Catch and Kiss. Jennifer Schreiner
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Möglichst unauffällig betrachtete ich die anderen Insassinnen. Waren sie allesamt Verbrecher? Hobbs hatte es gesagt. Andererseits glaubte er ja auch, ich wüsste über Gefängnisse Bescheid, weil ich schon mehr als einmal gesessen hatte.
Kurz zögerte ich, die Drehtür in den Essbereich zu nehmen, da ich nicht mit so vielen Frauen gerechnet hatte. Aber bereits jetzt befanden sich um die vierzig Personen in dem Raum und es schien Platz für weitere vierzig zu sein. Die gesamte Einrichtung erinnerte an eine Universitätsmensa und sogar die Beleuchtung schien anders zu sein, als in dem restlichen Gefängnis.
Trotzdem beschlich mich ein unerklärliches Gefühl von Heimweh. Um mich nicht weiter damit befassen zu müssen, ging ich langsam in Richtung Essensausgabe. Sie war tatsächlich genauso universell aufgebaut, wie in jeder Mensa oder Kantine der Welt. Am Anfang nahm man sich ein Tablett und stellte sich dann in der Schlange der anderen an und ging die Reihe der Lebensmittel ab.
Etwas, was ich nur zu gerne tat, da ich inzwischen wirklich Hunger hatte und … Ich stutzte und wurde noch nachdenklicher. Auch hier gab es keine Uhren und keinen Hinweis auf die Uhr- oder Tageszeit. Nicht einmal an der Auswahl der Nahrungsmittel konnte man sich orientieren, denn es gab sowohl Müsli, belegte Brötchen und Rührei als auch Kartoffelpampe, Frikadellen, Sauce, Nudeln, Hacksauce und Dessert in Schälchen. Dazu Obst und Salat, Milch, Kaffee, Tee und Wasser.
Das konnte wahrlich alles sein: Früh-, Mittag- oder Abendessen. Zum Kotzen!
Meine innere Stimme wiederholte letztere Aussage, als sich direkt hinter mir ungestraft eine Frau von der Seite her einreihte. Das konnte doch alles einfach nicht wahr sein!
War es aber leider.
»Hallo, Frischfleisch!« Eine Hand fuhr über meinen Rücken und verharrte knapp oberhalb meines Poansatzes, sodass ich mich gezwungenermaßen zu der Frau umdrehte. Sie lächelte mich an. Nur ihr Blick strafte ihre Lippen Lüge und untermauerte Hobbs` These, dass sich nur Verbrecher und Kriminelle hier aufhielten. Hobbs. Ich versuchte es zu machen wie er und mein Gegenüber emotionslos und von oben herab zu betrachten, ohne meine Gedanken preiszugeben. Leider war mein Mund in diesen Plan nicht eingeweiht und meinte: »Ist ein ziemliches Klischee, oder?«
Schlagartig verschwand das Lächeln und machte dem Platz, was ich bereits in den Augen der Frau gelesen hatte: Wut.
»Wen nennst du Klischee?«, fauchte sie und baute sich noch ein wenig imposanter vor mir auf, was gar nicht so einfach war, da sie meine Größe hatte – aber doppelt so breit war.
Die anderen Frauen, die um uns in der Reihe gestanden hatten, brachten geistesgegenwärtig einige Meter zwischen uns und sich, bildeten aber einen Kreis um das sich anbahnende Schauspiel.
»Was willst du machen? Wir sind hier nicht eine einzige Sekunde lang unbewacht«, behauptete ich, da ich bislang noch keinen Moment Privatsphäre gehabt hatte – oder das Gefühl, ich könnte welche bekommen.
»Mehr als eine Sekunde brauche ich auch nicht!«, konterte die Frau und bewies ihre Aussage mit einem Schlag in meine Richtung. Naiverweise hatte ich nicht damit gerechnet und obwohl ich schnell auswich, erwischte sie mich. Genau wie ich sie. Ich bekam ihre Schlaghand zu fassen und nutzte den Schwung der Angreiferin, um ihren Arm auf den Rücken zu drehen und sie zu Boden zu drücken. Keine Sekunde zu spät, da einige andere Frauen aus dem Kreis der Zuschauer heraustraten und eingreifen wollte.
»Stopp!« Ich setzte der Frau einen Fuß in den Nacken, was an sich schon allein wegen der potentiell dauerhaften Beschädigung der anderen Person ein Höchstmaß an Konzentration und Gleichgewichtssinn erforderte. Allerdings war mir eine mögliche Beschädigung in Anbetracht der Umstände und der akuten Bedrohung ziemlich egal. »Das würde ich nicht machen!«
Zum Glück für die Angreiferin – und auch für mich – blieben die Frauen tatsächlich stehen. Dafür traf mich der Taser der Wache vollkommen unvorbereitet und ich ging, mehr oder weniger auf der anderen Frau, zu Boden – und gönnte ihr den sie treffenden Taser-Stromstoß von ganzem Herzen.
Aber trotzdem. .. Shit! Wer hätte gedacht, dass das so weh tun würde?
Als ich wieder erwachte, waren die Kopfschmerzen immer noch da. Oder schon wieder? Ich blinzelte verwirrt und erst nach und nach kristallisierte sich das, was ich sah, zu einem Bild zusammen.
»Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt?«, meinte Hobbs, der sich über mich beugte und dessen Stimme irgendwie gelangweilt klang.
Hatte er gerade eine Foto von mir gemacht mit einer Zeitung? Oder war er einfach nur als guter Retter erschienen? Seine Stirn war gerunzelt und jedem anderen Mann hätte ich abgenommen, dass er sich Sorgen machte, aber ihm nicht. Dazu waren seine Augen zu unbeteiligt.
Selbst als er sein weißes Einstecktuch – wer trug heute noch Einstecktücher? – aus seiner Anzugjacke zog und es in meine Richtung streckte, kam ich nicht umhin, mich zu fragen, ob ich zu misstrauisch war oder einfach nur verwirrt. Trotz der Ermanglung einer Antwort auf diese Frage konnte ich mich nicht rühren, nur auf seine näherkommende Hand starren. Eine schöne Hand mit sehr gepflegten Nägeln und einem blütenweißen Tuch.
Nachdenklich tupfte ich ihr das Blut vom Kinn und dachte daran, dass immerhin ich einen Vorteil aus dem Vorfall ziehen konnte: Ich konnte mir den Aderlass sparen, der beweisen würde, dass meine Gefangene noch lebte.
Schmunzelnd betrachtete ich den kleinen Cut an der Unterlippe und tupfte auch dort das Blut fort. Ungleich sanfter, obwohl sie weder zurückwich noch zusammenzuckte.
Schöne Lippen, dachte ich und überlegte, ob die dazugehörige hübsche Gefangene unter Schock stand. Einen Moment lang spielte ich mit dem Gedanken, sie erst zum Arzt zu bringen, bevor ich die obligatorische Strafe verhängen musste, dann verwarf ich die Überlegung. Es war nur ein einziger Schlag gewesen und er hatte sie nur gestreift. Damit hatte sie bewiesen, dass sie gut ausweichen konnte – zumindest einem Schlag, wenn auch keinem Konflikt. Anscheinend gehörte sie zu den Menschen, die Probleme anzogen, statt ihnen aus dem Weg zu gehen und dem musste ich so schnell wie möglich Einhalt gebieten.
»Bringt sie in die Dunkelkammer!«, befahl ich deswegen und wappnete mich innerlich gegen den Protest der Geschlagenen.
Wie in Trance stand ich auf und folgte den Männern. Mein ganzer Körper schien immer noch unter Strom zu stehen und zu vibrieren. Das musste eine Nachwirkung des Tasers sein. Wer hätte gedacht, dass etwas so scheinbar humanes, in den Medien so sehr gepriesenes, so fies sein konnte?
Erst nach wenigen Schritten fiel mir auf, dass Hobbs nichts von der Dauer meiner Strafe gesagt hatte. Wie lange sollte ich in der Kammer bleiben? Eine Stunde? Ein Tag? Eine Woche? Wie lange konnte so eine Strafe sein? Nur zu gerne hätte ich gefragt, war mir aber sicher, dass jeder Laut meinerseits für eine Verlängerung der Strafe sorgen würde. Zu deutlich konnte ich den lauernden Blick des Direktors förmlich in meinem Rücken spüren.
Trotzdem wurden meine Schritte mit jedem Meter den ich ging unsicherer, meine Knie weicher. Als die Kammer endlich vor mir lag, einem dunklen Loch gleich, welches aus einem Alptraum entsprungen schien, musste ich mich überwinden,