Heliosphere 2265 - Der komplette Fraktal-Zyklus. Andreas Suchanek
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Und dann begriff er.
Mit schmerzhafter Klarheit besah er sich das Bild, dessen Fragmente sich wie von Geisterhand in seinem Geist zusammenfügten. Jetzt sah er das Gesamtbild, verstand die Zusammenhänge.
Ich habe in die falsche Richtung geschaut, das haben wir alle.
Die Tragweite seiner Entdeckung ließ ihn innehalten – seine Gedanken rasten.
Nach einigen Sekunden verwendete er die Löschfunktion und entfernte die Elemente von der elektronischen Tafel. Da die Verbindung zum Galaktischen Netz wieder bestand, aktivierte er einen Nachrichtenkanal. Noch immer war die Schlacht um NOVA-Station Gesprächsthema Nummer eins. Als hätte ihm jemand eine Binde vor den Augen fortgezogen, las er zwischen den Zeilen. Das Ergebnis war ernüchternd: Er kam zu spät. Ein Eingreifen seinerseits kam nicht mehr infrage. Also blieb nur die zweite Option: Er musste Vorbereitungen treffen.
Alpha 365 deaktivierte den Nachrichten-Feed und machte sich ans Werk.
*
Legat 2 saß in seinem persönlichen Quartier und zappte durch die Nachrichtenkanäle. Der letzte Dominostein fiel. Die Reporter stilisierten Cross zum Helden und verdammten die Parliden, die mit dem Angriff auf NOVA doch gar nichts zu tun gehabt hatten; das waren seine Leute gewesen.
Vor wenigen Minuten war die Bestätigung eingegangen. Die Computerviren, die die Verfolgerschiffe im letzten Moment in den Kern des rentalianischen Schiffes PI-RA-SO-MA-FE hatten überspielen können, hatten dem Navigator einen falschen Kurs vorgegaukelt, während die Rentalianer in Wahrheit mitten in einen Hinterhalt geflogen waren. Gleiches galt für das menschliche Schiff, das das erste Fraktal zu einer geheimen Station hatte bringen wollen. Damit befanden sich alle Teile des Artefaktes endlich in ihrem Besitz – auch wenn noch keiner etwas davon ahnte.
Die nächste Phase konnte beginnen – und das musste sie auch. Jener Mensch, der alles verändern würde, leitete die letzten Schritte ein. Mit anderen Worten: Die Lawine rollte. Legat 2 seufzte. Damit war seine Zeit an Bord der HYPERION vorbei. Alpha 365 war wie ein Hai – wenn er einmal Blut witterte, wurde man ihn nicht mehr los. Natürlich hatte Legat 2 ein paar falsche Spuren gelegt, doch die konnten dem gezüchteten Soldaten nicht lange standhalten.
Das Artefakt war also in seiner Hand, alle Spuren auf seine wahre Identität beseitigt und seiner Flucht stand nichts im Wege. Zugegeben, es fiel ihm schwer zu gehen. Gerade fühlte er sich heimisch an Bord des Interlink-Kreuzers. Der Chip von Captain Cross war erfolgreich manipuliert worden, die Fraktale konnten geborgen werden, NOVA-Station war fast vollständig zerstört – aber wie geplant nicht ganz –, und Pearl würde so schnell niemand mehr besiedeln. Was blieb also noch zu tun? Sollte er es wagen und den Flug zur Erde mitmachen oder vorher verschwinden?
Legat 2 aktivierte seinen Monitor und betrachtete die Kamera-Feeds der persönlichen Quartiere eines jeden Kommandobrückenoffiziers. Er wusste alles über sie, kannte all ihre kleinen Geheimnisse und jeder besaß eines. Für einige Sekunden bekam er Mitleid. Sollte er sie warnen? Sollte er ihnen mitteilen, was sie erwartete? Dass sie auf keinen Fall zurück zur Erde fliegen durften? Er zögerte, schüttelte dann jedoch den Kopf und deaktivierte den Kamera-Feed.
Eine Flucht musst geplant werden.
*
Forschungsstation CAVE, Kuiper-Gürtel, Sol-System, 02. Februar 2266, 19:45 Uhr
Admiral Juri Michalew starrte auf seine Konsole. Die Nachricht war bereit, versendet zu werden. Sie enthielt nur einen Satz, der niemandem, der sie abfangen würde, von Nutzen sein konnte. Doch jene Männer und Frauen, die seit Jahren auf diesen Moment warteten, wussten, was zu tun war. »Ich hätte darauf verzichtet, weißt du. Alles, was ich immer wollte, war eine sichere Solare Union, die nach außen hin geschlossen auftritt und im Inneren Stärke beweist.«
»Ich weiß«, sagte sein Besucher. »Aber jetzt ist der Punkt gekommen, auf den du gewartet hast, Juri. Meine Leute sind auf deiner Seite, es ist deine Entscheidung.«
Juri Michalew wandte sich um. Michael Furlan saß in einem der Konturensessel und blickte ihm gelassen entgegen.
»Das musst du mir nicht sagen«, entgegnete Juri. »Ich habe dich rekrutiert.«
»Und du hast gut daran getan«, sagte der Innenminister. »Wenn ich damals nicht gehandelt hätte, als diese Ishida deine Klüngelei hat auffliegen lassen, wärst du längst Geschichte.«
Juri winkte ab. »Ich weiß, ich weiß. Und meine Dankbarkeit hat dir so manche Tür geöffnet. Immerhin bist du heute Innenminister. Wer kann das in diesem Alter schon von sich sagen?«
»Wenn du diese Taste betätigst, ist mein jetziger Job nichts mehr wert.« Bei diesen Worten deutete Michael auf die Konsole. »Es ist deine Entscheidung, war es immer. Ich hoffe, du hast wirklich alles genau durchdacht.«
Juri schlug mit der flachen Hand auf die Lehne seines Konturensessels. »Das habe ich seit Jahren.« Er wurde wieder ruhig. »Und doch hätte ich darauf verzichtet. In einer Situation wie dieser benötigen wir Stabilität. Aber die Regierung erweist sich erneut als unfähig und verlogen. Ich weiß von den geheimen Flottenbasen und Militärstützpunkten. Wir könnten die Parliden in einem Handstreich vernichten. Stattdessen zieht Kartess es in die Länge, schlägt sich mit dem Finanzminister herum und will 'auf Nummer sicher' gehen. Wenn ich das weiter zulasse, stecken wir in wenigen Monaten selbst in diesen Rüstungen und dienen den Parliden als Sklaven!«
Michael zuckte mit den Schultern. »Die Bomben sind platziert und die Attentäter stehen bereit.«
»Ich hoffe, sie sind fähiger als der, der Walker ausschalten sollte. Ich konnte diese blauäugigen Killer noch nie leiden.« Alle Auftragsmörder, die Teil des Ketaria-Bundes waren, besaßen das gleiche Merkmal: stahlblaue Augen. Bisher war es noch niemandem gelungen, die Basis dieser Assassinen zu finden; viele vermuteten, dass sie sich im Eriin-Bund versteckten. Andere sprachen von einer Mini-Gesellschaft aus genmodifizierten Killern, die auf einer Raumstation hausten. Das Meiste waren Gerüchte.
»Ich gebe zu, sie sind mir auch unheimlich. Aber in der Regel arbeiten sie effektiv. Es konnte ja kein Mensch ahnen, dass dieser Alpha 365 dazwischenkommt.«
»Aber der Lieutenant stellt ja glücklicherweise keine Gefahr mehr dar. Er liegt im künstlichen Koma, während die HYPERION ihn in meine Arme trägt.«
»Also, wie entscheidest du dich?« Michael nippte an einem altmodischen Kaffee.
Juri drehte sich wieder zu seiner Konsole. Mit einem grimmigen Lächeln berührte er den Touch-Screen. Innerhalb von Sekunden jagte die Nachricht über den Phasenfunk davon und leitete unaufhaltbar das Chaos ein.
*
Epilog
02. Februar 2266
Tag 1
Lächelnd lehnte er sich zurück und genoss den Moment des Triumphes. Was gab es Schöneres, als die Früchte jahrelanger