Das schwarze Herz. Armin Öhri

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Das schwarze Herz - Armin Öhri

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von Sternau, eine ebenso vermögende wie schrullige alte Jungfer, hatte die Schönen und Reichen zu einer Soiree auf ihren Landsitz geladen. Anlass zur Feier gab der Geburtstag ihrer Schoßhündchen, zweier kleiner und verwöhnter Promenadenmischungen, welche die ehrenwerte Dame vor einigen Jahren beim Prenzlauer Tor aufgelesen hatte. So exzentrisch und verschroben der Grund für dieses fröhliche Beisammensein auch war – den beiden Freunden war es einerlei; sie nutzten die Gunst der Stunde, um Beziehungen zum Hochadel zu knüpfen.

      Die Huld ihres Besuches in diesem ausgewählten Zirkel lag in einem äußerst delikaten Fall begründet, den Julius und Albrecht einst mit Bravour und zur völligen Zufriedenheit der alten Gräfin gelöst hatten: Sternaus Liebesbriefe waren verschwunden gewesen. Diener und Hausgesinde wurden verdächtigt. Die adlige Herrin beschuldigte Sekretäre und Köche, Diebe der verfänglichen Korrespondenz zu sein. Sie verstieg sich gar so weit, Spione und ausländische Kriminelle für das Verschwinden ihrer amourösen Zeilen verantwortlich zu machen.

      Da ihm seine Zeit zu kostbar war, um sie mit derartigen Belanglosigkeiten zu vertrödeln, übergab Kommissar Horlitz den Fall seinen zwei Adepten. Diese fassten die Gelegenheit beim Schopf. Binnen weniger Stunden hatten Albrecht und Julius den ganzen Sachverhalt entwirrt, und die Lösung hatte ihre Ursache in einem ganz profanen Umstand: Gräfin Dorothea, die vergessliche Jungfer, hatte schlicht und einfach die Briefe verlegt. Sie steckten als Lesezeichen in einem Buch, das Julius in ihrer Bibliothek auf der Lesekommode fand – pikanterweise in Abbé Prévosts unrühmlicher Geschichte des Chevaliers des Grieux und der Manon Lescaut. Die Ausgabe war völlig zerlesen und ihre erotischsten Stellen mit roter Tinte umrandet.

      Wie dem auch sei, jedenfalls quetschten sich die zwei Freunde gegen acht Uhr abends zwischen geparkten Kutschen und Droschken hindurch, bis sie vor dem schmiedeeisernen Eingangstor der Villa Sternau standen, und zeigten einem der Türsteher, die man in lächerliche silberne Fantasie-Uniformen gesteckt hatte, ihre mit Blattgold umrandeten Einladungen.

      Der Diener begutachtete die krakelige Handschrift seiner Herrin, blickte Julius leicht irritiert an und reichte ihm die Karte wortlos zurück. Der Tatortzeichner lächelte sinnig, denn er wusste um den kuriosen Inhalt des Textes:

      Ich werde tunlichst darauf achten, dass die Luft in meinem Salon Ihren kriminellen Spleen verscheuchen wird.

      Herzlichst, Ihre Gräfin D.

      Es erübrigte sich zu sagen, dass der Unterschied zwischen »kriminell« und »kriminalistisch« noch nicht in die Hautevolee vorgedrungen war.

      Julius und Albrecht betraten das Grundstück und fanden sich in einem der schönsten Gärten außerhalb der Berliner Zoll- und Akzisemauer wieder. Sorgfältig gestutzte Buchsbäume bildeten mehrere Quadrate, in denen die Gemüsebeete nicht bloß nützlich sein sollten, sondern ein dekoratives Element abgaben. Das Blaugrün des Lauchs stach ab vom lichten, hellen Grün des winterlichen Feldsalats. Dazwischen hatte man Rosenkohl und ein paar Steckrüben eingebettet und an den Ecken und Kreuzungen der Vierecke kleine Teiche ausgehoben, die von hölzernen Stangen überdeckt waren, welche ihrerseits von Kletterrosen überwuchert wurden. Auf mit Kies bestreuten Pfaden zwischen den Quadraten hindurch verlief der Weg zum Haus. Alles war von unzähligen Fackeln beleuchtet und in ein irisierendes Licht getaucht. Im Frühling und Sommer, wenn bei den meisten Pflanzen die Blütezeit gekommen war, würde die Anlage ein unvergessliches Bild abgeben.

      Ein weiterer Diener empfing sie an der Eingangspforte und führte sie ins Gebäude, das aus ockerfarbenem Stein bestand. Der weitere Weg ging vorbei an prächtigen Möbeln und hinein in einen mondän eingerichteten Saal, dessen Fenster hin zum Garten zeigten. Etliche Gäste waren bereits anwesend, und der Diener kündete Bentheim und Krosick an, wie es einst wohl ein sklavischer Nomenklator der alten Römer gemacht haben würde: Laut und deutlich rief er ihren Vor- und Zunamen und räusperte sich, bevor er die Berufe des Tatortfotografen respektive Tatortzeichners erwähnte, die hier, bei den oberen Zehntausend, nicht gerade als gesellschaftsfähig galten.

      Die Damen und Herren drehten sich für einen Augenblick zur Tür und bedachten ihre Wenigkeit mit einem belanglosen Nicken, und dann kam auch schon Gräfin Dorothea angerauscht, ihre zwei obligaten Schoßhündchen auf den Armen. Julius begrüßte sie warmherzig und kramte eine Bockwurst aus der Hosentasche hervor, die er speziell für diesen Augenblick eingepackt hatte.

      »Sieh an, ein Geburtstagsgeschenk für meine Lieben!«, entfuhr es der erfreuten Dame. »Ach, es ist erbärmlich«, plauderte Gräfin Dorothea drauflos, »ich kokettiere und kokettiere, aber niemand würdigt mich auch nur eines Blickes. Glauben Sie, ich finde hier einen Gatten?« Und ohne dass der Angesprochene auch nur eine Silbe hätte antworten können, fuhr sie fort. »Dort drüben, sehen Sie, Julius? Dort steht Hermann von Thile, einer unserer Unterstaatssekretäre. Daneben parlieren die Herren Fontane, Möllhausen und Galen. Gehen Sie nicht hin, ich warne Sie; die reden ohne Unterbruch über ihre miesen Texte. Und da hinten, der mit dem Sektglas in der Hand, das ist ein Minister. Aber fragen Sie mich jetzt nicht, was er ministriert; ich bin doch immer so zerstreut und vergesse diese Dinge gleich wieder. Sowieso, diese Politik … Haben Sie übrigens meine neue Fassade bewundert?«

      Bentheim verneinte.

      »Das ist schade«, bemerkte sie mit Nachdruck. »Äußerst bedauerlich. Die Steine habe ich extra aus La Gaude kommen lassen. Das liegt in Frankreich, müssen Sie wissen. Aber Sie sind ein Studiosus; ich rede und rede, und Sie wissen das bestimmt besser als ich.«

      Julius hüstelte leicht irritiert, streichelte ihren Hunden über die Köpfe und entschuldigte sich mit dem Verweis, einen Bekannten unter den Gästen entdeckt zu haben, den Journalisten Friedrich Goedsche. Gräfin Dorothea nahm ihm die Notlüge ab.

      Wenig später, nach einer Anstandspause von fünf Minuten, die Julius und Albrecht im Eingangsflur auf und ab gehend hinter sich gebracht hatten, betraten sie erneut den Raum. Albrecht schnappte sich ein Glas Champagner von einem der Tabletts und gesellte sich mit Julius zu einer Ansammlung Männer und Frauen, die gerade dabei war, heftig über die weltpolitische Lage und insbesondere über die neu gegründete preußische Provinz Hessen-Nassau zu disputieren. Das Gespräch zog sich hin und wurde allgemein, bis schlagartig die Damen der Runde verstummten. Ihre Augen waren auf die Saaltür gerichtet, wo soeben ein junger, dandyhaft wirkender Gentleman Stellung bezogen hatte. Groß und dominant, mit viriler Ausstrahlung, betrachtete er herausfordernd die Gesellschaft.

      »Das ist er«, seufzte die Frau zu Albrechts Linken. »Er sieht verdammt gut aus. Wenn er nur nicht diesen Pakt geschlossen hätte …«

      »Verzeihen Sie. Aber welchen Pakt?«, erkundigte sich der Tatortfotograf.

      Die Dame starrte ihn verständnislos an.

      »Sie kennen den Vicomte de Rastignac nicht?«

      »Ich hatte noch nicht das Vergnügen.«

      »Meiden Sie ihn!«, befahl ihm die Frau mit Nachdruck. »Man erzählt sich, er pflege Freundschaft mit Werwölfen. Er steht mit dem Bösen im Bunde.«

      Obgleich es sich einer Dame gegenüber nicht ziemte, lachte Julius, der dem Gespräch gefolgt war, unwillkürlich auf.

      »So, so«, meinte Albrecht süffisant. »Trägt Ihr Vicomte denn ein Kainsmal? Als Franzose wird er am Ende gar ein Katholik sein. Das wäre bei uns bereits Grund genug, ihn aufzuhängen.«

      »Zwei Gründe«, warf Julius leichthin ein. »Franzose und Katholik.«

      »Sie belieben zu scherzen«, entgegnete die Frau sichtlich verärgert, bevor sie sich brüsk abwandte.

      Julius zuckte mit den Achseln und schickte sich in eine weitaus interessantere Konversation mit einem alten Baron,

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