Emmentaler Alpträume. Paul Lascaux

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Emmentaler Alpträume - Paul Lascaux страница 2

Автор:
Жанр:
Серия:
Издательство:
Emmentaler Alpträume - Paul Lascaux

Скачать книгу

kann. Dort oben befindet sich ein Schulhaus, fast vollständig aus Glas gebaut, zwei Etagen mit etwa acht Zimmern. Durch einen getrennten Eingang erreicht man im zweiten Stock die Bäckerei, wo sie das Brot holt. Sie will welches kaufen, weiß aber nicht, wie viel. Sie stellt sich an den Abriss der Klippe, wo der Fels fünfzig Meter bis zum schmalen Kieselstrand abfällt. Sie wartet, bis einer der Höhlengänger auf der Insel dasselbe tut. Zuerst will sie einfach nur »Brot« schreien, aber wenn sie ein »Ja« zur Antwort bekäme, wüsste sie immer noch nicht, wie viel sie kaufen sollte. Deshalb macht sie pantomimische Zeichen, mit denen sie Brot darstellt, Brot, das sie schneiden und essen will. Der Kollege antwortet, indem er viermal die Revolutionsfaust in den Himmel streckt. Also steigt sie die Treppe hinauf und kauft vier Kilo Brot.

      Was die Kaumückenanzüge damit zu tun haben, ist ihr noch nicht klar. Auf jeden Fall machen diese Mücken sehr viel Lärm. Und sie reden in mehreren Zungen, sagen Dinge wie »Lungendurchschuss«, »lebenserhaltende Maßnahmen« und »Intensivpflege«, was sie diesen Insekten gar nicht zugetraut hätte. Dann steht plötzlich eine dieser Kaumücken direkt vor ihr, schiebt Nicoles Lid in die Höhe und betrachtet sie durch ein Vergrößerungsglas.

      Schon verrückt, diese Welt, denkt sie, als sie für einen Moment die Augen aufschlägt und über sich einen Himmel in stechendem Weiß erkennt. Dann sackt sie zusammen, übermannt von Schmerz und Anstrengung.

      Mittwoch, 1.5.2019

      Noch nie war jemand aus der Detektei Müller & Himmel so schwer verwundet worden. Das warf Fragen auf, besonders die eine: Welchen Fall bearbeitete Nicole Himmel? Niemand in der Detektei hatte Kenntnis darüber, welchen Informationen sie nachgegangen sein könnte.

      Gut, es hatte schon Prellungen gegeben, wenn man in der Hast den schweren Fotoapparat hatte auf die Knie fallen lassen, um nicht als Schnüffler enttarnt zu werden, sondern nur als einer, der stundenlang sinnlos in einem Auto sitzt und auf niemanden wartet – noch nicht einmal auf Godot.

      Aber eine Schusswunde? Dabei gehörte gerade Nicole Himmel zu den Übervorsichtigen, und ein Beobachtungsauftrag im Emmental war Heinrich nicht bekannt. Nicole hatte eben noch ihr Pensum als Anthropologin am Alpinen Museum erhöhen wollen, was jedoch aus Geldgründen nicht genehmigt wurde. Hatte sie deswegen ohne Kenntnis ihres Partners einen eigenen Fall an Land gezogen, um etwas dazuzuverdienen?

      Kleinvieh macht auch Mist, dachte der Detektiv. Er konnte sich dieses Denken leisten, denn ihm gehörte das Haus im Berner Breitenrain, in dem sich die Detektei und seine eigene Wohnung sowie diejenige von Nicole und die der drei Grazien befanden. Und er würde bald in den Genuss einer staatlichen Mindestrente kommen. Aber für eine nach wie vor junge Frau von achtunddreißig Jahren galt das nicht, die erwartete noch mehr vom Leben. Was genau dies sein könnte, wusste der Detektiv nicht zu sagen.

      Die drei Grazien waren keine offiziellen Mitarbeiterinnen der Detektei, aber sie hatten sich im Verlauf der Jahre als unentbehrliche Zuträgerinnen von Informationen erwiesen. Und auch dieses Mal sah es ganz danach aus, dass sie bei Recherchen vor Ort benötigt würden. Dabei hatten sich die drei jungen Frauen in der Zwischenzeit Perspektiven fürs Leben aufgebaut, denn ihre Studien befanden sich in der Schlussrunde: Melinda Käsbleich stand vor dem Abschluss ihrer Ausbildung zur Designerin, Phoebe Helbling bereitete sich auf die Prüfungen in Wirtschaftswissenschaften vor, und Gwendolin Rauch besuchte weiterhin Biologieseminare. Ob eine oder mehrere von ihnen der Detektei weiterhin zur Seite stehen würden? Darüber konnte Heinrich später nachdenken.

      »Dort hat man sie gefunden?«, fragte Phoebe. Sie strich die langen blonden Haare aus ihrem übernächtigten Gesicht, denn an Schlaf war kaum zu denken gewesen, nachdem sie gestern von Heinrich Müller informiert worden war, dass Nicole Himmel, die gute Seele der Detektei Müller & Himmel, am Montag schwer verwundet aufgefunden worden war.

      Heute Morgen erst hatte ihnen Kommissar Markus Forrer von der Abteilung »Leib und Leben« der Police Bern per Mail einige Fotos der Spurensicherung zugeschickt. Phoebes ungelenke Frage hatte damit zu tun, dass Nicole auf keinem der Bilder zu sehen war. Und eigentlich sah man auch sonst nichts, abgesehen von etwas Landschaft, einem Hinterhaus und einigen seltsamen Gegenständen.

      Gwendolin wollte von Heinrich Müller wissen: »Markus ist doch dein langjähriger Kumpel?«

      »Ja.«

      »Dennoch hat er dich erst gestern informiert, einen Tag, nachdem es passiert ist, oder? Das verstehe ich nicht.«

      Der Detektiv erklärte: »Er hat es selbst erst am Dienstag erfahren. Fassen wir zusammen. Am letzten Freitag hat uns Nicole mitgeteilt, dass sie für ein paar Tage verschwindet.«

      »Und dass sie nicht gestört werden möchte«, ergänzte Gwendolin, »denn sie besuche einen Kurs.«

      »Das kam überraschend«, überlegte Melinda, »aber keiner von uns hat nachgehakt. Warum?«

      »Ganz ehrlich«, sagte Müller, »ich hatte Angst, dass sie mit der Arbeit in der Detektei, wie früher schon einmal, überfordert war und eine Auszeit brauchte. Ihr kennt Nicole inzwischen auch ganz gut und ihr wisst, dass sie zu spontanen Entschlüssen neigt und Entscheidungen für sich allein fällt, bevor sie uns davon in Kenntnis setzt.«

      »Apropos Auszeit«, meldete sich Phoebe, »wenn die Detektei Auszeiten zu vergeben hat, komme ich als Erste in den Genuss, denn wen hat man im letzten Fall aus der Hand eines gemeingefährlichen Geiselnehmers befreit?« Sie tippte sich an die eigene Stirn.

      Gwendolin intervenierte: »Es waren aber Melinda und ich, die gelitten haben, du warst von den K.-o.-Tropfen dermaßen zugedröhnt, dass du kaum etwas mitbekommen hast. Oder weißt du noch, wo man dich gefunden hat?«

      »Nicht genau«, sagte sie kleinlaut, »also eigentlich nur aus dem, was ich aus euren Berichten rekonstruieren konnte.«

      »Stopp«, befahl Heinrich. »Es geht hier nicht um eure Befindlichkeiten.« Dann fuhr er fort: »Am Samstag also ist Nicole weggefahren. Als ich erwachte, war sie schon nicht mehr im Haus.«

      »Ich glaube, sie ist von einem Taxi abgeholt worden«, sagte Gwendolin. »Jedenfalls habe ich Autotüren zuschlagen hören. Sie ist wohl zum Bahnhof gefahren.«

      »Lassen wir die Spekulationen beiseite«, verlangte der Detektiv. »Wie ich Nicole kenne, hätte sie bis zum Bahnhof das Tram genommen, denn die Haltestelle liegt ja beinahe vor der Tür.«

      Die vier saßen in der Bar im Parterre des Schwarzen Katers, die nicht mehr als Gaststube genutzt wurde. Die Zahl der regelmäßigen Kunden war so stark zurückgegangen, dass es sich nicht mehr lohnte, das Lokal ganztags offen zu halten. Die Konkurrenz durch neue Betriebe rund um den Breitenrainplatz war zu groß geworden, die Leute zog es immer wieder in neue Restaurants, und wer sein Beizenkonzept nicht stets an Trends anpasste, hatte das Nachsehen.

      »Nicole ist also am Samstagmorgen weggefahren«, nahm Müller den Faden wieder auf. »Wir haben sie nicht vermisst. Am späten Montagnachmittag ist sie hinter dem Restaurant Hornbach-Pinte bei Wasen im Emmental, Gemeinde Sumiswald, verletzt aufgefunden worden. Der Wirt hat die Sanitätspolizei benachrichtigt, zuständig ist Burgdorf als nächstgelegener Ort mit Akutspital und Notfallstation. Es bestand hohe Dringlichkeit, denn sie war schwer verletzt und hatte offenbar bereits viel Blut verloren. Also fand keine Tatortsicherung statt.«

      Er blätterte in den ausgedruckten Protokollen.

      »Bei der Notoperation stellte man die Schusswunde fest. Im Vordergrund standen die lebensrettenden Maßnahmen. Erst nach dem medizinischen Eingriff hat man die Police Bern in Burgdorf benachrichtigt. Dann war es jedoch bereits zu dunkel, außerdem war ein kräftiges Gewitter

Скачать книгу