Das schwarze Herz. Armin Öhri

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Das schwarze Herz - Armin Öhri

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war also gar nicht Viertel vor drei«, stellte Julius fest. »Aber wie spät war es dann tatsächlich?«

      »Geben Sie mir Ihre Uhr!«, bat ihn Horlitz.

      Bentheim löste die Mercier von ihrer Kette, um sie dem Kommissar zu reichen. Dieser griff nach ihr und verstellte die Zeiger, bis sie genau zwölf Uhr anzeigten.

      »Sehen Sie, Julius«, erklärte er, »ich bewege jetzt langsam die beiden Zeiger. Sehen Sie es? Erst jetzt, etwa 32 Minuten nach zwölf Uhr zeigen die beiden Zeiger in die entgegengesetzten Richtungen. Und wenn ich weiterdrehe, so geschieht dies immer in einem Abstand von einer Stunde und ungefähr sechs Minuten.«

      Aufgeregt hielt er Julius die Uhr vors Gesicht.

      »Genau genommen zeigen der Minuten- und der Stundenzeiger um null Uhr 32 und acht Elftel Minuten zum ersten Mal in die total entgegengesetzte Richtung. Noch in dieser Nacht, als Sie beide am Tatort beschäftigt waren, habe ich es ausgerechnet. Darauf immer wieder im genauen Abstand von einer Stunde und fünf Minuten und fünf Elftel einer Minute, also ungefähr 27 Sekunden.«

      Bentheim hatte verstanden.

      Horlitz ereiferte sich weiter: »Haben Sie den Stand des Sekundenanzeigers an der Wanduhr betrachtet, Julius? Ja? Haben Sie das getan? Die Uhr zeigte ungefähr 50 Sekunden oder vielleicht auch 51 an. Mathematisch gesehen müsste der präzise Zeitpunkt jedoch bei 49 Sekunden plus eine Elftel-Sekunde gelegen haben. Das wiederum beweist, dass der Mord gar nicht morgens um drei stattfand, sondern schon viel früher. Das Uhrwerk ist mechanisch, die 50 war bereits erreicht. Die exakte Tatzeit lässt sich anhand des Sekundenzeigers auch leicht berechnen. Auf den Tresor wurde genau um 21 Minuten und 49 Sekunden nach zehn Uhr geschossen! Der Mord muss kurz zuvor geschehen sein. Quod erat demonstrandum!«

      Bentheim blieb die Luft weg. Zumindest theoretisch musste er sich eingestehen, dass die eben gehörte Schlussfolgerung plausibel war. Dennoch kam er nicht umhin, den Advocatus Diaboli zu spielen und wenigstens zwei oder drei Punkte anzumerken.

      »Angenommen, die Zeiger haben sich gedreht«, warf er ein, »und angenommen, die Uhr ist einfach früher schon stehen geblieben – sagen wir mal: vor zwei Tagen oder vor einer Woche, was weiß ich?«

      »Ihre Skepsis ehrt Sie«, entgegnete Horlitz. »Rein mathematisch gesehen müssen wir diese Varianten ausschließen, da ansonsten eine Rechnung oder auch eine Kalkulation der Wahrscheinlichkeit, oder wie immer man das auch nennen mag, vollends überflüssig wäre.«

      Dem Tatortzeichner schwirrte der Kopf.

      Was, wenn die Uhr gar nicht exakt lief? Oder wenn sie bereits vorher falsch justiert gewesen war? Wenn sie vor- oder nachging? Er wollte zu einer zweiten Entgegnung ansetzen, als der Kommissar, der seine Gedanken zu lesen schien, abwehrend die Hand hob und mit gutmütiger Stimme sprach: »Lassen Sie das, Julius! Es ist alles eine Frage der deduktiven Logik. Warten wir doch einfach ab, wie sich die Sache entwickelt. Alles andere wäre müßig.«

      Gedankenverloren lehnte sich Julius Bentheim in seinem Sessel zurück. Wenn der Hausdiener sie über den Zeitpunkt des Mordes belogen hatte, so stellte sich unausweichlich die Frage, welchen Nutzen er sich davon erhoffte.

      »Wir haben also den Mörder gefunden«, sagte Bentheim mehr zu sich selbst, als ihn Horlitz auch schon unterbrach.

      »Sehen Sie die Sache nicht so engstirnig, Julius. Die Tatsache, dass der Diener uns falsch informiert hat, beweist noch lange nicht, dass er auch der Täter ist.«

      Empört hob Julius den Kopf. »Nun hören Sie doch! Der reiche Herzog wird ermordet. Keiner der Nachbarn will etwas gehört oder gesehen haben. Und schließlich belügt uns der kauzige Diener auch noch offensichtlich. Da muss man doch nur eins und eins zusammenzählen, um auf die Lösung zu kommen. Der Kerl gehört ins Gefängnis!«

      »Nicht so ungestüm, junger Freund«, besänftigte der Kommissar das aufbrausende Naturell seines Tatortzeichners. »Die Dinge sind meistens nicht so, wie sie zu sein scheinen. Zugegeben, alles spricht gegen den Diener. Doch haben Sie nicht seine zitternden Handbewegungen gesehen? Glauben Sie wirklich, dieser schwache, wahrscheinlich von der Schüttellähmung befallene Mann hätte den Safe mit wohlplatzierten Schüssen öffnen können? Ich bin überzeugt, dass dieser alte Herr nie dazu imstande gewesen wäre, die Pistole auch nur annähernd gerade zu halten. Nein, Julius, der Diener ist nicht der Täter.«

      »Aber weshalb sollte er den tatsächlichen Mörder decken?«

      »Eben das herauszufinden, wird unsere nächste Aufgabe sein«, meinte Horlitz, wobei in seiner Stimme ein enthusiastischer Unterton mitklang, der stets zu hören war, sobald sein Spürsinn geweckt oder zumindest gereizt worden war. Er sah zur Bürodecke hoch und schwelgte für kurze Zeit in Gedanken, bevor er sich brüsk an Bentheim wandte und mahnend sprach: »Überlegen Sie das nächste Mal, bevor Sie jemanden verdächtigen. Ich mag Ihnen ein warnendes Beispiel anführen, wenn Sie gestatten?«

      Bentheim seufzte geschlagen, während der Kommissar, den diese ostentative Missbilligung überhaupt nicht störte, fröhlich zu seinen Ausführungen ansetzte: »Einer meiner ersten Fälle drehte sich um die Entführungsaffäre Schadow«, erzählte er im Plauderton. »Sie haben den Namen vermutlich schon einmal gehört. Emil Schadow. Ein angesehener Mann aus der Oberschicht. Preußischer Junker, wie er im Buche steht. Dieser Schadow also wurde eines Tages auf offener Straße verschleppt – direkt vor dem Haupteingang zum Zoologischen Garten. Ein Einzeltäter hielt den Junker mehrere Tage gefangen, ohne dass es der Gendarmerie gelang, dem Kriminellen auf die Spur zu kommen. Der Entführte saß die ganze Zeit mit verbundenen Augen auf einem Stuhl. Niemals bekam er seinen Peiniger zu Gesicht. Man gab ihm zwar zu essen, doch sein Sitzfleisch wurde arg strapaziert, wie Sie sich leicht vorstellen können. Als der Entführer ein hohes Lösegeld forderte und dieses von der Familie des Opfers auch überreicht bekam, erhielten wir eine Nachricht, wo Schadow aufzuspüren war. Wir fanden ihn schließlich gefesselt und geknebelt in einem verlassenen Lagerhaus in der Gartenstraße vor dem Hamburger Tor. Damals war das noch eine übel beleumdete Gegend, voll mit Ganoven, Huren und zugezogenen Arbeitern. Wenige Tage später verhafteten unsere Leute einen einschlägig vorbestraften Halunken, der zu den üblichen Verdächtigen gehörte. Immer wieder war der Mann durch Einbrüche und Gewalttaten aufgefallen und besaß für die Tatzeit überdies kein hieb- und stichfestes Alibi. Eine klare Sache, dachten sich die Leute von der Ermittlung und wollten die Affäre schon ad acta legen. Zum Glück des Delinquenten war ich bei einem der Verhöre anwesend, woraufhin er aus der Untersuchungshaft entlassen wurde. Wissen Sie auch, wieso?«

      Unisono verneinten Bentheim und Krosick.

      »Weil ich den Mann mit einem Seil einen Knoten machen ließ.«

      »Einen Knoten?«, wiederholte Albrecht verblüfft. »Ich glaube, ich verstehe nicht ganz.«

      »Der Mann war sichtlich nervös. Natürlich. Das ganze Verhör hindurch fuhr er sich mit der linken Hand durch die Haare oder kratzte sich an der Nase. Das brachte mich auf eine Idee. Ich gab dem Strolch ein Seil und befahl ihm, einen Knoten zu machen. Das Ergebnis war der Knoten eines Linkshänders. Die Schlingen und Verknüpfungen jedoch, mit denen das Opfer gefesselt gewesen war, waren die Knoten eines Rechtshänders gewesen. Der Verdächtige konnte unmöglich der Entführer sein. Wir mussten den Mann also laufen lassen. Der Teufel liegt im Detail. Ich hoffe, Sie haben etwas aus dieser Anekdote gelernt, meine Herren.«

      So sprach er und setzte endlich die Tasse Tee an die Lippen.

      Drittes Kapitel

      Am Abend dieses denkwürdigen Tages sahen sich Albrecht

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