Die Fieberkurve. Friedrich Glauser

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Die Fieberkurve - Friedrich  Glauser

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heißt sie, Sophie Hornuss, Gerechtigkeitsgasse 44. Sie war die ältere Schwester meiner Mutter und eigentlich meine Tante, wenn Sie so wollen… «

      »G'späßige Familienverhältnisse«, stellte Studer trocken fest.

      Marie lächelte. Dann verschwand das Lächeln und ihre Augen wurden dunkel und traurig. – Das habe sie manchmal auch gefunden, meinte sie, und Studer schalt sich einen Dubel, weil seine dumme Bemerkung dem Meitschi sicher Kummer gemacht hatte…

      Im Flur kamen Schritte näher. Die aufgesprengte Tür kreischte in ihren Angeln und eine Stimme erkundigte sich, ob hier jemand Selbstmord begangen habe. – Es müsse wohl hier sein, sagte eine zweite Stimme, es stehe ja am Türpfosten! Cleman! Und fügte hinzu: »Äbe joo«, und da habe man die Bescherung.

      Studer kehrte in die kleine Küche zurück und stieß dort mit einem Uniformierten zusammen. Der Stoß war weich, denn der Sanitätspolizist war dick, rosig und glatt wie ein Säugling. Er schien ständig ein Gähnen unterdrücken zu müssen, überschüttete den Wachtmeister mit einem Schwall von Fragen, die tapfer mit »jä« und »joo« gewürzt waren. Außerdem gurgelte der Mann mit den »R« wie mit Mundwasser, anstatt sie ordentlich, wie sonstige Schweizer Christenmenschen, mit der Zunge gegen den Vordergaumen zu rollen. Der Herr Gerichtsarzt war alt und sein Schnauz vom vielen Zigarettenrauchen gelb.

      Studer stellte sich vor, stellte Marie vor.

      Die Tote in ihrem Lehnstuhl schien zu lächeln. Der Wachtmeister blickte ihr noch einmal ins Gesicht. Neben dem linken Nasenflügel saß eine Warze…

      Die Leiche wurde fortgebracht, und zwar durch das Türlein in der Mauer. Es dauerte lange, bis man den Schlüssel zu diesem Mauertor aufgetrieben hatte – in der Wohnung der Toten war kein einziger Schlüssel zu entdecken. Ein Mieter, vom Lärm herbeigelockt, half aus.

      Studer war müde. Er hatte keine Lust, seinem Kollegen von der Sanitätspolizei die Merkwürdigkeiten des Falles aufzuzählen: den schiefen Hebel am Gaszähler, die Ausgehstiefel der alten Frau im Schlafrock… Der Wachtmeister stand und starrte auf das Messingschild: »Josepha Cleman-Hornuss. Witwe.«

      Dann lud er Marie zu einem Kaffee ein. Das schien ihm das Vernünftigste…

      Die erste Frau

      Bald nach Olten begann es zu schneien. Studer saß im Speisewagen und sah durch die Scheiben. Die Hügel, die vorbeiglitten, waren weich hinter dem weißen Vorhang, der so regelmäßig-ununterbrochen fiel, daß er bewegungslos schien…

      Vor dem Wachtmeister stand blaues Kaffeegeschirr und daneben in Reichweite eine Karaffe mit Kirsch. Studer wandte die Blicke vom Fenster ab und dem neuen Ringbuch zu, das aufgeschlagen vor ihm lag. Er hielt den Bleistift zwischen Zeige- und Mittelfinger und schrieb in seiner winzigen Schrift, deren Buchstaben selbständig nebeneinander standen, wie beim Griechischen:

      »Cleman-Hornuss Josepha, Witwe, 55 Jahre alt. Gasvergiftung. Selbstmord? Dagegen sprechen: schiefe Stellung des Haupthahns am Gasmesser. Fehlen der Schlüssel zur Wohnungstür und zum Gartentor, aufgesprengte Schublade am Schreibtisch… Und der Telephonanruf.«

      Der Telephonanruf! Studer auf seinem Platz im Speisewagen des Schnellzuges Basel-Bern hörte die Stimme wieder – und wie damals im Wohnraum der Witwe Cleman-Hornuss kam sie ihm bekannt vor. Sie erinnerte ihn an eine andere Stimme, die er vor wenigen Tagen gehört hatte, in einer kleinen Beize bei den Pariser Markthallen – das heißt der Ton der Stimme war der gleiche, die Stimmlage ähnlich…

      Und betrunken hatte die Stimme getönt. Atemlos, wie bei einem Mann, der hintereinander ein paar Gläser Kognak hinuntergeschüttet hat. Erste Frage: Was hatte dieser Betrunkene mit seinem Anruf bezweckt? Und die zweite: Wo hatte sich Pater Matthias vom Orden der Weißen Väter in dieser Zeit aufgehalten? In welcher Kirche hatte er seine Morgenmesse gelesen? In jener Zementkirche, die von den Baslern das »Seelensilo« getauft worden war?

      Studer starrte gedankenverloren zum Fenster hinaus, streckte die Hand aus, erwischte statt des Kaffeekännlis die Karaffe mit dem Kirsch, goß seine Tasse voll, führte sie zum Mund und merkte den Irrtum erst, als er die Tasse schon geleert hatte. Er sah auf, begegnete dem Grinsen des Kellners, grinste freundlich zurück, zuckte mit den Achseln, hob die Karaffe noch einmal, z'Trotz, leerte den Rest des Schnapses in seine Tasse und begann eifrig zu schreiben.

      »Cleman Alois Victor. Geologe im Dienste der Gebrüder Mannesmann. Schürfungen nach Blei, Silber, Kupfer. Seine Brotherren werden 1915 in Casablanca standrechtlich erschossen, weil sie einigen Deutschen zur Desertation aus der Fremdenlegion verholfen haben. Cleman als Denunziant! Cleman kehrt 1916 nach der Schweiz zurück, reist aber im gleichen Jahre im Auftrag der französischen Regierung wieder nach Marokko. Inspiziert die von den Gebrüdern Mannesmann im Süden des Landes erstellten Bleiöfen. Wird im Juli 1917 schwer erkrankt mit einem Flugzeug nach Fez gebracht. Stirbt nach Aussagen der Tochter, die sich auf ein unauffindbares Telegramm stützen, am 20.Juli alldort. Hinterläßt geringe Erbschaft. War zweimal verheiratet. Erste Frau lebt in Bern, siehe Angaben des Paters. Scheint Vermögen zu besitzen. Ist Schwester der in Basel verstorbenen Josepha Cleman.«

      … Herzogenbuchsee… Es hatte aufgehört zu schneien. Die trockene Hitze im Wagen machte schläfrig und Studer träumte vor sich hin…

      Fremdenlegion! Marokko! Die Sehnsucht nach den fernen Ländern und ihrer Buntheit, die, schüchtern nur, sich gemeldet hatte, damals, bei Pater Matthias' Erzählung, sie wuchs in Studers Brust. Ja, in der Brust! Es war ein sonderbar ziehendes Gefühl, die unbekannten Welten lockten und Bilder stiegen auf – ganz wach träumte man sie. Unendlich breit war die Wüste, Kamele trabten durch ihren goldgelben Sand, Menschen, braunhäutige, in wallenden Gewändern, schritten majestätisch durch blendendweiße Städte. Von einer Räuberbande wurde Marie geraubt – wie gelangte Marie plötzlich in den Traum? – sie wurde geraubt und man durfte sie befreien. »Danke, Vetter Jakob!« sagte sie. Das war Glück! Das war etwas anderes als das ewige Rapportschreiben im Amtshaus z'Bärn, im kleinen Bureau, das nach Staub und Bodenöl roch… Dort unten gab es andere Gerüche – fremde, unbekannte. Und in des Wachtmeisters Kopf stiegen Erinnerungen auf: an das »Hohe Lied Salomonis«, an die Märchen aus Tausendundeiner Nacht…

      Vielleicht, vielleicht war dies wirklich der große Fall…

      Vielleicht, vielleicht wurde man offiziös nach Marokko entsandt…

      Auf alle Fälle empfahl es sich, gleich morgen zu frühester Stunde in die Gerechtigkeitsgasse Nr. 44 zu gehen, um die geschiedene Frau des Geologen auszufragen…

      … Burgdorf… Studer leerte den Rest des kalten Kaffees in seine Tasse, trank das Gemisch, fand seinen Geschmack abscheulich und rief: »Zahlen!« Der Kellner grinste wieder vertraulich. Aber Studer war es nicht mehr ums Lachen zu tun. Er konnte Marie nicht vergessen, die mit dem Sekretär Koller nach Paris gereist war, – Pelzjackett, seidene Strümpfe, Wildlederschuhe! – Es war nicht zu leugnen, daß er Marie liebgewonnen hatte… Es war ihm, als habe er eine Tochter wiedergefunden. Denn seine Tochter hatte vor einem Jahr einen Landjäger aus dem Thurgau geheiratet – nun war sie Mutter, und dem Wachtmeister war es, als habe er sie endgültig verloren. All diese unklaren Empfindungen waren wohl schuld, daß er dem vertraulichen Kellner nur zwanzig Rappen Trinkgeld gab.

      Seine Laune besserte sich auch nicht, als er in Bern ausstieg. Die Wohnung auf dem Kirchenfeld war leer – Studer hatte keine Lust, den Ofen zu heizen. Er ging ins Café, um dort Billard zu spielen, besuchte hernach ein Kino und ärgerte sich über den Film… Später trank er irgendwo ein paar große Helle, aber auch die bekamen ihm nicht. So legte er sich denn gegen elf Uhr mit einem

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