Draußen vor der Tür. Wolfgang Borchert

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Draußen vor der Tür - Wolfgang Borchert Reclam XL – Text und Kontext

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      MÄDCHEN:

      Wunderbar. Das ist mir gerade recht. Und Ihnen bekommt das auch besser. Mit der Brille sehen Sie ja aus wie ein Gespenst.

      [22]BECKMANN:

      Vielleicht bin ich auch ein Gespenst. Eins von gestern, das heute keiner mehr sehen will. Ein Gespenst aus dem Krieg, für den Frieden provisorisch repariert.

      MÄDCHEN

      (sehr herzlich und warm): Und was für ein griesgrämiges graues Gespenst! Ich glaube, Sie tragen innerlich auch so eine Gasmaskenbrille, Sie behelfsmäßiger Fisch. Lassen Sie mir die Brille. Es ist ganz gut, wenn Sie mal einen Abend alles ein bisschen verschwommen sehen. Passen Ihnen denn wenigstens die Hosen? Na, es geht gerade. Da, nehmen Sie mal die Jacke.

      BECKMANN:

      Oha! Erst ziehn Sie mich aus dem Wasser und nun lassen Sie mich gleich wieder ersaufen. Das ist ja eine Jacke für einen Athleten. Welchem Riesen haben Sie die denn gestohlen?

      MÄDCHEN:

      Der Riese ist mein Mann. War mein Mann.

      BECKMANN:

      Ihr Mann?

      MÄDCHEN:

      Ja. Dachten Sie, ich handle mit Männerkleidung?

      BECKMANN:

      Wo ist er? Ihr Mann?

      MÄDCHEN

      (bitter, leise): Verhungert, erfroren, liegen geblieben – was weiß ich. Seit Stalingrad ist er vermisst. Das war vor drei Jahren.

      BECKMANN

      (starr): In Stalingrad? In Stalingrad, ja. Ja, in Stalingrad, da ist mancher liegengeblieben. Aber einige kommen auch wieder. Und die ziehen dann das Zeug an von denen, die nicht wiederkommen. Der Mann, der Ihr Mann war, der der Riese war, dem dieses Zeug gehört, der ist liegengeblieben. Und ich, ich komme nun her und ziehe sein Zeug an. Das ist schön, nicht wahr. Ist das nicht schön? Und seine Jacke ist so riesig, dass ich fast darin ersaufe. (Hastig.) Ich muss sie wieder ausziehen. [23]Doch. Ich muss wieder mein nasses Zeug anziehen. Ich komme um in dieser Jacke. Sie erwürgt mich, diese Jacke. Ich bin ja ein Witz in dieser Jacke. Ein grauenhafter gemeiner Witz, den der Krieg gemacht hat. Ich will die Jacke nicht mehr anhaben.

      MÄDCHEN

      (warm, verzweifelt): Sei still, du Fisch. Behalte sie an, bitte. Du gefällst mir so, Fisch. Trotz deiner komischen Frisur. Die hast du wohl auch aus Russland mitgebracht, ja? Mit der Brille und dem Bein noch diese kurzen kleinen Borsten. Siehst du, das hab ich mir gedacht. Du musst nicht denken, dass ich über dich lache, Fisch. Nein Fisch, das tu ich nicht. Du siehst so wunderbar traurig aus, du armes graues Gespenst: in der weiten Jacke, mit dem Haar und dem steifen Bein. Lass man, Fisch, lass man. Ich finde das nicht zum Lachen. Nein, Fisch, du siehst wunderbar traurig aus. Ich könnte heulen, wenn du mich ansiehst mit deinen trostlosen Augen. Du sagst gar nichts. Sag was, Fisch, bitte. Sag irgendwas. Es braucht keinen Sinn zu haben, aber sag was. Sag was, Fisch, es ist doch so entsetzlich still in der Welt. Sag was, dann ist man nicht so allein. Bitte, mach deinen Mund auf, Fischmensch. Bleib doch da nicht den ganzen Abend stehen. Komm. Setz dich. Hier, neben mich. Nicht so weit ab, Fisch. Du kannst ruhig näher rankommen, du siehst mich ja doch nur verschwommen. Komm doch, mach meinetwegen die Augen zu. Komm und sag was, damit etwas da ist. Fühlst du nicht, wie grauenhaft still es ist?

      BECKMANN

      (verwirrt): Ich sehe dich gerne an. Dich, ja. Aber ich habe bei jedem Schritt Angst, dass es rückwärts geht. Du, das habe ich.

      [24]MÄDCHEN:

      Ach du. Vorwärts, rückwärts. Oben, unten. Morgen liegen wir vielleicht schon weiß und dick im Wasser. Mausestill und kalt. Aber heute sind wir doch noch warm. Heute Abend noch mal, du. Fisch, sag was, Fisch. Heute Abend schwimmst du mir nicht mehr weg, du. Sei still. Ich glaube dir kein Wort. Aber die Tür, die Tür will ich doch lieber abschließen.

      BECKMANN:

      Lass das. Ich bin kein Fisch und du brauchst die Tür nicht abzuschließen. Nein, du, ich bin weiß Gott kein Fisch.

      MÄDCHEN

      (innig): Fisch! Fisch, du! Du graues repariertes Gespenst.

      BECKMANN

      (ganz abwesend): Mich bedrückt das. Ich ersaufe. Mich erwürgt das. Das kommt, weil ich so schlecht sehe. Das ist ganz und gar nebelig. Aber es erwürgt mich.

      MÄDCHEN

      (ängstlich): Was hast du? Du, was hast du denn? Du?!

      BECKMANN

      (mit wachsender Angst): Ich werde jetzt ganz sachte sachte verrückt. Gib mir meine Brille. Schnell. Das kommt alles nur, weil es so nebelig vor meinen Augen ist. Da! Ich habe das Gefühl, dass hinter deinem Rücken ein Mann steht. Die ganze Zeit schon. Ein großer Mann. So eine Art Athlet. Ein Riese, weißt du. Aber das kommt nur, weil ich meine Brille nicht habe, denn der Riese hat nur ein Bein. Er kommt immer näher, der Riese, mit einem Bein und zwei Krücken. Hörst du – tock tock. Teck tock. So machen die Krücken. Jetzt steht er hinter dir. Fühlst du sein Luftholen im Nacken. Gib mir die Brille, ich will ihn nicht mehr sehen! Da, jetzt steht er ganz dicht hinter dir.

      MÄDCHEN

      (schreit auf und stürzt davon. Eine Tür kreischt [25]und schlägt zu. Dann hört man ganz laut das »teck tock« der Krücken.)

      BECKMANN

      (flüstert): Der Riese!

      DER EINBEINIGE

      (monoton): Was tust du hier. Du? In meinem Zeug? Auf meinem Platz? Bei meiner Frau?

      BECKMANN

      (wie gelähmt): Dein Zeug. Dein Platz. Deine Frau.

      DER EINBEINIGE

      (immer ganz monoton und apathisch): Und du, was du hier tust?

      BECKMANN

      (stockend, leise): Das habe ich gestern Nacht auch den Mann gefragt, der bei meiner Frau war. In meinem Hemd war. In meinem Bett. Was tust du hier, du? hab ich gefragt. Da hat er die Schultern hochgehoben und wieder fallen lassen und hat gesagt: Ja, was tu ich hier. Das hat er geantwortet. Da habe ich die Schlafzimmertür wieder zugemacht, nein, erst noch das Licht wieder ausgemacht. Und dann stand ich draußen.

      EINBEINIGER:

      Komm mit deinem Gesicht unter die Lampe. Ganz nah. (Dumpf.) Beckmann!

      BECKMANN:

      Ja. ich. Beckmann. Ich dachte, du würdest mich nicht mehr kennen.

      EINBEINIGER

      (leise, aber mit ungeheurem Vorwurf): Beckmann … Beckmann …. Beckmann!!!

      BECKMANN

      (gefoltert): Hör auf, du. Sag den Namen nicht! Ich will diesen Namen nicht mehr haben! Hör auf,

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