Alpendöner. Willibald Spatz

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Alpendöner - Willibald Spatz

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seinen Feierabend, das ging ihm zu langsam vorwärts. Er überlegte sich, ob er, noch bevor die Läden im Forum schlössen, einen DVD-Spieler kaufen und sich einen Film ausleihen sollte. War an sich nicht seine Art, aber keiner machte einen besseren Vorschlag.

      Eine Zeitung wäre nicht schlecht.

      Er musste aufhören an die blöde Zeitung zu denken, das würde ihn noch zum Kleingeist machen.

      Er könnte, solange die Geschäfte offen hatten, noch einmal rausgehen und sich ein paar Halbe Biere kaufen, eventuell auch mal bei diesem Korbinian vorbeischauen, wenn es mit dem bald rum war, sollte man ihn nutzen, um ihn später gescheit bedauern zu können. Einfach mal reinschauen, und wenn es nett war nach dem ersten Bier, einfach sitzen bleiben und den Abend an sich vorbeiziehen lassen. Allerdings, wenn es zu nett würde, könnte es auch sein, dass ihm der nächste Morgen mehr zum Feind würde als der vergangene, und das konnte er nicht wollen, nicht am zweiten Tag, an dem er hier etwas zu leisten hatte. Birne grinste. Zu leisten hatte.

      Er zog sich den Kittel noch mal über – es wurde kalt am Abend trotz der Versprechungen, die die Frühlingssonne tagsüber gemacht hatte – und ging aus seiner Tür in den Hausgang, wo er die Kinder wieder hörte und auch den Fernseher etwas lauter und erkannte, dass derjenige zwar schlecht hörte, das Haus aber auch großzügig mit den Geräuschen durch seine Wände umging. Im ersten Stock schepperte eine Tür, dort, wo er meinte, den einzigen deutschen Namen in der Früh entdeckt zu haben, und der Fernsehlärm wurde lauter. Er bremste seinen Schritt, blieb stehen, nichts änderte sich. Unten wartete jemand auf ihn. Das passte ihm nicht. Er wollte seine Ruhe, er konnte jetzt aber auch schlecht zurück hinter seine sichere Tür, wie hätte das denn gewirkt?

      Irgendjemand hatte bemerkt, dass er noch mal raus war, und lauerte ihm jetzt auf. Er hatte keine Lust auf eine Begegnung, aber was konnte sie ihm anhaben? Er würde freundlich grüßen, den Blick fest auf den Boden richten und ins Freie abhauen. Er schuldete niemandem etwas und er wollte auch nicht, dass ihm jemand etwas schuldete.

      Er ging nach unten.

      »Guten Abend.« Eine alte, kleine Frau streckte ihre weißen Haare wirr in die Luft und schaute durch große, fensterglasdicke Brillenscheiben auf ihr Opfer, Birne. Sie steckte mit ihrer rosafarbenen Bluse in einer blauen Blumenschürze. Birne wusste, dass er, wenn er jetzt irgendwie reagierte, Lebkuchen fressen musste, bis er fett genug war für den Grill. Er nickte lässig.

      »Neu hier?«, wollte die Alte ihn weiter zu einem Gespräch locken.

      »Neu ist relativ.«

      »Neu ist relativ«, wiederholte sie und lachte zahnlückig. »Noch ein bisschen an die frische Luft?«

      »Ein bisschen.«

      »War ein schöner Tag heute, aber wird kalt am Abend, da soll man sich nicht täuschen. Aber Sie sind ja warm eingepackt, Ihnen wird nichts passieren.«

      »Hoffen wir’s.«

      »Ja, hoffen wir’s. Sagen Sie, junger Mann, haben Sie schnell zwölf Minuten Zeit für eine arme, schwache Frau?«

      Jetzt hatte Birne praktisch schon verloren.

      »Worum geht es denn?«, wollte er wissen.

      »Ich habe es doch gewusst, schon als ich Sie einziehen sah, dass Sie ein feiner Mensch sind. Ich habe es gewusst.«

      Birne hatte große Lust, ihr das Gegenteil zu beweisen und sie einfach mit ihrem nackten Lob auf der Treppe stehen zu lassen.

      Ein Enkel von ihr war wohl während des Tags da gewesen und sie in dieser Zeit gerade beim Einkaufen. Er hatte ihr einen Zettel auf den Küchentisch gelegt, dass der Schrank, den eine unlängst verstorbene Cousine hinterlassen und ihr vermacht habe, nun von ihm gebracht und im Keller gelagert sei. Ob er, Birne, nun so freundlich sein und das Möbel zu ihr in den ersten Stock tragen könne. Sie sei alt und schwach und er jung und kräftig. Birne fragte sich, warum das nicht der blöde Enkel machen konnte, mochte aber lieber schnell hier wieder raus und willigte ein.

      Die alte Frau, die sich als Frau Renate Zulauf vorstellte, führte ihn in den Keller, wo ein meterhoher absolut uninteressanter Wohnzimmerkasten stand.

      »Der wär’s. Schaffen Sie den?«

      »Kein Problem.«

      Birne machte sich dran und hasste sich vom ersten Augenblick an. Er musste unbedingt an seiner Unhöflichkeit arbeiten. Er war zu gut zu den Menschen. Was taten sie dafür?

      Umständlich und unter starkem Schwitzen schob er den Schrank die Kellertreppe hoch. Frau Zulauf äußerte sich zunächst sehr positiv über die Stärke Birnes, begann aber bald, ihn zu ermahnen, er solle doch aufpassen, nicht zu oft die Wand zu touchieren, sie habe keine Lust, neu lackieren zu lassen, so viel sei das Erbstück nun auch nicht wert.

      »Ich geb schon Obacht, keine Sorge.«

      »Ich meine ja nur.«

      Schwer schnaufend knallte Birne den Kasten vor der Eingangstür hin.

      »Was ist?«

      »Nur kurz schnaufen und Jacke ausziehen.«

      »Allein würde ich das nie schaffen.«

      »Das ist doch kein Problem.« Birne packte wieder an. Woher kam diese ganze Höflichkeit auf einmal? Wollte er gut sein zu den Menschen? Wollte er wieder Liebe geben? Schon möglich.

      Konnten sie nicht aufpassen? Die Eltern kamen ums Eck. Die wohnten hier seit Jahren und wurden doch nicht gebeten von der alten Frau, die sie jetzt übertrieben freundlich grüßte. Als ob sie Angst hätte. Birne grüßte auch, so freundlich, wie es ihm die Last erlaubte. Ein türkisches Ehepaar mit zwei wilden Kindern, nahm Birne unter Schwitzen wahr, kam aus dem Erdgeschoss geschossen und zwängte sich an ihm vorbei.

      »Ausgesprochen nette Leute«, berichtete Frau Zulauf. »Ich wohne hier seit 64 Jahren. Können Sie sich das überhaupt noch vorstellen? Da war noch Krieg. So, jetzt haben wir es gleich. Mein Mann ist 1969 gestorben. Das war schlimm. Gott hab ihn selig. Und diese Familie wohnt hier seit drei Jahren. Ausgesprochen nette Leute. Auch die Kinder grüßen immer freundlich, wo man doch sonst immer meint, die Kinder von den Ausländern grüßen nicht. Aber die hier grüßen. Wenn Sie das einfach dorthin stellen, mein Enkel kommt die Tage noch mal vorbei und schiebt es dann richtig hin. Mei – vielen Dank. Warten Sie.«

      Birne hatte den blöden Kasten die zwei Treppen in den ersten Stock getragen, hatte trotz Aufpassens mehrmals die Möbel im Gang der Wohnung der Zulauf gestreift, war im Wohnzimmer angekommen und endlich erlöst worden. Hier, dachte Birne, sah es aus, wie er es erwartet hatte. Ein grüner Teppichboden, eine 20 Jahre alte Sitzgruppe, die mit nach Katzenhaar stinkenden Decken belegt war. Den halben Bildschirm des Fernsehers, der in einer dunkelbraunen Wohnzimmerschrankwand steckte, bedeckte ein gehäkeltes Tüchlein, darauf standen Familienbilder, Enkelzeichnungen, Engelstatuen, eine Maria, eine Pieta – jede freie Fläche des Schranks bedeckte Tand. Es stank nach Altfrauenwohnung. Im Fernsehen lief jetzt die Tagesschau – Birne hatte den Ladenschluss verpasst durch seine Freundlichkeit.

      »So.« Sie war wieder da mit einem Tablett aus der Küche, darauf stand wiederum eine Flasche mit bescheuertem Likör, den Birne aus einem verstaubten Glas zu trinken hatte. Außerdem bekam er zehn Euro geschenkt, die er, so beschloss er, stehenden Fußes versaufen würde.

      »Allein hätte ich das nicht geschafft, ich bin alt, seit über

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