Draußen vor der Tür. Wolfgang Borchert

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Draußen vor der Tür - Wolfgang Borchert Reclam XL – Text und Kontext

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      Ja, hier liegt einer. Hier. Hier unten am Wasser.

      MÄDCHEN:

      Was machen Sie da? Warum stehen Sie denn nicht auf?

      BECKMANN:

      Ich liege hier, das sehen Sie doch. Halb an Land und halb im Wasser.

      [18]MÄDCHEN:

      Aber warum denn? Stehen Sie doch auf. Ich dachte erst, da läge ein Toter, als ich den dunklen Haufen hier am Wasser sah.

      BECKMANN:

      O ja, ein ganz dunkler Haufen ist das, das kann ich Ihnen sagen.

      MÄDCHEN:

      Sie reden aber sehr komisch, finde ich. Hier liegen nämlich jetzt oft Tote abends am Wasser. Die sind manchmal ganz dick und glitschig. Und so weiß wie Gespenster. Deswegen war ich so erschrocken. Aber Gottseidank, Sie sind ja noch lebendig. Aber Sie müssen ja durch und durch nass sein.

      BECKMANN:

      Bin ich auch. Nass und kalt wie eine richtige Leiche.

      MÄDCHEN:

      Dann stehen Sie doch endlich auf. Oder haben Sie sich verletzt?

      BECKMANN:

      Das auch. Mir haben sie die Kniescheibe gestohlen. In Russland. Und nun muss ich mit einem steifen Bein durch das Leben hinken. Und ich denke immer, es geht rückwärts statt vorwärts. Von Hochkommen kann gar keine Rede sein.

      MÄDCHEN:

      Dann kommen Sie doch. Ich helfe Ihnen. Sonst werden Sie ja langsam zum Fisch.

      BECKMANN:

      Wenn Sie meinen, dass es nicht wieder rückwärts geht, dann können wir es ja mal versuchen. So, danke.

      MÄDCHEN:

      Sehen Sie, jetzt geht es sogar aufwärts. Aber Sie sind ja nass und eiskalt. Wenn ich nicht vorbeigekommen wäre, wären Sie sicher bald ein Fisch geworden. Stumm sind Sie ja auch beinahe. Darf ich Ihnen etwas sagen? Ich wohne hier gleich. Und ich habe trockenes Zeug im Hause. Kommen Sie mit? Ja? Oder sind Sie [19]zu stolz, sich von mir trockenlegen zu lassen? Sie halber Fisch. Sie stummer nasser Fisch, Sie?!

      BECKMANN:

      Sie wollen mich mitnehmen?

      MÄDCHEN:

      Ja, wenn Sie wollen. Aber nur, weil Sie nass sind. Hoffentlich sind Sie sehr hässlich und bescheiden, damit ich es nicht bereuen muss, dass ich Sie mitnehme. Ich nehme Sie nur mit, weil Sie so nass und kalt sind, verstanden! Und weil –

      BECKMANN:

      Weil? Was für ein Weil? Nein, nur weil ich nass und kalt bin. Sonst gibt es kein Weil.

      MÄDCHEN:

      Doch. Gibt es doch. Weil Sie so eine hoffnungslos traurige Stimme haben. So grau und vollkommen trostlos.

      Ach, Unsinn ist das, wie? Kommen Sie, Sie alter stummer nasser Fisch.

      BECKMANN:

      Halt! Sie laufen mir ja weg. Mein Bein kommt nicht mit. Langsam.

      MÄDCHEN:

      Ach ja. Also: dann langsam. Wie zwei uralte steinalte nasskalte Fische.

      DER ANDERE:

      Weg sind sie. So sind sie, die Zweibeiner, ganz sonderbare Leute sind das hier auf der Welt. Erst lassen sie sich ins Wasser fallen und sind ganz wild auf das Sterben versessen. Aber dann kommt zufällig so ein anderer Zweibeiner im Dunkeln vorbei, so einer mit Rock, mit einem Busen und langen Locken. Und dann ist das Leben plötzlich wieder ganz herrlich und süß. Dann will kein Mensch mehr sterben. Dann wollen sie nie tot sein. Wegen so ein paar Locken, wegen so einer weißen Haut und ein bisschen Frauengeruch. Dann stehen sie wieder vom Sterbebett auf und sind gesund wie zehntausend Hirsche im Februar. Dann werden selbst [20]die halben Wasserleichen noch wieder lebendig, die es eigentlich doch überhaupt nicht mehr aushalten konnten auf dieser verdammten öden elenden Erdkugel. Die Wasserleichen werden wieder mobil – alles wegen so ein Paar Augen, wegen so einem bisschen weichen warmen Mitleid und so kleinen Händen und wegen einem schlanken Hals. Sogar die Wasserleichen, diese zweibeinigen, diese ganz sonderbaren Leute hier auf der Welt – –

      II. SZENE

      (Ein Zimmer. Abends. Eine Tür kreischt und schlägt zu. Beckmann. Das Mädchen).

      MÄDCHEN:

      So, nun will ich mir erstmal den geangelten Fisch unter der Lampe ansehen. Nanu – (sie lacht) aber sagen Sie um Himmels willen, was soll denn dies hier sein!

      BECKMANN:

      Das? Das ist meine Brille. Ja. Sie lachen. Das ist meine Brille. Leider.

      MÄDCHEN:

      Das nennen Sie Brille? Ich glaube, Sie sind mit Absicht komisch.

      BECKMANN:

      Ja, meine Brille. Sie haben recht; vielleicht sieht sie ein bisschen komisch aus. Mit diesen grauen Blechrändern um das Glas. Und dann diese grauen Bänder, die man um die Ohren machen muss. Und dieses graue Band quer über die Nase! Man kriegt so ein graues Uniformgesicht davon. So ein blechernes Robotergesicht. So ein Gasmaskengesicht. Aber es ist ja auch eine Gasmaskenbrille.

      [21]MÄDCHEN:

      Gasmaskenbrille?

      BECKMANN:

      Gasmaskenbrille. Die gab es für die Soldaten, die eine Brille trugen. Damit sie auch unter der Gasmaske was sehen konnten.

      MÄDCHEN:

      Aber warum laufen Sie denn jetzt noch damit herum? Haben Sie denn keine richtige?

      BECKMANN:

      Nein. Gehabt, ja. Aber die ist mir kaputt geschossen. Nein, schön ist sie nicht. Aber ich bin froh, dass ich wenigstens diese habe. Sie ist außerordentlich hässlich, das weiß ich. Und das macht mich manchmal auch unsicher, wenn die Leute mich auslachen. Aber letzten Endes ist das ja egal. Ich kann sie nicht entbehren. Ohne Brille bin ich rettungslos verloren. Wirklich, vollkommen hilflos.

      MÄDCHEN

      (fröhlich, nicht hart): Ja? Ohne sind Sie vollkommen hilflos? Dann geben Sie das abscheuliche Gebilde mal schnell her. Da – was sagen Sie nun! Nein, die bekommen Sie erst wieder, wenn Sie gehen. Außerdem ist es beruhigender für mich, wenn ich weiß, dass Sie so vollkommen hilflos sind. Viel beruhigender. Ohne Brille sehen Sie auch gleich ganz anders aus. Ich glaube, Sie machen nur so einen trostlosen Eindruck, weil Sie immer durch diese grauenhafte Gasmaskenbrille sehen müssen.

      BECKMANN:

      Jetzt sehe ich alles nur noch ganz verschwommen. Geben Sie sie wieder raus. Ich sehe ja nichts

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