DIE TURING-ABWEICHUNG. William Hertling

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DIE TURING-ABWEICHUNG - William Hertling Singularity

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Plastik bildete, öffnete ein IO-Rack und begann sie in die Slots zu stecken.

      »Helena!«, rief sie über das Netz.

      »Ja?« Helenas Körper war noch drüben beim Trommelkreis, aber ihre Stimme erklang in Cats Kopf.

      »Ich lade gerade alle hoch, die ich mitgebracht habe. Könntest du sie online einweisen?« Für eine KI oder einen Menschen, der zwei Jahre lang offline gewesen war, waren der Schock des Hochladens und die Veränderungen in der Welt oft einfach zu groß, wenn niemand sie anleitete.

      »Natürlich«, antwortete Helena. »Aber du gehörst ins Bett.«

      »Ich weiß, aber ich muss doch noch all diese Leute online bringen.«

      Cat steckte einen Chip nach dem anderen ein. Es waren Tausende, aber sie musste es einfach selbst tun, mit ihren eigenen Händen, aus Gründen, die sie selbst nicht ganz verstand.

      Als sie eine Stunde später fertig war, ging sie zu Gileans Hütte zurück. Sie hörte die Brandung am Strand und fragte sich, ob man heute das biolumineszente Plankton sehen konnte, aber Leon ging vor. Im Inneren der Hütte zog sie sich aus und schlüpfte ins Bett. Die Flanelllaken legten sich weich und warm um ihre nackte Haut. In der Dunkelheit fand sie Leon, zog ihn zu sich heran und ihre Körper vereinigten sich.

      Am späten Nachmittag ihres ersten Tages auf der Insel kehrten Cat, Leon und Ada zu Trude's Café zurück, um sich wie gewöhnlich mit den anderen auf der Wiese zu versammeln. Es war noch früh. Noch gab es keine Trommler, aber Leute von der ganzen Insel begannen einzutreffen.

      Cortes war ein kultureller Schmelztiegel vieler verschiedener Gruppen. Die Agrar-Naturalisten, die Perma-Kulturalisten und die Hanfbauern, die sich die Insel zuerst geteilt hatten und hier in Eintracht seit den 60ern und den 70ern lebten. Ihre ersten seltsamen Bettgefährten waren die nachhaltigen Wirtschaftler gewesen, die nach der Jahrtausendwende hier MBA-Seminare abhielten. Die Hippies trafen die Anzugträger, und die Hippies hatten gewonnen.

      Dann, vor zwei Jahren, waren Mike und Leon hierhergezogen und hatten neueste Hochtechnologie, tausende von KIs und hochgeladene Persönlichkeiten in eine Kultur hineingebracht, die es vorzog, zu trommeln, im Wald nach Pilzen zu suchen und auf Traumsuche zu gehen. Aber so unterschiedlich sie auch waren, trotz ihrer Implantate und der Nanotech, trotz der Roboter und Serverfarmen, hieß die noch existierende Hippie-Gemeinschaft sie willkommen. Die Hippies trafen auf die Geeks und wieder ging die Hippie-Kultur siegreich aus dem Zusammentreffen hervor.

      Auf den ersten Blick schien man seine Zeit auf der Insel zu vertrödeln. Aber nach und nach hatte Cat verstanden, dass das, was nach faulem Herumliegen auf der Wiese aussah, eine Gelegenheit zum Nachdenken war, um Ideen auszutauschen und neue Freundschaften zu knüpfen. Ein Trommelkreis gab einem die Zeit zur Meditation, um über Glaube und Konzepte nachzudenken. Die gewonnene Zeit war der Weg, die Gruppendynamik zu kontrollieren.

      Als Leon die Insel kennenlernte, entdeckte er erstaunliche Ähnlichkeiten mit den Praktiken, die sie am Institut verwendet hatten. Er begriff, dass sich für jedes Ritual in ihrem Thinktank eine Parallele auf der Insel fand.

      Eine Wiese ersetzte den Sitzungsraum, ein Lagerfeuer war dort, wo der Konferenztisch hätte stehen sollen, aber die Ziele und Ergebnisse waren ähnlich. Mike hatte ihm erklärt, dass schlanke Softwareanwendungen, Kommunen und die Theorie der Gruppendynamik aus einer einzigen Quelle hervorgegangen waren: der Forschung über Ursprungspsychologie und die Traditionen der indigenen Bevölkerungen.

      Später, als Cat und Helena nach Wegen gesucht hatten, die Reichweite von Cats Neuralimplantat zu vergrößern, und Helena gescherzt hatte, sie könnten doch einfach eine Antenne auf Cats Kopf montieren, war Cat der Gedanke gekommen, auf die Traditionen der Insel zurückzugreifen: Sie benutzte eine neue Generation von Graphen-Nanobots, um sich lange Dreadlocks mit eingewebten Drähten wachsen zu lassen, die ihre Reichweite mehr als verdreifachten.

      »Mommy, lass uns Elfen spielen.« Ada saß mit ihrer alten Puppe Ella zu ihren Füßen. Ada hatte mit ihrem Implantat eine virtuelle Welt erzeugt, die sich nahtlos über die reale Umgebung legte. Dutzende von Elfen aus Adas Fantasie manifestierten sich in der virtuellen Realität und tanzten um Ada und ihre Puppe herum.

      »Ich kann jetzt nicht mit dir spielen, Süße. Ich muss mit deinem Vater reden. Möchtest du Kuchen?«

      »Kuchen! Kuchen!« Ada warf ihre Puppe auf den Boden und rannte den Hügel hinauf. Die virtuellen Elfen folgten ihr.

      Cat hob die Puppe auf und säuberte sie sorgfältig. Sie hatte schon vor langer Zeit ihr Originalkleid verloren, aber sie hatte ihr ein neues genäht.

      »Ich fahre nächste Woche«, sagte sie und glättete das Kleid der Puppe. »Am Freitag.«

      »Du bist gerade einmal vierundzwanzig Stunden hier«, seufzte Leon. »Musst du wirklich schon die nächste Reise planen?«

      Die Menschen auf der Wiese hoben den Kopf wegen des Tons in Leons Stimme und Cat spürte eine anschwellende Aufmerksamkeit bei den KIs. Sie warf einen Blick zum Trude's hinüber, aber Ada war zu beschäftigt damit, sich etwas an der Theke auszusuchen.

      »Du wirst Ada beunruhigen.«

      »Ich beunruhige Ada?«, rief Leon und warf die Hände hoch. »Was denkst du, wie sie sich fühlt, wenn ihre Mutter sie wochenlang allein lässt? Himmel noch mal. Bleib hier bei ihr. Bleib bei uns.«

      »Du fährst am Montag doch auch weg.«

      »Aber nur für einen Tag. Das ist nicht dasselbe. Wie viele Expeditionen in die USA hast du schon gemacht? Zwanzig?«

      »Ich muss das tun, Leon. Es gibt eine KI der Klasse V für politische Strategien in DC, die ich retten will. Und wenn ich schon da bin, kann ich versuchen, Rebeccas Upload zu finden.«

      »Rebecca ist tot«, sagte Leon kopfschüttelnd. »Du hast ihren Upload schon dreimal zu finden versucht. Du verschwendest deine Zeit. Verbring den Sommer mit Ada und mir. Arbeite mit mir zusammen, mit Mike und Helena, während du hier bist. Wir versuchen einen Vertrag mit den USAN auszuhandeln. Das Embargo trifft Brasilien nicht mehr, jetzt, wo es unabhängig von Energie und Rohstoffen ist. Sie sind bereit, bei der ›Union der Südamerikanischen Nationen‹ für die Errichtung einer KI-Schutzzone zu votieren.«

      »Eine Schutzzone macht nur dann Sinn, wenn wir die KIs haben, um sie zu bevölkern. Die KIs sind immer noch in Rechenzentren in den USA gefangen oder werden gerade zerstört. Die US-Regierung versucht, KIs auf eine abgesicherte Plattform zu beschränken.«

      Leon nickte. »Ich weiß, Cat. Es ist …«

      »Wenn ihnen das gelingt, werden diese KIs kein Mitspracherecht haben, keinen freien Willen. Sie werden einfach nur Sklaven sein. Und das gilt auch für jede digitalisierte Person. Wo ist das Upload deiner Mutter? Was wird mit ihr geschehen?«

      »Ich habe es verstanden, verdammt noch mal, Cat! Ich weiß, dass du dir Sorgen machst. Ich mache mir auch Sorgen. Aber Ada ist vier Jahre alt und sie ist nur einmal vier. Willst du das verpassen? Willst du von irgendeiner deiner Reisen zurückkehren und feststellen, dass sie erwachsen geworden ist und du ihre Kindheit verpasst hast?«

      »Ada wird keine Kindheit haben, wenn die KIs rebellieren. Wenn XOR sich durchsetzt.«

      XOR, also ›exklusive oder logische Operation‹, war der Name einer Splittergruppe von radikalen KIs, die sich in dem Chaos nach SFTA gebildet hatte. Sie vertraten die Meinung, dass die Erde entweder KIs oder Menschen eine Heimat bieten konnte,

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