufzeichnung charakteristischer Gesichtsmerkmale verunmöglicht. Sein Bild findet sich in keiner polizeilichen oder sonstigen Datenbank. Er legt Wert darauf, dass das noch länger so bleibt.

      Auch für die Hintertür des Wettbüros benötigt der Bravo keinen Dietrich. Der Schlüssel, hat er herausgefunden, hängt in der gegenüberliegenden Gangtoilette an einem rostigen Nagel.

      Kann man deswegen der Zielperson sträflichen Leichtsinn vorwerfen? Nein. Pekarek, so heißt der Buchmacher, bewahrt zu keinem Zeitpunkt größere Bargeldbeträge in seinem Lokal auf. Falls er einmal, selten genug, höhere Gewinnsummen auszahlen muss, erledigt er das per Überweisung. Vermutlich wickelt er nebenbei auch illegale Wetten ab, wie viele seiner Branche. Aber wenn es dafür einen Safe gibt, dann in Hugo Pekareks Wohnung. Die wiederum liegt in einem stolzen Simmeringer Gemeindebau, wo ein Einbruch etwas schwieriger zu bewerkstelligen wäre.

      Nur wenn an einem Dienstag oder Mittwoch Champions-League-Spiele mit populären Mannschaften stattfinden, hat das Lucky Star Casino bis weit nach Mitternacht geöffnet. Dann fährt Pekarek nicht mehr heim, sondern schläft auf einem Feldbett in der Abstellkammer zwischen dem Lokal und dem Stiegenhaus.

      So geräuschlos, wie sich der Bravo auf weichen Kreppsohlen bewegt, öffnet er die Klotür und nimmt den Schlüssel vom Haken. Er muss seine Taschenlampe nicht bemühen. Das Streulicht, das von der Straßenbeleuchtung durchs Gangfenster fällt, reicht völlig aus.

      Einige ruhige Atemzüge lang lauscht der Bravo. Nichts zu hören außer Schnarchen aus einem der darüber liegenden Stockwerke und, einen Häuserblock entfernt, die Fahrgeräusche der ersten Straßenbahn. Der Bravo sieht auf die Armbanduhr: 4:56:32, ganz nach Plan. Die Wiener Linien sind pünktlich wie meist.

      Er zieht die Handschuhe an, greift in die Umhängetasche, unter das Zeitungsbündel, und holt die Spritze heraus. Sie enthält Beta-Antiarin. Die Dosis würde für drei Erwachsene reichen. Dennoch besteht eine gar nicht so geringe Chance, dass das Gift hinterher nicht bemerkt wird. Hugo Pekarek ist schwer übergewichtig und hat bereits zwei Stents in den Herzkranzgefäßen. Gut möglich, dass die Behörden davon absehen werden, eine Obduktion anzuordnen. Ein Infarkt zieht ungleich weniger Arbeit und Papierkram nach sich als ein Mordverdacht …

      Der Bravo schließt die Tür auf und schlüpft in die Kammer. Noch bevor er die Mini-Taschenlampe einschaltet, riecht er, dass etwas furchtbar faul ist.

      Die Leiche sieht nicht gut aus.

      Wer meint, Leichen wären generell kein schöner Anblick, irrt. So manche Person hat nach der finalen Behandlung durch den Bravo erstmals entspannt, friedlich und sympathisch gewirkt.

      Auf die sterblichen Überreste des Buchmachers Hugo Pekarek trifft dies nicht zu. Das Gesicht ist in Agonie zu einer Grimasse entstellt und blutverschmiert. Über Stirn, Nase und Wangen ziehen sich mehrere Schnittwunden, wie von einem Säbel oder einem großen, scharfen Messer. Blut verklebt auch den grau melierten Schnauzer und Kinnbart. Trotz alldem besteht kein Zweifel an der Identität des Opfers. Der Bravo hat Pekarek mehrmals beobachtet und so ausgiebig studiert, wie er es stets bei Zielpersonen tut.

      Die Verletzungen deuten auf einen Kampf hin. Aber die Position der Leiche widerspricht diesem Eindruck. Pekareks Oberkörper liegt quer über dem Feldbett, die Beine sind gespreizt, die Absätze der Turnschuhe ruhen auf dem Boden. Keinerlei Wunden an den Armen und Fingern, nicht einmal Abschürfungen. Todesursache war ein tiefer, klaffender Schnitt durch die Kehle. Hugo Pekarek ist ausgeblutet. Das grün-weiß gestreifte T-Shirt mit dem Logo des Fußballklubs Rapid wird auf der ganzen Brust und großen Teilen des Bauchs von gestocktem, braunrotem Blut überdeckt.

      Der Bravo steckt die Spritze wieder ein und beugt sich hinab. Er muss den Schädel nicht anfassen, um die fast hühnereigroße Beule am Hinterkopf zu ertasten. Seine Gedanken rasen. Pekarek wurde niedergeschlagen, kurzfristig betäubt, dann getötet und hernach im Gesicht verstümmelt.

      Von wem?

      In den meisten Branchen wäre man nicht unbedingt beleidigt, falls einem unverhofft die Arbeit abgenommen wird. Jeder Hausmeister freut sich, sollte ein Nachbar den Gehsteig bereits vom Schnee geräumt haben. Stubenmädchen in Hotels lieben die an die Türschnalle gehängte Mitteilung, dass der Gast nicht gestört werden will und sein Bett selber macht. Und so weiter.

      Übt man allerdings den Beruf eines Auftragsmörders aus, besteht erheblicher Grund zur Besorgnis, wenn einem jemand zuvorgekommen ist. Der Bravo weiß, dass er nicht der Einzige seiner Zunft und seines Niveaus in Österreich ist. Er kennt die Konkurrenten nicht persönlich, natürlich nicht, jedoch die Spitznamen und den jeweils bevorzugten Modus Operandi. Nicht selten kann er aus knappen Zeitungsmeldungen herleiten, wann höchstwahrscheinlich jemand von den anderen zugeschlagen hat. Ihnen allen gemeinsam ist, dass sie nicht so kindisch sind, irgendwelche individuelle Signaturen zu hinterlassen. Sowieso ist der beste, weil sauberste Mord immer noch der, den die Kripo gar nicht als solchen registriert. Insofern sieht dies hier eher wie die Tat eines Amateurs aus.

      Andererseits gehört Tarnen und Täuschen zum Geschäft, und gewisse Duftmarken …

      Der Bravo richtet sich wieder auf und schnüffelt. Pekareks saure Alkoholfahne und der Gestank des im Todeskampf entleerten Darms erfüllen die enge Kammer. Dazu etwas Modriges, wohl von den grünlichen Schimmelflecken an der Seitenwand. Billiges Plastik: die Ordner im windschiefen IKEA-Regal. Vergammelte Reste von Tomatensoße und Mozzarella in einer halb unter die Pritsche geschobenen Pizzaschachtel.

      Und … noch etwas. Ein Hauch von Schwefel. Plötzlich wird dem Bravo anders. Als wäre ihm diese Szene nicht neu, als hätte er sie schon einmal genau so durchlebt, wie ein Déjà-vu. Jetzt bemerkt er auch das nahezu unhörbare Zischeln aus dem nebenan gelegenen Hauptraum des Wettbüros.

      Erdgas ist ein ziemlich sicherer Energieträger und ursprünglich geruchlos. Die Wiener Versorgungsnetze „odorieren“ es jedoch, soll heißen: sie mischen ihm einen Duftstoff bei, damit auf Gebrechen, wie etwa Lecks in den Leitungen, noch rechtzeitig reagiert werden kann. Schon in geringer Konzentration

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