Alpendöner. Willibald Spatz
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Die waren alle ganz nett zu ihm. Mit denen würde er schon auskommen. Er hatte 15 Minuten zu gehen, dann war er an seiner neuen Arbeitsstelle, einem kleinen Verlag für Wander- und Naturliteratur, angekommen. Das Wandern in der Natur hatte ihn schon immer ein bisschen interessiert, er war ein Naturmensch, würde sich selbst jedenfalls als solchen bezeichnen. Deswegen war er auf den Verlag aufmerksam geworden, auf deren Anzeige – nicht in seiner Zeitung übrigens oder leider. Die meisten Wanderführer veralteten schnell, waren lieblos und oberflächlich gestaltet, entweder von fußlahmen verhinderten Literaten oder von sportwahnsinnigen Analphabeten geschrieben. Das meiste nichts für Menschen wie ihn, die für beides was übrig hatten, das jedenfalls behaupten konnten, wenn jemand sie danach fragte in einer Situation, in der es darauf ankam. Das hatte Birne schon kapiert und richtig gelogen hatte er damit nicht, war nur in letzter Zeit weniger dazu gekommen, war auch in der Stadt München gewesen ohne Auto, denn grün angehaucht war er auch.
Es war ein kleiner Verlag, drei außer ihm und dem Chef und einer Praktikantin, die nicht da war, die ihren Chef begleiten durfte bei einer Verlagsreise. Mehr wurde nicht gesagt und Birne fragte nicht und machte auch keinen Witz darüber, obwohl ihm einer einfiel. Er wusste ja nicht, wie diese Nettigkeit aufzufassen war, ob es am Ende eine katholische war, und dann wär’s wahrscheinlich bald vorbei gewesen mit dieser Nettigkeit. Birne war schon auch katholisch, ausgesprochen sogar, mit den Katholiken, mit den Christen insgesamt kam er hervorragend aus, kannte sogar einige Namenstage, ohne in den Kalender zu schauen, achtete an entscheidenden Stellen aber auch sehr darauf, einen Witz zu vermeiden, selbst wenn er gepasst hätte.
Bei der Erwähnung der Praktikantin fiel ihm ein, dass er selbst gerade keine Frau hatte, dass das ein bisschen auch der Grund war, warum er überhaupt hier war, und dass er sich auf das Ende der Dienstreise freute.
Er bekam seinen Computer in einem eigenen Raum, er könne jederzeit fragen, beschied man ihm.
Werner war älter und hatte viel Bart, er war von hier, beinahe ein Original, sein Händedruck war demonstrativ kräftig, fast krampfhaft kräftig, und sein Hemd war grün und spannte sich stolz über einer Bierwampe. Birne mochte Bier, und Birne mochte Gemütlichkeit. Birne würde vielleicht ein Freund Werners werden, wenn Werner zwischendurch Sehnsucht danach haben würde, seine Frau daheim allein zu lassen und einen Abend zu entspannen. Werner redete nicht viel, nur das Nötigste, oder versuchte, auf Birne so zu wirken, als ob er ihn erst prüfen müsse, als ob er dem Jungen aus der Stadt erst einmal xenophob entgegentreten müsse, als ob sonst die Freundschaft nichts gelte, wenn sie gleich herzlich und, wenn man so will, amerikanisch geschlossen werde. Werner war einer der Drei, der erste, mit dem er zu tun hatte, der Älteste, der, den er fragen konnte, jederzeit. Birne dachte, also gut.
Die Zweite war eine Frau, und Birne mochte sie nicht gleich. Es war die Sigrid, und Birne merkte, dass sie für ihn ungern die Sigrid war, sich von ihm lieber zuerst mit Nachnamen und »Sie« hätte anreden lassen wollen, aber nachdem schon Werner gleich das »Du« angeboten hatte, musste sie mitziehen. Sie war jünger als Werner, vielleicht zehn Jahre, und damit um die Mitte 40. Birne dachte, nicht unbedingt glücklich mit all dem insgesamt, mit den rotblond gefärbten Haaren, die dünn wurden oder immer schon waren, dem türkisfarbenen Landhaus-Westchen, den weißen Stoffhosen, der randlosen Brille, dem aggressiv nach außen getragenen Kleinbürgertum.
Es war kurz nach 12.30 Uhr und Birne hatte gerade beschlossen, sich übers Internet über die Freizeitmöglichkeiten seiner neuen Heimat zu informieren. Die waren alle so sportlich hier, angeblich. Es gab ein Schwimmbad. Schwimmen wäre in Ordnung. Könnte man machen. Ist gesund. Und man kann sich herzeigen. Wäre eine Möglichkeit, dachte Birne kurz nach 12.30 Uhr.
Werner kam rein. »Hast du schon was gegessen?«
»Nein. Zum Frühstück.«
»Gehst mit, ich zeig dir eine Wirtschaft, da kostet es mittags nicht viel.«
Birne war ausgesprochen froh, mitgenommen zu werden.
Sigrid hatte keine Lust. »Sie holt sich aus dem Supermarkt einen Salat«, erklärte Werner voller Verachtung.
Der Dritte, Tim, hatte Zeit. Der Tag war schön, Sonne im Frühjahr. Tim hatte ein hellblaues Hemd an, sagte nicht viel und bekam kleine dunkle Flecken unter den Achseln. Werner redete, kommentierte fast jeden Baum am Rand des Gehsteigs ihres Wegs, und Tim lachte laut und verlegen. Birne fühlte sich ihm jetzt schon überlegen – seinen sauber gescheitelten dunkelbraunen Haaren und seiner randlosen Designerbrille, seiner dürren Gestalt. Sie hatten Birne gesagt, er könne sich an ihn wenden, wenn er Probleme mit dem System habe oder allgemein irgendetwas nicht stimme mit dem Computer. Birne hatte sich innerlich bedankt und sich gedacht, er hätte sich ohnehin an diesen gewandt bei so einem Problem. Zu etwas waren diese Gestalten doch gut.
Birne hatte Mitleid auf dem Weg mit Tim, wollte ihn nicht immer nur höflich lächelnd nebenhertraben lassen und stellte ihm deshalb eine Frage, die ihn ein bisschen miteinbezog: »Bist du von hier?«
»Nein«, antwortete Tim schnäuzend – er hatte sicher Heuschnupfen. »Baden-Württemberg. Hab hier aber studiert – Tourismus.«
Birne liebte Baden-Württemberg. Das waren für ihn die deutschesten Deutschen. Er hatte vor Jahren einmal eine Frau von dort heimlich verehrt wegen ihrer Figur und Frisur, hatte Kaffeeautomaten belagert, um ihr nahe zu sein, um sie riechen zu können eines Tages, eines glücklichen. Doch dann war sie mal in Begleitung einer Freundin erschienen und hatte gesprochen, und dann war’s vorbei mit Birnes Liebe, schlagartig, nach Wochen innerhalb eines kurzen Satzes mit Sch. Aber ansonsten waren sie großartig, die Baden-Württemberger, ohne sie hätte man dieses Land längst zumachen können.
Nicht weit weg von da, wo Birne wohnte, war die Wirtschaft Korbinian, die bot jedem von ihnen für vier Euro ein Schnitzel und ein Getränk. Birne traute sich nur eine Apfelschorle, weil er nicht wusste, was für einen Eindruck er zu machen hatte, Tim eine verschissene Cola Light; als einziger Richtiger unter ihnen trank Werner ein Weizen, wobei er noch überlegte, ob er ein leichtes oder einen Russ nehmen sollte und dann mit den Worten, »Ach, leck mich doch am Arsch, gleich ein gescheites«, die Vollversion bestellte.
Sie schauten in die Runde, ohne zu reden, sahen eine dunkel rustikal eingerichtete Gaststube, ein bisschen kitschig, fand Birne, was den Großteil der Gäste, Schüler der benachbarten Berufsschule in der Mittagspause, nicht störte. Sie ließen sich von der Bedienung im Dirndl mit Mohren abfüllen, genossen ihr schönes Lächeln bei jeder weiteren Bestellung und vergaßen mehr und mehr die Zeit des Nachmittagsunterrichts, die ihnen drohte.
Tim wollte etwas gegen das Schweigen machen und lobte einen neuen Titel ihres Programms, der weggehe wie warme Semmeln, in die Richtung müsse man weiterbohren, fand er.
Werner hatte Mittagspause und quittierte die geschäftliche Bemerkung mit einem »Ja, ja«.
»Kann sein, dass wir die Anna wiedertreffen?«, wechselte Tim das Thema.
»Die tät dir gefallen, ha?«
Tim wurde rot.
»Das darfst du ruhig zugeben, das macht mir nichts.«
Tim: »Ja schon.«
»Da schau, da musst du dich halt ein bisschen anstrengen. Aber hierher kommt sie nicht mehr, seit sie mitbekommen hat, dass wir öfter da sind. Ich weiß nicht, ob es an dir oder an mir liegt. Wahrscheinlich an uns beiden. Jetzt gehen sie lieber zu dem Türkenwagen da vor und fressen dem sein Zeug auf dem Parkplatz von der Schule. Na, wenn sie meinen, dass das besser ist.