Geschichte Österreichs. Walter Pohl L.
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Die Länder und das Reich (907–1278)
Von Christian Lackner
Epochenüberblick
In dem ethnisch, kulturell und sprachlich vielfältigen südöstlichen Randgebiet des Regnum Teutonicum entstanden im Verlauf des hohen Mittelalters auf der Grundlage älterer Raumordnungen, doch von diesen deutlich abgesetzt, neue territoriale Gebilde, die Länder, die über viele Jahrhunderte die politische Landkarte prägen sollten. Untrennbar verknüpft ist deren Genese mit demographischen, wirtschaftlichen und sozialen Faktoren, kurz der gemeineuropäischen hochmittelalterlichen Wachstumsphase, deren Dynamik Binnenkolonisation und Urbanisierung vorantrieb. Die Geschichte dieses ostalpinen Raumes im Hochmittelalter kann nur aus dem Ineinandergreifen zentraler und regionaler Kräfte verstanden werden. Meist waren schon im frühen Mittelalter politische Gebilde vorhanden, die jetzt ausgebaut oder zu neuen Einheiten zusammengefügt wurden. Die Art und Weise, wie dies geschah, war fast bei jedem Land anders, und die Entwicklung verlief bei den einzelnen Ländern auch zeitlich nicht synchron. Im Falle von Österreich und der Steiermark nahm der Landwerdungsprozess von einer ottonischen Mark seinen Ausgang, trat im 12. Jahrhundert in die entscheidende Phase und war zu Ausgang des Jahrhunderts bereits weitgehend abgeschlossen. Die Erhebung zu einem Herzogtum (Österreich 1156, Steiermark 1180) legitimierte hier jeweils die faktisch eingetretene Entwicklung. Dass der mit der Grenzsicherung betraute Markgraf eine stärkere Position als Grafen im Binnenland besaß, hat die frühe Ausformung der Länder Österreich und Steiermark wahrscheinlich ebenso begünstigt wie der Umstand, dass beide Gebiete weithin Kolonisationsland mit hohem Wachstumspotential darstellten. Vorteilhaft wirkte zudem die durch Babenberger (976–1246) bzw. Otakare (ca. 1050–1192) gegebene dynastische Kontinuität.
Einen gänzlich anderen Verlauf nahm die Entwicklung in Kärnten. Schon 976 als Herzogtum eingerichtet, wurde Kärnten erst lange nach Österreich und der Steiermark zu einem Land, wobei dieses spätmittelalterliche Land Kärnten nur einen Bruchteil des älteren Herzogtums umfasste. Aus der Zusammenfügung verschiedener Grafschafts- und Vogteirechte erwuchsen Tirol und Salzburg. Bei ähnlicher Ausgangslage – Ottonen und Salier hatten wichtige Grafschafts- und Herrschaftsrechte in die Hände von Bischöfen (Brixen, Trient bzw. Salzburg) gelegt – setzte sich in Tirol ein weltliches Dynastengeschlecht, die Grafen von Görz-Tirol, als Landesfürsten durch, während Salzburg zu einem großen geistlichen Territorium wurde.
Schon frühzeitig wurde im Ostalpenraum die Tendenz zu dynastischen Länderverbindungen sichtbar. Zum ersten Mal geschah dies, als der erbenlose steirische Herzog Otakar IV. 1186 den Babenberger Leopold V., Herzog von Österreich, zu seinem Nachfolger designierte. Es ist bezeichnend für das ausgeprägte Identitätsbewusstsein des Adels beider Länder, dass diese Verbindung von Österreich und der Steiermark die Form einer Personalunion erhielt und nicht zu einer Verschmelzung der noch jungen territorialen Herrschaftsgebilde führte. Dieses auf Personalunion gegründete Modell sollte tatsächlich richtungsweisend werden für alle nachfolgend in diesem geographischen Raum konstituierten Länderverbindungen.
Von Böhmen ging um die Mitte des 13. Jahrhunderts der erste Versuch zur Bildung eines mitteleuropäischen Großreichs aus. In die Leere, die der Tod des letzten männlichen Babenbergers Friedrich II. 1246 hinterließ, stieß der böhmische König Přemysl Otakar II., der schrittweise das gesamte babenbergische Erbe seiner Herrschaft eingliedern konnte. Bald gerieten auch das Herzogtum Kärnten und das Erzstift Salzburg in den unwiderstehlichen Sog seiner Macht, einzig die Tallandschaften an Inn und Etsch blieben davon weitgehend unberührt. Dass das scheinbar so mächtige Regnum Otakarianum in seinen außerböhmischen Teilen freilich auf schwachen Fundamenten stand, machte der 1273 zum römisch-deutschen König gewählte Habsburger Rudolf I. deutlich. Innerhalb nur weniger Jahre brachte er die Herrschaft des Přemyslidenkönigs zum Einsturz. Die Idee von einem großen mitteleuropäischen Reich lebte bei den Habsburgern fort.
Am Rande Bayerns: Herzogtümer, Marken und Grafschaften
907
Schlacht bei Pressburg; Niederlage des bayerischen Heeres gegen die Ungarn
970/972
Einrichtung der Marken an der Donau und an der mittleren Mur
976–994
Markgraf Leopold I.
996
Erste urkundliche Erwähnung der volkssprachlichen Bezeichnung Ostarrîchi
1027
Kaiser Konrad II. überträgt die Grafschaften Bozen und Vinschgau an den Bischof von Trient, jene im Eisack- und Inntal an den Bischof von Brixen
1075–1095
Markgraf Leopold II. von Österreich
1082
Schlacht bei Mailberg
Traditionell pflegte die österreichische Geschichtsschreibung der im letzten Drittel des 10. Jahrhunderts eingerichteten bayerischen Mark an der Donau ihre bevorzugte Aufmerksamkeit zuzuwenden. Die Entwicklung der Mark zum Herzogtum Österreich bildete gleichsam das Leitmotiv, wenn es galt, die Anfänge österreichischer Geschichte nachzuzeichnen. Und tatsächlich drängt sich aus der Rückschau und im Wissen um die späteren Ereignisse, die die babenbergische Mark zum identitätsstiftenden Nukleus größerer, den Namen Österreich tragender Staatsgebilde werden ließen, eine solche Sicht der Dinge förmlich auf. Erst in jüngerer und jüngster Zeit erfolgte hier ein Perspektivenwechsel, der den Weg für ein weniger anachronistisches Geschichtsbild freimachte. Für die Zeitgenossen des 10. Jahrhunderts mochte eine bevorzugte Stellung der babenbergischen Mark wohl noch kaum erkennbar sein. Ganz überwiegend wurde das Gebiet des heutigen Österreich damals zum ausgedehnten bayerischen Stammesherzogtum gerechnet, das sich im Südwesten weit über den Alpenhauptkamm bis in die Beckenlandschaften von Bozen und Meran erstreckte und im Südosten bis an die Save reichte. Nur im Osten gingen gegenüber der Karolingerzeit große Teile des einstigen bayerischen Ostlandes an die Ungarn verloren, bildete die Enns wiederum die östliche Grenze der Bayern, wie in den Tagen der Agilolfingerherzöge.