Waldviertelblut. Maria Publig

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Waldviertelblut - Maria Publig

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einzelnen Wiener Gemeindebezirke verteilten. Alles in einem Höllentempo.

      Bei ihm landeten nur solche Fälle, bei denen Maschinen den Adressaten nicht genau erkennen konnten. Ja, im Gegensatz zu diesen Blechtrotteln und manch anderen Kollegen aus Fleisch und Blut konnte er wenigstens noch lesen und schreiben. Auch bei der Post war das nicht mehr überall selbstverständlich. Zumindest nicht in Wien. Daher setzte man bei kniffligen Fällen auf ihn, der dafür bekannt war, jede noch so unleserliche Handschrift entziffern zu können.

      Irgendwann hatte es ihm schließlich gereicht. Nico Salmer hatte gekündigt. Dabei war er mit Leib und Seele Postler gewesen. Doch dann ging’s für ihn nicht mehr. Ohne Menschen, ohne Seele! Jetzt wickelte er die Post für die Firma Bachwirken ab. Manchmal mit Zoff wie heute.

      Seinerzeit als zuständiger Postbediensteter in Großlichten im Waldviertel war alles so harmonisch abgelaufen. Alles und jeden hatte er gekannt. Manchmal war er von den älteren Bäuerinnen auf einen Vormittagskaffee eingeladen worden. Man hatte geredet, sich ausgetauscht. Er erfuhr dabei viel Neues. Im Wirtshaus dann steckte er das ein oder andere seinem Freund, dem Dorfpolizisten Sepp Grubinger. Der konnte sich seinen Reim darauf machen und präventive, also vorbeugende Maßnahmen ergreifen. Ein gutes Team waren sie schon gewesen.

      Der Sepp! Der ging ihm ab. Die Gespräche mit ihm. Ruhig und unaufdringlich. Menschlich eben. Gewalt hatte es deshalb nie bei ihnen im Dorf gegeben.

      Halt! Bis zu dem Zeitpunkt, wo die Wiener PR-Lady Walli Winzer aufgetaucht war. Vielleicht war’s ja auch ein Zufall, dass sie sich immer gerade dort aufhielt, wo etwas los war. Also genauer gesagt, wo ein Mord geschah. Kein Wunder, dass die Leute anfingen, langsam sauer auf sie zu werden und sie bald nirgends mehr gerne gesehen war.

      Na ja, sauer waren die Großlichtenerinnen und Großlichtener schnell auf solche, die nicht aus dem Ort stammten. Das bekam sogar das Nachbardorf zu spüren. Und dann erst bei einer, die aus Wien hierhergezogen war.

      Nur, er mochte sie. Er konnte sich zwar nicht erklären, warum. Aber vielleicht, weil sie eben nicht aus der kleinen Gemeinde stammte. Für ihn war sie eine aus der großen, weiten Welt gewesen. Wien, das er nur aus dem Fernsehen kannte.

      Als Schüler war er mit der Klasse einmal in der Hauptstadt gewesen. Auf dem Stephansdom oben und beim Riesenrad im Prater. War schon toll. Das hatte ihm gefallen. Und die Menschenmassen, hinter denen man sich anonym verstecken konnte. Nicht gesehen wurde, obwohl man da war. Anders als im Dorf. In der Stadt erlebte man etwas, ohne dabei selbst etwas erleben zu müssen, stellte er entspannt fest.

      Außerdem gefiel sie ihm, diese PR-Lady, mit all ihren Ecken und Kanten. Und mit ihrem großen Herz. Das sie versteckte, wenn ihr jemand zu nahe kam.

      Unabsichtlich.

      Das hatte er festgestellt. So für sich. Als er sie beobachtet hatte. Meist ohne dass sie es merkte. Heimlich. In ihrem Garten. Durch die Lücken in der Hecke. Gerne machte er sich so sein Bild von den Menschen. Unbeobachtet verhielten sie sich, wie sie eben waren. Sie verstellten sich nicht. Waren sie selbst. Wie diese Fremde in Großlichten es war. Mit ihrem frechen Kater Filou. Was er eben mochte. Etwas dafür übrig hatte. Fürs andere. Fürs Auffällige. Aus der Stadt, in die er deshalb selbst vor Kurzem gezogen war.

      »Verdammt und zugenäht!«, polterte es vor der Lifttür. »Wann erwische ich dich endlich!« Walli Winzer riss fahrig an ihrer viel zu vollen Tasche und versuchte weiter, deren Innenleben einigermaßen in den Griff zu bekommen, was ihr unter größter Mühe noch nicht gelang.

      Inzwischen hatte sich die Lifttür geöffnet und wieder geschlossen. Der Lift war ohne Fahrgast hinuntergefahren. Walli Winzer kramte weiter.

      »Ah, endlich«, stieß sie einen Laut der Befreiung aus. Sie zog den Reißverschluss ihrer Handtasche zu und sah einer eleganten jungen Frau nach, die an ihr vorbeiging. Also, eigentlich war es weniger die Frau, der ihre Aufmerksamkeit galt, als vielmehr das Kleid, das sie trug. Es war schwarz mit einem weißen, spiralförmigen Muster, wirkte frisch und aufregend zugleich. Es hypnotisierte richtiggehend, stellte sie nach längerem Hinsehen fest.

      Ihr Blick richtete sich wieder geradeaus auf den Lift, vor dessen geschlossener Tür sie weiterhin stand. Offensichtlich benutzten ihn jetzt auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, um das Bürohaus in ihrer Mittagspause zu verlassen. Da hieß es sogar für die Chefetage: bitte warten.

      Sie blickte inzwischen auf ihr ungleiches Paar Schuhe. Der linke Fuß war immer noch kühler als der andere. Klar, schließlich war der Schuh noch nicht getrocknet. Sonst führte sie immer ein Reservepaar in ihrem Auto mit. Doch gestern wollte sie das Modell wechseln und hatte das neue Paar im Waldviertler Haus gelassen.

      Ihr Kater Filou hatte wieder einmal Unfug getrieben. Sie war sofort hinter ihm her gewesen, hatte die Schuhe ins Vorzimmer geworfen und vergessen, danach die Neuen ins Auto zu legen.

      Walli Winzer seufzte und beschloss, das Treffen mit ihrem Ex, Thomas, auch gleich dahin gehend zu nutzen, eines ihrer Lieblingsschuhgeschäfte in der Wiener City aufzusuchen, um für Nachschub zu sorgen.

      Ein Geräusch lenkte ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes. Es war das Hochklappen der Radfixierung am Postwagen gewesen. Der Mann, der zuvor im Zimmer mit dem Rücken zu ihr gestanden war, hatte sie an diesem gelöst und setzte sich mit seinem Rad langsam in Bewegung.

      »Nico? Nico Salmer?«, fragte sie erstaunt. »Das gibt’s doch nicht!«

      »Hallo, Frau Winzer«, freute sich dieser sichtlich über die unvorhergesehene Situation. Er verließ den Wagen und kam auf sie zu.

      Walli Winzer streckte ihm die Hand entgegen. Sie freute sich in dem Moment tatsächlich, ein vertrautes Gesicht aus Großlichten zu sehen. Obwohl: Nico Salmer hätte sie hier nie vermutet.

      »Es ist schon lange her, dass wir einander das letzte Mal gesehen haben.«

      »Fast a Jahr wird des jetzt her sein«, behielt er den Überblick.

      »Dass Sie so plötzlich aus dem Dorf weg sind, hat mich, ehrlich gesagt, überrascht. Aber nicht nur mich.«

      Nico Salmer hielt kurz inne, bevor er fortfuhr: »Ma muass amoi aus der gewohnten Umgebung ausse. I wollt wissen, wie’s da in der Stadt is.«

      »Und wie ist es?«, fragte Walli verschmitzt und genoss es, ihr Gegenüber durch ihre Anwesenheit ein bisschen verlegen zu sehen.

      Eine Antwort blieb er ihr schuldig, denn die Lifttür öffnete sich. Walli Winzer ging darauf zu und stellte sich wenig damenhaft zwischen die Aufzugstüren. »Nico, wir sehen einander jetzt öfter. Ich werde nämlich die PR-Kampagne für die neue Produktlinie von Bachwirken betreuen und daher ab und zu vorbeikommen.«

      An seiner Mimik konnte sie erkennen, dass er angenehm überrascht war. Er hätte sicher gerne etwas länger mit ihr geredet, aber der Augenblick schien wenig geeignet zu sein. Daher sagte er wie so oft – nichts.

      Walli Winzer blieb noch kurz stehen. Sie wartete auf eine weitere Reaktion. Doch als sie merkte, dass er wie angewurzelt stehen blieb und keine Antwort von ihm kommen würde, stieg sie ohne abschließendes Wort ein. Mit ihren Gedanken war sie längst anderswo – bei Thomas, der schon auf sie wartete.

      3. Kapitel

      Was für eine Schnapsidee das von ihr war, mit dem Auto in Wien herumzufahren. Walli ärgerte sich. Bereits das dritte Mal war sie erfolglos um denselben Häuserblock im 18. Wiener Gemeindebezirk gekurvt. Kein Parkplatz weit und breit.

      Nur

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