Das Weiße Haus am Meer. Hannes Nygaard

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Das Weiße Haus am Meer - Hannes Nygaard Hinterm Deich Krimi

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worden. Interessant war, dass der Präsident in der Vergangenheit öfter bei der Aufzeichnung seiner Familiengeschichte gelogen hatte. Er, der sich auch dank seiner Herkunft spöttisch bis arrogant über mittellose Menschen oder Einwanderer äußerte, unterschlug die Historie seiner Mutter aus einer armen schottischen Fischerfamilie. Lüder hätte genüsslich die zahlreichen Artikel zu den amourösen Abenteuern studieren können oder den bewegten Lebenslauf in familiärer Hinsicht. Aber das, so dachte Lüder, gehörte eher auf die Titelseiten der bei Damenfriseuren ausgelegten Zeitschriften.

      Der Präsident, der rund um den Globus mit seinem »America First« für Unruhe sorgte, gehörte selbst einer Einwandererfamilie an. Seine Großeltern waren aus dem Pfälzischen als Armutsflüchtlinge nach Amerika ausgewandert. »Das war damals bayerisch«, sagte Lüder. »Kein Wunder, dass das Frettchen bis heute die Attitüde ›Nichts gilt außer mir‹ pflegt.«

      Amerika bezeichnet sich oft und gern als Muster für die Demokratie. Lüder schüttelte bei diesem Gedanken den Kopf. Natürlich wurde dort gewählt. Meistens sicher auch fair. Auch wenn gelegentlich Zweifel auftauchten. Als bei der Präsidentenwahl von Bush jr. Stimmen aus Florida fehlten und es Unstimmigkeiten bei der Auszählung der technisch fragwürdigen Wahlmaschinen gab, lehnte der dortige Gouverneur es ab, das Ergebnis durch eine nachträgliche Handauszählung verifizieren zu lassen. Der Skandal war, dass der Gouverneur Jeff Bush hieß und der Bruder des Kandidaten war. Zur deutschen Vorstellung von Demokratie passte auch nicht, dass man in Amerika viel Geld benötigte, um in ein politisches Amt zu gelangen. Man könnte behaupten, Präsident könne nur jemand werden, der sich den Wahlkampf leisten kann. Nur selten gelang es Bewerbern, die Mittel über Sponsoren aufzubringen. Ob der Kandidat diesen im Erfolgsfall verpflichtet war? Lüder mochte darüber nicht nachdenken. Nein. Da war die Demokratie im von Amerikanern oft belächelten alten Teil der Welt ehrlicher.

      Gerade der jetzige Präsident war nicht frei von Skandalen, und um seine Person rankte sich manch Fragwürdiges. Hatte er wirklich die Verfolgung strafbarer Tatbestände durch Geld, Bestechung, Drohung oder Amtsmissbrauch unterdrückt? »Freunde werden wir beide nicht«, sagte Lüder im Selbstgespräch. »Aber ich bin professionell genug, um zu wissen, dass ich meinen Anteil an deiner Sicherheit leisten muss.«

      Lüder suchte Oberrat Gärtner auf, der mit zwei Mitarbeitern daran arbeitete, eine Liste mit potenziellen Gefährdern zusammenzustellen.

      »Das sind nur Schlagworte«, erklärte Gärtner. »Ich habe auch mit dem Kollegen Meenchen vom Verfassungsschutz gesprochen. Aber wenn wir ehrlich sind … Das Ganze ist eine Nummer zu groß für uns. Wir haben unseren Bereich gut im Griff, aber die große Weltpolitik, die geht doch ein wenig an Kiel vorbei.«

      Sie wurden durch den Abteilungsleiter unterbrochen, der plötzlich in der Tür stand. Er winkte Lüder zu sich. »Wir sollen sofort ins Innenministerium kommen. Der Kontaktmann aus Berlin ist eingetroffen.«

      Jens Starke hatte ein ziviles Fahrzeug mit Fahrer besorgt, das sie mit Blaulicht zum Innenministerium brachte. Der Rotklinkerbau lag unweit des Landtags direkt an der Kieler Förde. Im Besprechungssaal mit Blick auf das im Novembergrau liegende Kieler Ostufer hatte sich eine Reihe von Personen eingefunden. Lüder nickte dem Staatssekretär des Innenministeriums zu, grüßte den Landespolizeidirektor mit einem Handzeichen und nahm zwischen Jochen Nathusius und Jens Starke Platz.

      Staatssekretär Sorgenfrei wirkte gehetzt. Mit wenigen Worten betonte er die schwierige Situation, in die der amerikanische Präsident die deutschen Behörden gebracht habe. Es sei eine Herausforderung, der man sich stellen müsse. Dann entschuldigte er sich. Man erwartete ihn in der vom Minister geführten Runde. In diesem Gremium sollten die Experten, wie er betonte, nach praktikablen Lösungen suchen. Er erteilte einer brünetten Frau, deren ganzes Erscheinungsbild mit »dezent« umschrieben werden konnte, das Wort.

      »Frau Ministerialdirigentin Wuschig leitet im Bundesinnenministerium die Unterabteilung ÖS II Extremismus, Terrorismus und Organisierte Kriminalität.«

      Lüder zog die Blicke der Anwesenden auf sich, als er auflachte. Auch die Angesprochene sah zu ihm herüber.

      Extremismus – Terrorismus – Organisierte Kriminalität. Wie passte das zum amerikanischen Präsidenten?, überlegte er, unterließ es aber, seine Gedanken auszusprechen.

      »Guten Tag«, sagte die Frau, deren Alter Lüder auf etwa fünfzig Jahre schätzte. »Mein Name ist Sabine Wuschig. Wir alle stehen vor einer großen Herausforderung, die uns aus der überraschenden Entscheidung des amerikanischen Präsidenten erwachsen ist. Insofern gilt es, innerhalb kürzester Zeit ein praktikables Konzept zu etablieren, mit dem wir dem Gast den größtmöglichen Schutz bieten können. Dabei müssen wir auch seiner Person und seiner Position gerecht werden. Ich weiß, es ist eine Herausforderung. Insofern ist Ihrer aller Expertise gefordert.« Sie sah in die Runde. »In der Kürze der Zeit haben wir versucht, alle wichtigen Ansprechpartner hier zusammenzubringen. Darf ich Sie bitten, sich selbst kurz vorzustellen?«

      Neben Frau Wuschig hatte ein schlaksig wirkender Mann Platz genommen. Seine Haare waren akkurat in einem Scheitel gekämmt. Das Gesicht zierte eine Harry-Potter-Brille. Das ließ ihn jünger erscheinen, als er vermutlich war. Die farblich aufeinander abgestimmte Kombination und das am Kragen offene Hemd verrieten Geschmack.

      »Richard von Ravenstein«, sagte der Mann. »Ich komme vom Bundesaußenministerium.«

      »Würden Sie bitte Ihre Dienststellung mit nennen?«, bat Sabine Wuschig. »Das vereinfacht die Vorstellung.«

      »Vortragender Legationsrat«, erklärte von Ravenstein. »Ich möchte die Gelegenheit nutzen und etwas zur Vorgeschichte sagen.«

      Er sah Frau Wuschig an. Als die unmerklich nickte, fuhr von Ravenstein fort.

      »Ihnen allen ist bekannt, dass der US-Präsident vor einiger Zeit das Ansinnen geäußert hat, von Dänemark die Insel Grönland zu erwerben. Er hat sich dabei wohl vom damaligen Kauf Alaskas von Russland leiten lassen.«

      »Eine völlig aberwitzige Idee«, warf Lüder ein.

      Von Ravenstein nickte leicht. »Jeder mag seine eigenen Gedanken dazu haben. Auf diplomatischer Ebene haben wir es zur Kenntnis genommen und nicht kommentiert. Die Vereinigten Staaten sind ein … ach was, das politische Schwergewicht auf der Erde, und ihr Präsident repräsentiert dieses. Sie wissen, dass er mit einer größeren Machtfülle ausgestattet ist als die europäischen Regierungschefs. Ich muss zudem nicht ausführen, wie diese Persönlichkeit die Befugnis ausfüllt. Es steht uns nicht zu, öffentlich darüber zu befinden.« Er warf Lüder einen Bick zu und zwinkerte verstohlen mit einem Auge. »Natürlich verkauft ein souveräner Staat wie Dänemark kein Gebiet, schon gar nicht inklusive der Menschen, die dort leben. Abgesehen davon, dass Grönland innenpolitisch vollständig unabhängig ist und nur in allen außen- und verteidigungspolitischen Angelegenheiten von Dänemark vertreten wird. Das sollte auch die US-Administration wissen. Auch, dass es Bestrebungen gibt, Grönland in die volle Unabhängigkeit zu entlassen. Der Präsident wollte nur einen großen Immobiliendeal abwickeln, um das Land und seine Bewohner für einen Atomabwehrschild und zur Ausbeutung von Bodenschätzen zu benutzen.«

      Sabin Wuschig räusperte sich vernehmlich.

      »Ich bitte um Entschuldigung«, sagte von Ravenstein. »Das war jetzt kein Statement der Bundesregierung, sondern ein Pressezitat. Jedenfalls war der US-Präsident sehr verstimmt über die, wie er es nannte, ungebührliche Abfuhr, die ihm seitens der dänischen Regierung widerfahren ist. Deshalb weigert er sich, am NATO-Gipfel in Kopenhagen teilzunehmen. Er versteht es auch als Warnung, da sich die Europäer, hier weist er besonders auf Deutschland hin, seiner Auffassung nach nicht hinreichend engagieren. Stattdessen, so twittert er, will er einen Kurzbesuch in der ehemaligen dänischen Kolonie Schleswig-Holstein absolvieren.

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