DIE TURING-ABWEICHUNG. William Hertling
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Kapitel 4
Juli 2045 auf Cortes Island – Gegenwart
Cat ging in die grasbedeckte Senke hinunter und der Rhythmus der Trommeln fuhr durch ihren Körper und gab dem Smartstaub in der Luft einen unsteten Schimmer: Die Trommelschläge breiteten sich im Smartstaub als konzentrische Kreise aus, die langsam verwehten.
Sie fuhr mit ihrer meditativen Atmung fort, zog mit routinierter Leichtigkeit Chi aus Erde, Luft und dem Netz; ihre unbewusste Manipulation der Netzwerkpakete veränderte die Wahrnehmung aller Anwesenden, um so für sie unsichtbar zu sein. Dann schlich sie sich an ihre Tochter heran.
Die vierjährige Ada stob aus einer Gruppe heraus, mit der sie getanzt hatte, und ließ sich ins Gras fallen. Sie hob eine Kette aus Gänseblümchen auf, die sie offenbar schon vorher begonnen hatte, und flocht neue Blumen hinein. In ihrem Sommerkleid, das selbst mit den Blumen des Sommers bedruckt war, verschmolz sie beinahe mit der Wiese. Sie konzentrierte sich ganz auf ihre Flechtarbeit, hielt sie dann aber plötzlich hoch. »Für dich, Mommy!«
Cat sah nach links und rechts, senkte ihre Aura der Unsichtbarkeit und bückte sich, um Ada zu umarmen. »Ich liebe dich, Baby. Aber woher wusstest du, dass ich hier bin?«
»Wo der Smartstaub nicht ist, da bist du!« Ada kicherte und hielt ihr die Kette mit den Gänseblümchen hin. »Für dich«, beharrte sie.
Cat streckte ihre offenen Hände aus. »Ich akzeptiere.« Sie nahm die Blumenkette und legte sie sich um den Hals. Die Leichtigkeit, mit der Ada sie entdeckt hatte, beunruhigte sie ein wenig. Wie viel Technologie war gut für eine Vierjährige? Sie lebten in einem seltsamen Zeitalter, in dem viele Menschen Neuralimplantate besaßen, die ihren Intellekt aufrüsteten. Selbst Kinder hatten schon diese Implantate, die man brauchte, um sich mit dem Netz zu verbinden, und verbrachten Zeit in der virtuellen Realität.
Aber sie waren weiter gegangen als die meisten, waren viel stärker mit Nanotechnologie aufgerüstet, die tief in ihre Körper verwoben war. Es schien richtig zu sein, Ada dieselben Vorteile zu gewähren wie den Eltern, aber dennoch war Cat unsicher. Vielleicht sollten Vierjährige noch keine Neuralimplantate haben und von Wolken aus Nanotech umgeben sein.
»Es geht ihr gut«, sagte Leon und beantwortete damit ihre unausgesprochene Frage, als er Cat umarmte. »Und mir geht es auch gut. Aber ich habe dich vermisst.«
Sie schlang die Arme um ihn und küsste ihn. Ein langer Kuss, der anhielt, bis Jubel in der Gruppe um sie herum auf der Wiese ausbrach.
Cat sah sich um und errötete, aber die meisten Leute beachteten sie gar nicht. Mike nickte ihr von seinem Platz bei den Trommlern auf der anderen Seite der Wiese zu. Helena tanzte mit einer Gruppe zerzauster Hippie-Teenager in der Mitte des Kreises, ihre Tentakel wanden sich im Rhythmus der Musik. Sie winkte Cat mit ein paar Tentakeln zu und tanzte weiter.
Die ganze Zeit wirbelten die KIs, die keinen Roboterkörper besaßen, im Smartstaub herum, klar und scharf aus der Sicht des Netzes, doch nur schemenhaft und wie Dunst für das bloße Auge, sodass sie wie Geister oder Erscheinungen wirkten. Leon, Mike und sie waren so etwas wie Prominente in der Welt der KIs und sie waren immer von ihren Bewunderern umgeben.
Cat sank auf den Boden, ignorierte alles um sich herum, um ihr kleines Mädchen einfach ganz fest an sich zu drücken.
»Ich habe dich vermisst, Krümelchen.« Sie fasste Ada bei der Taille, zog sie ins Gras hinunter und prustete auf ihrem Bauch.
Ada wand sich und kreischte. »Ich bin kein Krümel! Ich bin eine menschliche Bohne!«
»Klar bist du das. Jetzt gebe ich dir noch einen Pruster, nur zur Sicherheit. Ich war sechs Tage weg, also schulde ich dir sechs Pruster.«
»Nein, nein«, kreischte Ada, zog aber gleichzeitig ihr Kleid hoch. »Mehr Pruster, noch viel mehr!«
Sie liefen zurück nach Channel Rock, obwohl die Trommler gerade erst richtig in Fahrt gekommen waren. Cat trug die schläfrige Ada in ihren Armen auf dem eineinhalb Kilometer langen Pfad bis zu Gileans Hütte. Sie legten Ada ins Bett und deckten sie mit ihrer Daunendecke zu.
Cat hob ihre lederne Umhängetasche wieder auf.
»Komm ins Bett«, sagte Leon.
»Sie haben darauf gewartet.« Sie drückte die Tasche an sich.
»Deine Familie hat auch auf dich gewartet. Ich habe gewartet.«
»Lass sie mich nur anschließen. Ich bin in fünf Minuten wieder da.«
»Sicher doch«, antwortete Leon. Er drehte sich um und ging davon, dieselbe alte Melodie summend, die ihm immer durch den Kopf schoss, wenn Cat wieder ganz woanders war: Level-up von Ruby Calling. »Pay attention, pay attention, pay attention to me, step away from the gadgets or we're history.«
»Schon kapiert, Schatz. Ich bin in ein paar Minuten zurück.«
Cat ging den Hügel zum Cob House hinauf, dem großen Hauptgebäude von Channel Rock, handgemacht aus Erde, Schweiß und dem Holz der Bäume der Umgebung. Sie ging am Haus vorbei zu einer handgearbeiteten Tür an der Seite des steilen Hügels, zog die Tür auf und betrat den Vorratskeller, drei Meter tief in die nackte Erde hineingegraben. So hatten Familien ihre Vorräte aufbewahrt, lange bevor es Kühlschränke gab. Am anderen Ende des Vorratskellers tippte sie einen Code in das Digitalschloss einer weiteren Tür. Diese war aus rostfreiem Stahl, ein wasserdichtes Schott, das im scharfen Kontrast zu dem bearbeiteten Holz um sie herum stand. Die Stahltür schwang auf, der massive Flügel in seiner Aufhängung perfekt ausbalanciert, und sie kletterte hinunter in den ›Maschinenraum‹.
Der ›Maschinenraum‹ erstreckte sich in den Hügel hinein und enthielt Dutzende von Serverracks. Jede Recheneinheit hatte 1000 CPU-Kerne, komprimiert auf die Größe eines Kaugummistreifens. 128 dieser Streifen waren in ein aufrechtes Serverblade gesteckt, es gab 32 Blades pro Chassis und 22 Chassis pro Rack. Immer wenn Mike hierherkam, konnte er nicht aufhören zu schwärmen, wie viel Rechenleistung sie hier hatten, wie viele gigantische Rechenzentren in seiner Jugend nötig gewesen wären, um das zusammenzukriegen, was sie in einem Loch im Boden betrieben, das sie mit ihren eigenen Händen ausgehoben hatten.
Der allgegenwärtige Smartstaub auf der Wiese und in der Umgebung war da, um jene KIs zu unterstützen, die keine Roboterkörper hatten, um ihnen eine Präsenz in der physischen Welt zu gewähren, auch wenn die Implantate der Menschen offline waren. Aber die Wolken aus Nanobots waren zu filigran und energiearm, sie verfügten nicht über genug Rechenleistung, um auch nur das Bewusstsein einer einzigen KI zu beherbergen. Starker Wind und Regen konnte sie vorübergehend außer Gefecht setzen, ein Blitzschlag in der Nähe würde sie sogar komplett zerstören. Und weil sie so winzig waren, hätte man eine gewaltige Wolke aus Smartstaub benötigt, um genug Rechenleistung für eine einzelne KI zusammenzubekommen. Alle, die die letzten zwei Jahre im Limbo verbracht hatten, verdienten aber die Sicherheit und die Rechenleistung, die nur ein echtes Rechenzentrum gewährleisten konnte.
Cat