Der Trotzkopf. Emmy von Rhoden
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Als das Abendbrot verzehrt war und die Eltern noch am Tische saßen, ging Ilse in den Hof und machte eine Runde durch alle Ställe. Von den Hühnern, Tauben, Kühen, Pferden – sie hatte so viele Lieblinge darunter – nahm sie Abschied; morgen sollte sie ja alle auf lange Zeit verlassen. Das Lebewohl von den Hunden wurde ihr am schwersten, sie waren alle ihre guten Freunde. Dianas Sprößlinge, die schon allerliebst herangewachsen waren und sie zärtlich begrüßten, lockten ihr Thränen des tiefsten Leides hervor.
Neben ihr stand Johann. Er hatte das kleine Fräulein vom ersten Tage ihres Lebens an gekannt und liebte sie abgöttisch. Als er ihre Thränen sah, liefen auch ihm einige Tropfen über die Wangen.
"Wenn das kleine Fräulein wiederkommt," sagte er mit kläglicher Stimme und fuhr mit der verkehrten Hand über die Wange, "dann wird es wohl eine große Dame sein. Ja ja, Fräulein Ilschen, unsre schöne Zeit ist dahin! Ach und die Hunde, wie werden sie das Fräulein vermissen! Die sind gescheit! Menschlichen Verstand hat das dumme Vieh! Wie sie schmeicheln, die kleinen Krobaten, als ob sie wüßten, daß unser kleines Fräulein morgen abreist – –" hier wurde seine Stimme so unsicher, daß er nicht weiter sprechen konnte.
"Johann," entgegnete Ilse unter Schluchzen, "sorge für die Hunde. Und wenn du mir einen großen – den letzten Gefallen thun willst, so," hier sah sie sich erst vorsichtig nach allen Seiten um, ob auch niemand in der Nähe war, "so nimm Bob," diesen Namen hatte sie Dianas kleinem Söhnchen gegeben, "mit auf den Kutscherbock morgen, wenn du mich zur Bahn fährst, aber heimlich. Niemand darf es wissen, ich will ihn mitnehmen. Ein Halsband und eine Leine habe ich schon eingepackt. Aber Johann, heimlich, hörst du?"
Der Kutscher war glücklich über diesen Auftrag und daß er dem lieben, kleinen Fräulein noch einen Liebesdienst erweisen konnte. Er lächelte verschmitzt und versprach, Bob so geschickt unterzubringen, daß keine menschliche Seele von dem Hunde etwas merken solle.
Früh am andern Morgen stand der Wagen vor der Thür, der Ilse fortbringen sollte. Herr Macket begleitete sie bis W., um sie der Vorsteherin, Fräulein Raimar, selbst zu überbringen. Er mußte sich doch persönlich überzeugen, wo und wie sein Liebling aufgehoben sein werde. Frau Anne nahete sich Ilse im letzten Augenblick, um zärtlich und gerührt von ihrem Kinde Abschied zu nehmen, aber diese machte ein finsteres, trotziges Gesicht und entwand sich der Mutter Armen.
"Lebe wohl," sagte sie kurz und sprang in den Wagen; nicht um die Welt hätte sie der Mutter verraten mögen, wie weh und schmerzlich ihr das Scheiden wurde.
Als der Wagen sich in Bewegung setzte und Diana denselben laut bellend noch eine kurze Strecke begleitete, bog sie sich weit zum Wagen hinaus mit thränenden Augen und nickte ihr zu. Gut war es, daß der Vater nichts von den Thränen merkte, er würde vielleicht augenblicklich Kehrt gemacht haben.
Auf dem Bahnhofe, als alles besorgt und Ilse mit dem Papa in das Koupee gestiegen war, trat Johann hinzu mit Bob unter dem Arme und der Mütze in der Hand.
"Leben Sie recht wohl, Fräulein Ilschen, und kommen Sie gut hin," sagte er etwas verlegen. "Die Hunde werde ich schon besorgen, dafür haben Sie nur keine Angst nicht. Den hier nehmen Sie wohl mit, es ist doch gut, wenn Sie nicht so allein in der Pension sind."
Ilse jauchzte vor Freude. Sie nahm den Hund in Empfang, liebkoste und streichelte ihn, dann reichte sie Johann die Hand.
"Leb wohl," sagte sie, "und habe Dank. Ich freue mich zu sehr, daß ich ein Hündchen mit mir nehmen kann."
"Ja, aber Ilse, das geht doch nicht," wandte der erstaunte Oberamtmann ein, "du darfst doch keine Hunde mit in das Institut bringen. Sei vernünftig und gieb Bob Johann wieder zurück."
Doch daran war nicht zu denken. Ilse ließ sich durch keine Vorstellung dazu bewegen.
"Die einzige Freude laß mir, Pa’chen! Willst du mich denn ganz allein unter den fremden Menschen lassen? Wenn Bob bei mir ist, dann habe ich doch einen guten Freund. Nicht wahr, Bobchen, du willst nicht wieder fort von mir," wandte sie sich an den Hund, der es sich bereits höchst bequem auf ihrem Schoße gemacht hatte, "du bleibst nun immer bei mir!"
Es war dem Oberamtmann unmöglich, ein Machtwort dagegen zu sprechen, zumal ja Ilse so triftige Gründe für ihren Wunsch anführte. Am meisten überzeugte ihn der Gedanke, daß die Kleine doch einen heimatlichen Trost mit in die Fremde brächte.
Es war eine lange und ziemlich langweilige Fahrt, meist durch flaches Land, erst zuletzt kamen die Berge. Für Ilse that sich eine neue Welt auf, sie hatte noch nie eine so große Reise gemacht. Auf jeder Station schaute sie mit neugierigen Augen hinaus, jedes Bahnwärterhäuschen amüsierte sie. Ueber all den neuen Eindrücken, die sich ihr aufdrängten, trat der Trennungsschmerz in den Hintergrund.
Spät am Abend, es war zehn Uhr vorbei, langten sie in W. an. Natürlich übernachtete Ilse mit ihrem Vater im Hotel, erst am andern Morgen sollte sie in ihre neue Heimat eingeführt werden.
Als es am nächsten Tage neun Uhr schlug, stand Ilse fertig angezogen vor ihrem Papa. Sie sah in ihrem grauen Reisekleide und den zierlichen Lederstiefeln ganz allerliebst aus. Unter dem runden, weißen Strohhute, der mit einem Feldsträußchen und schwarzen Samtband aufgeputzt war, fielen die braunen Locken herab. Die schönen, großen Augen blickten heute nicht so fröhlich wie sonst, sie hatten einen ängstlich erwartungsvollen Ausdruck, und um den Mund zuckte es in nervöser Aufregung.
"Dir fehlt doch nichts, Ilschen?" fragte Herr Macket und sah sein Kind besorgt an. "Du bist so blaß, hast du schlecht geschlafen?"
Die herzliche Frage des Vaters löste mit einemmal die unnatürliche Spannung in Ilses Wesen. Sie fiel ihm um den Hals, und die bis dahin trotzig zurückgehaltenen Thränen brachen mit aller Macht hervor.
"Aber Kind, Kind," sagte Herr Macket sehr geängstigt durch ihre Leidenschaftlichkeit, "du wirst ja nicht lange von uns getrennt bleiben. Ein Jahr vergeht schnell, und zu Weihnachten besuchst du uns. Komm, Kleines, trockne die Thränen. Du mußt dir das Herz nicht schwer machen. Du wirst uns fleißig Briefe schreiben und die Mama oder ich werden dir täglich Nachricht geben von uns, von allem, was dich in Moosdorf interessiert." Und er nahm sein Taschentuch und trocknete damit die immer von neuem hervorbrechenden Thränen seines Kindes.
Der Oberamtmann befand sich in einer gleich aufgeregten Stimmung wie sein Kind, es wurde ihm nicht leicht zu trösten, wo er selbst des Trostes bedürftig war. So schwer hatte er sich die Trennung nicht gedacht, er würde sonst nicht darein gewilligt haben; aber da er das einmal gethan hatte, wollte er sich in die Notwendigkeit fügen.
Er strich Ilse das Haar aus der Stirn und setzte ihr den herabgesunkenen Hut wieder auf. "Komm," sagte er, "jetzt wollen wir gehen. Nun sei ein verständiges Kind."
"Die Mama soll mir nicht schreiben!" stieß Ilse schluchzend heraus, "nur deine Briefe will ich haben! Meine Briefe an dich soll sie auch nicht lesen!"
"Ilse!" verwies Herr Macket, "so darfst du nicht sprechen. Die Mama hat dich lieb und meint es sehr gut mit dir."
"Sehr gut!" wiederholte sie in kindischem Zorne, "wenn sie mich lieb hätte, würde sie mich nicht verstoßen haben!"
"Verstoßen! Du weißt