Unterwegs geboren. Christa Enchelmaier

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Unterwegs geboren - Christa Enchelmaier страница 6

Unterwegs geboren - Christa Enchelmaier

Скачать книгу

war weniger gut. Roberts Vater hatte sie schon ein halbes Jahr nach dem Tod seiner ersten Frau geheiratet. Traugott war damals erst drei Jahre alt; da ging es nicht ohne Frau im Haus. Drei Jahre später kam Wally dazu. Von Anfang an besetzte Pauline, die neue Frau im Haus, ihren Platz recht energisch. Auf Kompromisse ließ sie sich nicht ein.

      Anna und Robert wohnten nach ihrer Hochzeit ein Jahr mit ihr unter dem gleichen Dach. Pauline erwartete von Anna, dass sie eine untergebene und folgsame Magd sei und ohne Nachzufragen alles so erledigen würde, wie sie es vorgab. Aber das klappte nicht und es gab Differenzen.

      Seit einem Jahr hatte Anna nun ihren eigenen Hausstand und war froh, nicht mehr unter der Fuchtel der Schwiegermutter leben zu müssen.

      Roberts jüngerer Bruder Traugott war dreizehn, als sie Gnadental verlassen mussten. Technik interessierte ihn, einen Beruf wollte er erlernen. Am liebsten Uhrmacher, etwas mit Feinmotorik. Bauer wollte er auf keinen Fall werden. Wenn er auf dem Acker pflügen musste, hatte er oft eine alte Taschenuhr dabei, die er im Laufen aus­einandernahm und wieder zusammensetzte.

      Ob die Ackerfurche gerade oder krumm war, war ihm nicht wichtig.

      In Gnadental trafen sich seit einiger Zeit die Jugendlichen ab 14 Jahren regelmäßig zu Spiel, Sport und Schulung. ›Neue Bewegung‹ hieß die Zusammenkunft und der Anstoß war von Deutschland ausgegangen. In Deutschland nannten sie sich ›Hitlerjugend‹. Die jungen Menschen waren begeistert, endlich wurde etwas für sie gemacht. Es wurde Theater gespielt, Gedichte von Goethe und Schiller wurden vorgelesen und Volkslieder gesungen. Es fanden Sportfeste statt, die nicht nur die Leis­tungen einzelner Kameraden, sondern auch die kämpferische Haltung der jungen Mannschaft zeigten. ›Ein Volk, eine Jugend‹, war der Grundsatz. Deutscher Fleiß, Ehre und Gerechtigkeit wurden gepriesen. Dinge, die den gläubigen Pietisten wohl in den Ohren geklungen haben.

      Traugott war erst 13 Jahre alt. Er war noch nicht konfirmiert und durfte nicht zu den Versammlungen gehen. Aber von seinen älteren Freunden hörte er, wie alle mit unglaublicher Begeisterung dabei waren. Er hätte auch zu gerne mitgemacht. Bei der jüngeren Generation fand die Erneuerungsbewegung durch die vielseitigen Aktionen eine große Anhängerschaft. Ihnen wurde ein idealisiertes Deutschlandbild vermittelt und gleichzeitig die Angst vor dem Kommunismus geschürt.

      Durch Berichte über Gräueltaten der Sowjets auf der anderen Seite des Grenzflusses Dnjester und die Angst vor Deportation nach Sibirien waren viele Ängste vorhanden. Und mit ihnen auch eine große Ablehnung der restriktiven Minderheitspolitik der rumänischen Regierung, die ein Klima der Verunsicherung, wachsende Unzufriedenheit und Proteste erzeugte.

      Das Aufkommen der Erneuerungsbewegung wurde durch die jungen Intellektuellen ins Land getragen. Diese hatten überwiegend in Deutschland studiert, und viele kehrten nach Abschluss ihres Studiums als überzeugte Nazis heim. Sie lehnten das alte System und vor allem die verschärfte Rumänisierungspolitik ab und erhofften sich Rückenwind aus NS-Deutschland für eine wirksamere Vertretung ihrer deutschen Minderheitsinteressen.

      Die Volksräte in Bessarabien konnten mit der Zeit diese Stimmungslage sowie den Ansehens- und Bedeutungsverlust nicht mehr auffangen und den Zulauf zur Erneuerungsbewegung, die sich an den Nationalsozialis­ten in Deutschland orientierte, aufhalten. Diese Strömung schwappte auch aus dem größeren Siebenbürgen herüber. Schon 1934 gelang es den Anhängern der Erneuerungsbewegung, die Führung bei den Volksratswahlen zu übernehmen und sie bis zur Umsiedlung im Jahr 1940 zu halten. Trotz ihrer Ausbreitung stieß auch vielerorts, vor allem bei der pietistisch geprägten Bauerngesellschaft Bessarabiens, die antireligiöse und rassis­tische Propaganda der Nationalsozialisten auf Unverständnis und Ablehnung.

      Die letzten Tage in Gnadental waren voller Hektik. Unvergesslich für alle Dorfbewohner war der letzte Gottesdienst am 22. September 1940. Die Glocken riefen, fast alle Dorfbewohner folgten. Bei der ergreifenden Predigt des Pastors über Psalm 121 wurde mancher Seufzer laut. In Begleitung der Orgel sang die Gemeinde: ›Befiel du deine Wege‹, dann stehend: ›Eine feste Burg ist unser Gott‹. Mit dem Lied ›So nimm denn meine Hände‹ verabschiedete sich die Gemeinde von ihrer Kirche. Am Nachmittag nahmen die Familien auf dem Friedhof von ihren lieben Toten Abschied. Sie schmückten ein letztes Mal die Gräber der Verstorbenen. Der frühe neblige Spätherbstabend umhüllte die Gräber und die stolze, weiße Kirche.

      Plötzlich durchflutete ein Orgelspiel den großen, weiten Raum der Kirche. Ein Lehrer hatte sich an das Ins­trument gesetzt und spielte ›Eine feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffe ...‹. Die Melodie brauste auf – schwoll an und brandete an die dicke Kirchenmauer, stieg den Turm hinauf bis zur Spitze in die herbstlichen Nebelschwaden.

      Dann erfüllten nur noch die Dämmerung und eine tiefe Stille den Raum.

      Gnadentaler Kirche.

      GNADENTAL – LEB WOHL ...

      Am 23. September 1940, einem Montag, erfolgte der erste Transport von Gnadental zum Donauhafen Kilia. Dort war die Einschiffung in Donaudampfer vorgesehen, der die Menschen in ein Lager in der Nähe von Belgrad bringen sollte. Frauen, Kinder und ältere Leute mussten als Erste ihr Dorf verlassen. Anna sowie Emma und Gotthilf vom Altenteil gehörten auch zu dieser Gruppe. Jetzt erst merkten sie, wie schwer das Verlassen der Heimat war. Ein letzter Gang durchs Haus – von jedem Zimmer wurde tränenreich Abschied genommen.

      Dann verließen die Frauen ihr Reich. Gefasst traten sie auf die Straße. Robert hatte die Pferde eingespannt und brachte sie mit dem Gepäck zum Omnibus.

      Die zurückbleibenden Männer wären am liebsten ihren Angehörigen nachgefahren. Sie mussten aber wegen der Abschätzung und Übergabe des Vermögens in ihren Häusern bleiben. Das war noch eine sehr unangenehme Prozedur.

      Später zahlten die Russen an Deutschland für das zurückgelassene Eigentum in Form von Getreide, Speise- und Mineralöl. Der Gewinn floss in die deutsche Reichskasse. Hitler hatte all das mühevoll erarbeitete Vermögen der deutschen Kolonisten an die Russen verkauft und den Erlös einbehalten!

      Früh, noch im Dunkeln, fuhren von vielen Seiten zweispännige Fuhren die breite Dorfstraße entlang zu einem Sammelpunkt. Sie brachten Handgepäck der Umsiedler zu dem Platz, auf dem die Omnibusse und Lastkraftwagen warteten. Schnell war das Gepäck auf den Wagen verstaut, einige Lastkraftwagen hatten sogar Anhänger, was auf den unbefestigten Wegen eine außerordentliche Belastung bedeutete.

      Es fing an zu regnen und viele der Gnadentaler dachten sicher, jetzt weint der Himmel zum Abschied. Es gab aber auch welche, die fröhlich waren und sich über die Ausreise freuten. In den letzten Jahren mussten die Kolonisten sehr viele Repressalien der rumänischen Besatzung hinnehmen. In den Schulen durfte nur auf Rumänisch unterrichtet werden, selbst auf den Schulhöfen war die deutsche Sprache verboten. Prügelstrafen für kleine Vergehen waren auch ohne Verhandlung oder Urteil üblich. Hohe Steuern drückten, deftige Strafen drohten denen, die die Steuererklärung nicht in rumänischer Sprache abgegeben hatten. Nicht zuletzt deshalb übte der vollmundige Ausruf Hitlers »Deutsche heim ins Reich« eine große Wirkung auf viele aus. Sie wollten endlich nicht mehr unter fremdländischer Regierung leben, sie wollten unter ihresgleichen sein.

      Es wurde Abschied genommen, ein letztes Winken. Viele Fremdstämmige, hauptsächlich aus dem Russendorf Pawlowka hatten sich zum Abschied eingefunden. Viele von ihnen arbeiteten schon jahrelang für die Deutschen und erst jetzt konnten

Скачать книгу