Mami Staffel 10 – Familienroman. Lisa Simon

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Mami Staffel 10 – Familienroman - Lisa Simon Mami Staffel

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in das Babykörbchen. Es war so ein friedliches Bild, voll von tiefer Liebe und Harmonie. Warum kann ich das nicht auch erleben, fragte sie sich.

      *

      Über Nacht sanken die Temperaturen unter den Gefrierpunkt, die nassen Straßen verwandelten sich in gefährliche Schlitterbahnen. Doch es fiel kein Schnee, und Kathrin war keineswegs in vorweihnachtlicher Stimmung. Das trübe Wetter, die Gedanken an Peter Kilian und ihre eigene Unzufriedenheit drückten ihr aufs Gemüt. Unruhig wälzte sie sich nachts im Bett herum, wirre Träume plagten sie. Zu allem Unglück verschlief sie am Morgen gründlich. Genervt hastete sie zur Straßenbahn. Es war noch dunkel, der Fußweg uneben. Für einen Augenblick hatte Kathrin das Gefühl, daß sich die Welt um sie herum drehte. Ein Bein rutschte seitlich weg, während sie verzweifelt versuchte, die Balance zu halten und mit den Armen in der Luft ruderte. Dann schlug sie unsanft mit dem Gesäß auf die Pflastersteine. Benommen rang sie nach Luft. Erst Sekunden später verspürte sie einen stechenden Schmerz im linken Bein, der sich fast bis zur Unerträglichkeit steigerte. Ihr Bein lag seltsam gewinkelt unter ihrem Körper. Entsetzt starrte sie auf den unnatürlich verdrehten Unterschenkel. Sie kämpfte gegen die aufkommende Übelkeit an. Nur schemenhaft gewahrte sie einige Passanten, die sich zu ihr herunterbeugten und sie etwas fragten. Dann umfing sie eine wohltuende Dunkelheit.

      Langsam, ganz langsam tastete sich Kathrins Bewußtsein aus einer dunklen Tiefe empor. Sie schwamm durch einen dicken Nebel, der sich wie Brei anfühlte. Es war unendlich schwer und irgend etwas schien sie immer wieder in die Tiefe zu ziehen. Über sich gewahrte sie einen weißen Ball und aus weiter Ferne vernahm sie Stimmen. Wo bin ich, wollte sie fragen, aber es kam nur ein Krächzen aus ihrem Hals. Nach und nach fühlte sie einen dumpfen Druck auf ihrem Brustkorb, sie rang nach Luft und strengte sich an, die Augen zu öffnen.

      »Sie kommt zu sich«, hörte sie eine Stimme wie durch eine Wand aus Watte. Jetzt konnte Kathrin ihre Umgebung etwas genauer erkennen. Alles war weiß, die Decke, die Wände des Raumes. Der helle Ball entpuppte sich als eine Lampe aus Milchglas. Eine weißgekleidete Frau beugte sich über sie.

      »Können Sie mich verstehen, Fräulein Berger? Wie fühlen Sie sich?«

      Kathrin nickte mechanisch. Sie versuchte, Worte zu formulieren. »Wo bin ich?«

      »Im Krankenhaus. Sie hatten einen Unfall. Können Sie sich nicht daran erinnern?«

      Wie in Zeitlupe schüttelte Kathrin den Kopf. Jede Bewegung bereitete ihr Mühe, ihr Körper und ihre Gedanken wollten ihr nicht gehorchen. »Unfall?« flüsterte sie.

      Die Krankenschwester tätschelte ihre Hand. »Nicht aufregen. Der Doktor hat sie wieder zusammengeflickt. Es war ein komplizierter Bruch. Jetzt brauchen Sie viel Ruhe. Sie werden auf die Station verlegt, nachher schaut der Doktor nach Ihnen.«

      »Aber, aber – ich muß doch zur Arbeit«, protestierte Kathrin schwach.

      Die Krankenschwester lächelte milde. »Das wird wohl in den nächsten Wochen nichts werden. Ihr Bein mußte mit einer Metallplatte zusammengeschraubt werden, weil der Knochen gesplittert war. Aber das erklärt Ihnen der Doktor nachher genauer. Er ist schon wieder im OP. Das Glatteis hat an einem Tag mehr Unfälle gefordert als sonst in einem Monat.«

      Die Schwester schob das Bett, in dem Kathrin mit einem weißen OP-Hemd bekleidet war, in ein leeres Zimmer. Über sich sah Kathrin eine Infusionsflasche an einem Gestell schaukeln, ein Schlauch führte in ihren Handrücken.

      »Ruhig liegenbleiben!« mahnte die Schwester. »Wenn es ein Problem gibt, hier ist der Klingelknopf.«

      Die Schwester verschwand, und Kathrin versuchte ihre Gedanken zu ordnen. Sie spürte einen dumpfen Schmerz im linken Bein und eine Zentnerlast. Sie konnte sich nicht bewegen.

      Mein Gott, warum muß ausgerechnet mir das passieren? Neben dem Schmerz kam die Verzweiflung in ihr auf. Sie fühlte sich völlig hilflos. Tränen rannen über ihre Wangen. Durch den Tränenschleier verwandelte sich der Infusionsschlauch in eine groteske Schlange. Sie dachte an Weihnachten, die Einkäufe, die sie noch erledigen wollte, an den Duft von Glühwein und Mandeln. Statt dessen drang der scharfe Geruch von Desinfektionsmitteln in ihre Nase. Sie ließ den Tränen freien Lauf.

      Die Tür zum Krankenzimmer öffnete sich leise. Kathrin registrierte es nicht. Apathisch lag sie in den weißen Laken.

      »Na, na, bis zur Hochzeit wird alles wieder gut«, hörte sie eine sanfte, seltsam bekannte Stimme. Mühsam öffnete Kathrin die Augen.

      »Peter«, flüsterte sie überrascht. »Woher weißt du, daß ich hier…« Sie stockte. Peter Kilian trug einen weißen Arztkittel, aus seiner Tasche ragte ein Stethoskop. Er lächelte.

      »Ich war ebenso überrascht, wer da auf meinem OP-Tisch lag. Aber ich bin überzeugt, daß ich dein Bein wieder gut zusammengeschraubt habe. Wie hast du das denn fertiggebracht?«

      »Ich weiß es nicht. Ich wollte zur Straßenbahn rennen, es war schon spät. Und dann… dann…«

      Peter Kilian beugte sich über sie und wischte sanft ihre Tränen weg. »Ich verspreche dir, daß du wieder ganz gesund wirst und dein Bein in Ordnung kommt. Du mußt allerdings viel Geduld aufbringen. Den gesplitterten Knochen habe ich mit einer Stahlplatte fixiert. In einer Woche darfst du an Gehstützen aufstehen und in zwei Wochen wieder nach Hause gehen.«

      »Nach Hause…« Kathrin wandte den Kopf zur Seite und ihre Tränen begannen wieder zu fließen.

      Peter nahm ihren Kopf in seine Hände und zwang sie, ihn anzusehen.

      »Kathrin, meine Kathrin! Es ist kein Grund zum Verzweifeln. Ich werde jeden Tag nach dir schauen, und du wirst sehen, daß es dir jeden Tag ein bißchen bessergeht.« Er beugte sich zu ihr hinunter, und seine Lippen berührten zart ihren Mund. »Ich liebe dich, Kathrin. Warum hast du dich von mir zurückgezogen?«

      Kathrin konnte seinen Blick nicht ertragen und warf den Kopf zur Seite. »Warum wohl?« flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme.

      »Ich schicke dir Schwester Hilde, sie soll dir ein Schmerzmittel spritzen. Schlaf dich erst einmal richtig aus.« Leise verließ er das Krankenzimmer und ließ Kathrin in ihrer Verwirrung zurück.

      Peter ist Arzt! Plötzlich schämte sie sich dafür, daß sie ihm damals Vorwürfe gemacht hatte, er würde seine Kinder vernachlässigen. Er war stets für kranke Menschen da, und jetzt, nach diesem schrecklichen Glatteis, stand er wohl Stunden um Stunden im OP, um gebrochene Knochen wieder zu richten. Sie hatte wohl bemerkt, wie müde sein Blick war, und trotzdem hatte er ihr aufmunternd zugelächelt.

      Oh, Peter, wie gern würde ich in deinen Armen liegen, wie gern deine Haut berühren, deine Küsse spüren, mit den Fingern durch dein Haar strubbeln. Wie gern würde ich meinen Blick in deine blauen Augen versenken. Warum nur hast du diese kühle, elegante Frau gewählt? Paßt sie besser zu deinem gesellschaftlichen Umfeld als eine kleine Schuhverkäuferin?

      Kathrin mußte eingestehen, daß die Dame sehr gepflegt, elegant war, Geschmack besaß, Stil hatte. Aber war sie auch herzlich, liebevoll, selbstlos? Würde sie mit Kai und Martin Fußball spielen, Jennys aufgeschlagene Knie verpflastern und Trost spenden? Würde sie Blindekuh spielen, Blumenkränze flechten und Peter abends, wenn er abgespannt aus dem Krankenhaus kam, aufmuntern und entspannen? Bestimmt würde sie ihm in den Ohren liegen, daß sie dringend ein neues Kostüm benötigte, das sie in einer Nobel-Boutique gesehen habe, daß Kai eine schlechte Zensur in Rechtschreibung nach Hause gebracht und Martin sein neues ferngesteuertes Feuerwehrauto kaputtgemacht habe, daß Jenny immer noch in die Windeln machte und sie vor lauter

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