Waldviertelblut. Maria Publig
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Walli mochte ihren Ex ja nach wie vor. Aber anders eben. Auf Distanz. Na, war das schlecht, fragte sie sich, wenn man Jahre später einem vertrauten Menschen auf einer neuen Ebene begegnen konnte? Dabei auch all seine positiven Eigenschaften kannte und schätzte, die einem ja immerhin einmal etwas wert gewesen waren? Gewissermaßen in einem anderen Leben, aber eben doch. Zumindest einen Lebensabschnitt lang.
Thomas schaute Walli an. Er kannte ihren verhaltenen Blick. Irgendetwas schien sie zu beschäftigen. So, wie sie jetzt vor sich hin schaute und ihn dabei aus den Augenwinkeln heraus beobachtete, wusste er, dass sie sich eindeutig über etwas Gedanken machte. Nur worüber? Er erinnerte sich, dass sie das auch früher gerne gemacht hatte. Manchmal. Ihn heimlich beobachten. Das war aber schon lange her. Damals waren sie beide noch sehr jung gewesen.
Er erinnerte sich an den Sommer vor vielen, vielen Jahren, als er mit einer Gruppe von Freunden abhing. Lustig und frei ging’s damals unter ihnen zu. Sie besuchten den Prater. Genauer gesagt: den Wurschtlprater, den Wiener Vergnügungspark.
Ausgelassen waren sie gewesen.
Damals.
Ihr spärliches Taschengeld hatten sie zusammengekratzt und wollten unbedingt etwas erleben. Hoch hinaus! All die Träume, Hoffnungen, Wünsche! Die ganze Welt schien ihnen offenzustehen. Würde ihnen noch offenstehen.
Welches Hochgefühl! Mutprobe im Wurschtlprater war damals wie heute die Hochschaubahn. Diese riesige Achterbahn mit den vielen Kurven. Erst hoch – dann tief und steil nach unten.
Gut, dass sie alle vom Leben noch nichts gewusst hatten. Wie es sein konnte. Kommen würde. Kommen konnte. Nicht eben nur Sonnenschein, den sie damals erlebten, sondern auch trübere Tage. Solche, die sie noch nicht kannten. Worüber sie nie nachdachten, weil sie wohlbehütet aufgewachsen waren. Ihre Eltern Sorgen vor ihnen fernhielten. Sie innerhalb der Gruppe voller Übermut ihre Kräfte maßen. In Freundschaft natürlich. Meistens jedenfalls.
Thomas mochte es, an seine Jugendzeit zurückzudenken. Unbeschwert. Auch wenn er dabei einige unangenehme Lümmel aus seiner Klasse ausblendete. Doch all das hatte ihn ermutigt, ein Lehramtsstudium zu beginnen. Er liebte seinen Beruf. Auch heute noch. Viel hatte er für Kinder übrig. Obwohl sie tatsächlich anders als früher waren: anstrengender, fordernder, individueller, kurz gesagt: nerviger.
Aber an diesem Punkt konnte er sich schon während seiner Ehe mit Walli abarbeiten. Dieser Unsteten, Wechselhaften und nur in einem Punkt Beständigen: in ihrem Anstrengend-Sein!
Sei’s drum. Trotzdem war’s das alles wert gewesen. Sie beide – ein Team. Wie Walli damals schreiend und lachend in der Gondel der Hochschaubahn gesessen hatte, die Arme voller Begeisterung in die Höhe gerissen und danach schwankend, aber glücklich zum Ausgang getorkelt war. Dies alles hatte Thomas plötzlich wieder deutlich vor Augen. Wie er sie dabei beobachtet hatte.
Damals. Sie ihn aber nicht wahrgenommen hatte. Nicht bemerkte.
Vorerst.
Er sie schon. Denn sie gefiel ihm. War sexy, schlank, sinnlich.
Sie war auch lustig. Er hatte sie angesehen und sich in ihren Anblick vertieft. Die junge Frau berührte sein Herz. Sehr. Damals. Just in diesem Moment hatte sie seinerzeit zu ihm herübergeblickt. Eine Welt war für ihn aufgegangen.
In diesem Augenblick spürte er – nur sie.
Walli wurde langsam unrund. Sie bereitete sich darauf vor, Thomas sein Geheimnis zu entlocken. So behutsam sie konnte. Dabei sah sie ihn freundlich an. Überlegte vorerst aber, was sie beim Ober bestellen sollte. Es fiel wenig originell aus. Sie bestellte: »Einen Caffè Latte, bitte!«
»Auf dich ist eben Verlass, zumindest dabei«, witzelte Thomas gut gelaunt.
Walli war erstaunt. Er zeigte Humor. Auch wenn der gerade auf ihre Kosten ging. Aber immerhin. Ein neuer Zug an ihm. Thomas bestellte eine Melange. Das war ein Espresso mit doppelt so viel Wasser und Milchschaum. Sie wusste, er liebte diese klassische österreichische Kaffeespezialität.
»Du bist ja so gut drauf. Gibt es da etwas?«, fragte Walli Winzer vorsichtig.
Thomas sah sie offen an und schüttelte bedächtig seinen Kopf. »Ich freu mich, dass wir einander wiedersehen. Das ist alles. Ist ja schon eine Ewigkeit her.«
»Ja, ich weiß gar nicht, wann’s das letzte Mal war?«
»Ein halbes Jahr ist das mindestens her«, war sich Thomas Drexler sicher.
Walli begann erst gar nicht nachzurechnen. Viel zu sehr war sie damit beschäftigt, die für sie ungewöhnliche Situation unter Kontrolle zu halten. Sie sah daher ihren Ex mild und verständnisvoll an.
Da Thomas die gedankliche Abwesenheit Wallis nicht erklären konnte, beschloss er, ihr von seiner letzten Reise zu erzählen: »Eine beeindruckende Reise und ein unglaublicher Gegensatz, diese Türkei, damals zu heute …«
4. Kapitel
»Pass doch auf!«
Ein Mann fortgeschrittenen Alters wandte sich behänd einem jüngeren zu und stöhnte. Das Silbertablett, das mit Schwarztee gefüllten Gläsern beladen war, kippte seitlich. Den langen Weg durch den Schauraum hatte der Kellner unbeschadet gemeistert, und jetzt dieses Malheur! Die braune Lure auf dem Tablett drohte, auf Walli Winzers Blazer zu tröpfeln. Im letzten Moment konnte der erfahrenere Mann das Schlimmste verhindern.
»Puh, das war jetzt knapp.« Walli Winzer war rechtzeitig in Deckung gegangen und geschickt ausgewichen. Dabei war sie vom Stuhl aufgesprungen und hatte sich ungewollt einem der Umstehenden angenähert. Sie lächelte entschuldigend, was dieser mit besonderer Höflichkeit erwiderte. Er verneigte sich mit sanft abwehrender Geste vor ihr, die wohl Gleiches verdeutlichen sollte.
»Ömer, du musst schauen, wo du hinsteigst!«, rief ihm dessen Vorgesetzter wenig freundlich zu, dann wandte er sich an Walli: »Entschuldigen Sie. Ist Ihnen auch wirklich nichts passiert?« Er musterte Wallis Blazer.
Walli merkte, dass er stoppte, um ihr nicht zu nahe zu treten, und dass er seine Augen von ihr abwandte. Er winkte eine junge Kollegin herbei, die in der Nähe einer Besuchergruppe stand. Sie sollte seinen Gast auf der Suche nach vermeintlichen Teespritzern auf der Kleidung unterstützen.
Walli neigte sich ein wenig und musterte ihren Blazer, konnte aber nichts erkennen. »Lassen Sie’s. Es passt schon«, entgegnete sie in Richtung der jungen Frau. Diese ließ sich nicht aufhalten und ging um Walli Winzer herum, die jetzt in der Mitte des Verkaufslokals stand. Es war geräumig und voller handgeknüpfter Teppiche. Einige lagen gestapelt im Seitenbereich. An den Wänden hingen in Muster und Farbe aufeinander abgestimmte Kostbarkeiten.
»Da, sehen Sie! Sie haben doch etwas Tee auf der Hose. Seitlich vom Bug. Schauen Sie mal.«
Walli Winzer winkelte ihr Bein ab und stand plötzlich mehr oder weniger nach Balance suchend da. Sie bot eine unfreiwillig komische Pose. Sie wusste nicht, ob es das oder doch eher die Gesamtsituation war, die die Blicke der anderen auf sie zog. Die junge Frau kicherte, als