Mami Staffel 10 – Familienroman. Lisa Simon

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Mami Staffel 10 – Familienroman - Lisa Simon Mami Staffel

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stand mit hochrotem Kopf wie ein Zinnsoldat vor dem wuchtigen Sessel, und Kathrin befürchtete, daß sich gleich ein nasser Fleck in seiner Hose bilden würde. »Die Tante hat’s erlaubt«, stammelte Martin.

      Der Mann blickte Kathrin fragend an. »Was ist hier eigentlich los?«

      »Das wollte ich Sie auch fragen. Ist es denn nicht ein bißchen leichtfertig von Ihnen, so einem kleinen Jungen einfach einen Schlüssel um den Hals zu hängen? So ein Kind braucht seinen geregelten Tagesablauf, eine warme Mittagsmahlzeit und Obhut. Sie überlassen ihn ja völlig sich selbst. Dazu braucht man keine Kinder in die Welt zu setzen.« Kathrin wurde jetzt richtig ärgerlich.

      »Moment mal, wovon reden Sie eigentlich?« Der Mann runzelte die Augenbrauen. »Haben Sie Kinder, daß Sie sich ein Urteil darüber erlauben können?«

      »Zum Glück nicht. Ich habe keine Zeit für Kinder. Wenn ich den ganzen Tag im Laden stehen muß, wäre es unverantwortlich, so ein kleines Kerlchen einfach sich selbst zu überlassen.«

      »Da sehen Sie es! Sie reden klug daher, wie man Kinder erziehen muß, und haben selbst gar keine…«

      Der heftige Wortwechsel wurde durch Martins klägliches Weinen unterbrochen. Die beiden Erwachsenen schauten sich betroffen um.

      »Nicht streiten, nicht streiten«, schluchzte Martin. In einem plötzlich aufkommenden Gefühl zog Kathrin den Kleinen an sich. Er preßte sein Gesicht an ihre Bluse und schmierte sie voll Schmutz und Tränen.

      »Na na«, tröstete Kathrin ihn. »Wir haben uns doch gar nicht richtig gestritten. Wir haben nur etwas laut gesprochen.«

      »Das mag ich aber nicht!« Martins kleiner Körper wurde von heftigem Schluchzen geschüttelt. Kathrin strich ihm beruhigend über den Rücken.

      »Meine Güte, du hast die Dame ja ganz schmutzig gemacht!« Martins Vater wollte ihn erschrocken von Kathrin wegziehen.

      »Das macht gar nichts«, wehrte Kathrin ab.

      »Du mußt dich wieder mit der Tante vertragen«, sagte Martin und zog laut hörbar die Nase hoch. Bevor Martins Vater etwas sagen konnte, putzte Kathrin ihm mit ihrem Taschentuch die Nase.

      Der Mann seufzte, und es klang fast so wie Martins Seufzer. Dann blickte er Kathrin um Vergebung bittend an. »Tut mir leid, wenn wir Ihnen Ungelegenheiten bereitet haben. Übrigens, mein Name ist Peter Kilian. Ich weiß nicht, welcher Teufel den Jungen geritten hat, daß er immer hier herumschleicht. Aber glauben Sie mir, er ist nicht vernachlässigt. Vielleicht hat er nur ein bißchen zuviel Phantasie. Ihn hat wohl fasziniert, wie Sie ihm die Schuhe verkauft haben. Mich übrigens auch.« Er lächelte schüchtern und Kathrins Herz klopfte schneller. Gut sah er aus, dieser gepflegte Vater zweier semmelköpfiger Buben. Seine Frau war wirklich zu beneiden.

      »Wie wäre es, wenn ich Sie am Sonntag zu einem Picknick mit meiner ganzen Familie einlade? Sozusagen als Entschädigung für die Belästigung durch Martin. Wir werden Sie mit dem Auto abholen.«

      Kathrin wehrte erschrocken ab. »Aber er hat mich doch gar nicht belästigt. Im Gegenteil, er ist ein sehr lieber Junge…« Der Rest ging in Martins Aufschrei unter.

      »O ja, Paps! Wir laden die Tante ein! Am Sonntag!« Er hüpfte wie Rumpelstilzchen von einem Bein aufs andere.

      »Ich weiß nicht recht…« Kathrin schluckte. Sollte sie wirklich die Einladung dieses Mannes annehmen? Er sah verdammt gut aus, und in seiner Nähe bekam Kathrin Herzklopfen. Andererseits, was war schon dabei? Seine Kinder waren ja dabei und seine Frau. Da lernte sie wenigstens die Frau kennen, die sie um diesen Mann beneidete. Kathrin lebte allein, und die Sonntage waren für sie gleichförmig und langweilig.

      »Also gut, angenommen. Ich wohne in der Bodenbacher Straße, gleich an der Ecke am Kino.«

      Martin strahlte über sein tränenverschmiertes Gesicht, und Kathrin mußte lachen. Sie strich ihm über das zerstrubbelte blonde Haar. Peter Kilian ergriff ihre Hand. »Also abgemacht, bis Sonntag.«

      Im Gehen drehte sich Martin noch einmal um und winkte Kathrin zu. »Aber nicht vergessen! Bis Sonntag!« rief er ihr zu. Kathrin winkte zurück. Sie sah das Lächeln Peter Kilians, und plötzlich bekam sie weiche Knie. Aufseufzend ließ sie sich in den Sessel sinken.

      *

      Sorgfältig steckte Martin die Lego-Steine aufeinander. Es sollte unverkennbar ein Haus werden. Nur das Dach saß etwas schief. Vor Eifer klemmte er die Zunge zwischen die Lippen.

      »Du sabberst ja«, stichelte Kai und betrachtete seinen jüngeren Bruder ein wenig herablassend.

      Martin ließ sich keineswegs bei seiner Arbeit stören. »Na und?« meinte er nur beiläufig. Sollte doch Kai an ihm herummeckern, all das ließ Martin kalt. Er hatte ein wichtiges Problem zu klären, etwas, worüber er mit Kai nicht sprechen wollte.

      Eigentlich war Kai ein echter Kumpel, auch wenn er der größere Bruder war. Größere Brüder waren immer Besserwisser, zumindest empfand Martin es so. Und Kai benahm sich, als müsse er Martins Erziehung ganz allein auf seinen Schultern tragen. Ständig beklagte er sich über Martins Ungehorsam. Vor allem bei Tante Friedel.

      Die alte Dame lächelte nachsichtig und schärfte beiden ein: »Du bist der ältere, Kai, du trägst die Verantwortung für deinen kleinen Bruder. Das ist eine große Aufgabe für dich. Und du, Martin, mußt auf deinen großen Bruder hören.«

      »Warum bin ich nicht der ältere? Das ist doch ungerecht«, begehrte Martin auf.

      »O nein!« widersprach Tante Friedel. »Wenn ihr nämlich bei mir seid, dann trage ich die Verantwortung für euch beide. Dann gibt es keinen älteren und keinen jüngeren Bruder. Dann gibt es nur Kai und Martin. Und heute ist Kai dran mit dem Abwasch und Martin trocknet ab. Und morgen wäscht Martin das Geschirr und Kai trocknet ab.«

      »Ooooch!« maulten beide gleichzeitig, und Tante Friedel klatschte aufmunternd in die Hände. »Das ist gerecht! Und jetzt wascht euch die Hände, das Essen ist fertig. Und denkt daran, wir müssen noch den Speiseplan für die nächste Woche aufstellen, damit Kai weiß, was er alles einkaufen muß.«

      *

      Nach dem Essen erledigten die Jungs den Abwasch, und Tante Friedel legte sich zu einem kleinen Nickerchen auf das Kanapee. Jetzt mußten Kai und Martin ihre Hausaufgaben erledigen. Wenn Tante Friedel ihren Mittagsschlaf beendet hatte, würde sie die Aufgaben kontrollieren. Tante Friedel war schon streng, aber es gab auch immer eine kleine Belohnung, wenn eine Aufgabe besonders gut geworden ist. Und beide Jungen bemühten sich, ihre Aufgaben gut zu erledigen.

      Buchstabe für Buchstabe reihte sich auf der Zeile, die Martin in sein Heft schrieb. Es sah ein wenig krakelig aus, aber in der ersten Klasse war noch kein Meister vom Himmel gefallen. Martin jedenfalls konnte es lesen, und das fand er für ausreichend. Nachdenklich kaute er an seinem Füllfederhalter.

      »Kai, ich muß dir etwas sagen«, sagte er.

      »Psst, stör mich nicht!« Kai schüttelte unwillig den Kopf. Er mußte eine komplizierte Aufgabe rechnen. Für ihn eigentlich kein Problem. Besonders gut konnte er mit Geld rechnen. Kein Wunder, denn er erledigte alle Einkäufe, und bisher hat es immer auf den Pfennig gestimmt. Doch nicht alle Rechenaufgaben hatten mit Geld zu tun, und dann mußte sich Kai doch sehr konzentrieren.

      »Es ist aber wichtig«, beharrte Martin und klappte sein Heft zu.

      Seufzend

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