Waldviertelblut. Maria Publig
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Sie beobachtete bereits zum zweiten Mal, wie ein Mann versuchte, sein Motorrad zu starten, dessen Zündung offenbar streikte. Eine Frau, die einen Kinderwagen vor sich herschob und ein Kleinkind an der Hand hielt, war während ihrer Runden auch nicht viel weiter gekommen. Und ein alter Mann, der zuvor auf der einen Straßenseite gestanden war und versucht hatte, mit dem Feuerzeug seine Zigarette anzuzünden, hatte es aktuell nur auf die gegenüberliegende Seite geschafft.
Endlich! Walli Winzer war erleichtert, als schließlich jemand vor ihr aus einer Parklücke fuhr. Diese kleine Freude des Alltags hob gleich ihre Stimmung. Das war auch notwendig. Vor allem, wenn sie an die Moralpredigt von Thomas dachte, die demnächst auf sie niedergehen würde. Er wartete immerhin schon eine halbe Stunde auf sie. Und eines wusste Walli mit Sicherheit: dass er das ganz und gar nicht mochte.
Zu warten. Auf sie zu warten.
Wie er das früher, während ihrer Ehe, so oft getan hatte. Das von ihr hinnehmen musste, als sie noch verheiratet waren.
Walli hatte nach der Scheidung wieder ihren Mädchennamen angenommen und begonnen, ihre Agentur aufzubauen. Viel Unvorhersehbares trat natürlich in den ungeeignetsten Momenten ein. Eh klar! Walli musste darauf reagieren und hatte Berufliches immer vor ihre Ehe mit Thomas Drexler gestellt. Ja, und? Okay, das geht mit einem bürgerlichen Mann nicht. Auf Dauer hatte sich das gerächt. Ihre Ehe zerbrach. Sicher nicht nur daran.
Thomas war letztlich kein einfacher Charakter. Spröde und voll hoher Erwartungen an seine Umgebung. Natürlich war er das in gewisser Weise bis heute geblieben. Denn keiner konnte seine Persönlichkeit um 180 Grad ändern. Schließlich war bei jedem nur so viel da, wie eben da war. Auch wenn Mentaltrainer und Psychiater einem das mehr oder weniger anders verklickerten.
Zugegeben, Thomas war in den letzten Jahren etwas nachsichtiger geworden. Musste er wohl auch, denn welche Frau ließ sich heutzutage von einem moralisierenden Spießer auf Dauer gängeln und sich permanent sagen, wo’s langginge?
Walli Winzer nahm den Weg zum Café quer über den Platz.
Bemängelte Walli einst Schrulliges an Thomas, reagierte der jedes Mal eingeschnappt. Irgendwann wurde es ihr zu bunt. Nämlich dann, als sie bemerkte, dass sie im Beruf immer erfolgreicher wurde und sich die charmantesten Männer für sie zu interessieren begannen.
Als Thomas allerdings anfing, eine Reptiliensammlung anzulegen, und diverse Schlangen und Leguane zeitweise ihren Käfig verließen, um über ihre Bettdecke zu huschen, wurde es Walli Winzer zu viel. Sie musste raus. Raus aus diesen sie einengenden Verhältnissen. Raus aus der kleinbürgerlichen Lehreridylle. Und raus aus diesem Unverständnis gegenüber ihrer Gesamtsituation.
Überall hieß es: Frauen ran an die Schaltstellen der Macht! Kam frau dem nach, gab es nicht nur diesen einen Thomas, der einen daran hinderte, obwohl man ihn sogar liebte.
Viele machten es wie er. Als Lehrer erzogen sie die nächsten Generationen, manchmal noch nach längst überholten Gesellschaftsmustern. Auch Konzernbosse tickten nicht anders – außer man zog sie ganz schnell mit weiblicher Strategie ins Vertrauen – dazu gehörte auch Sex.
Selbst dieser fehlte Walli irgendwann in ihrer Beziehung. Doch wie hieß es später so oft: Alles war mittlerweile Geschichte, und Walli Winzer war eine der mächtigsten PR-Ladys in Österreich geworden.
»Hallo, Thomas!« Walli sah ihn, gebeugt über seinem Handy mit einer Tageszeitung neben sich. Er blickte auf und sein Gesicht verriet bereits eine gewisse Angespanntheit.
»Sorry! Aber du weißt, der Verkehr in Wien, vor allem seit Corona …« Walli ersparte sich weiterzusprechen. Thomas würde ihr sowieso kein Wort glauben.
Er sagte auch nichts, stand hingegen auf, küsste sie auf die Wangen und wies ihr den Platz.
»Komm setz dich!« Vorher nahm er seine Jacke vom gegenüberliegenden Stuhl und wartete darauf, dass Walli ihr Cape auszog. Damit machte er sich auf den Weg zum Kleiderständer, der sich neben der Eingangstür befand.
Walli sah ihm nach. Sie konnte es nicht glauben. Wo war seine Moralpredigt? Gut, über seine Belehrungen war sie altersmäßig hinausgewachsen. Aber wo blieben seine Vorwürfe? Gift hätte sie darauf genommen, dass er seinen Ärger nicht für sich behielt. War das wirklich Thomas? Ihr Thomas, den sie seit nunmehr 30 Jahren kannte?
Irgendetwas war da im Busch, dessen war sie sich sicher. Irgendetwas, worüber sie nicht informiert war. Sie spürte es förmlich. Was war es nur?
Die Spannung stieg. Augenblicklich würde sie es erfahren. Erfahren wollen! Was überlegte sie da überhaupt noch. Thomas würde damit sowieso nicht hinter dem Berg halten. So gut kannte sie ihn. Gleich würde er es ihr sagen, es sozusagen aus ihm heraussprudeln.
Thomas Drexler kam an den Tisch zurück. Walli schaute ihn vielsagend an. Er erwiderte ihren erwartungsvollen Blick und sagte: »Erholt schaust du aus! Das Waldviertel tut dir wirklich gut. Die Ruhe, die Stille.« Er musterte sie weiter.
Walli sagte nichts und wartete ab, was noch kommen würde. Das konnte doch nicht alles gewesen sein. Etwas hatte er noch in petto, da war sie sich sicher.
Aber was?
Es kam nichts. Auch weiterhin.
Stattdessen verhielt sich Thomas wohlwollend und friedlich. Schenkte ihr Beachtung. Er lächelte sie sogar an. Und das, obwohl sie zu spät gekommen war.
Die Situation war Walli nicht geheuer.
Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Eine Idee. Eine Eingebung. Ja, langsam wurde sie sich dessen immer sicherer. Nur das konnte es sein. Er wirkte so ausgeglichen, so in sich ruhend. Yoga machte er bestimmt nicht. Das konnte sich Walli nicht vorstellen. Also blieb nur eins: Thomas war einer Sekte beigetreten.
Ohne ihn weiter anzusehen, griff sie sich mit Zeige- und Mittelfinger an die Schläfen und begann dort einen Punkt zu massieren. Nicht zu fest und nur langsam. Walli schloss dabei die Augen. So hatte ihr Erna Reisinger, Hebamme und Kräuterexpertin in Großlichten, es gezeigt. Die Spannungen würden sich dadurch lösen, die Sauerstoffzufuhr im Gehirn angekurbelt und die Atmung langsamer werden.
Tatsächlich.
»Geht es dir nicht gut?«, fragte Thomas besorgt. Er griff nach ihrer Schulter und wartete auf eine Reaktion.
Walli Winzer verharrte in ihrer Position und änderte diese nur langsam. Sie richtete sich auf und blickte in Thomas’ erwartungsvolles Gesicht. Gleich darauf starrte sie auf das kleine Blumenarrangement neben der Getränkekarte auf dem Kaffeehaustisch. Sie atmete tief ein, ohne die Luft hörbar wieder abzugeben. Walli war sich nicht sicher, wie und ob sie Thomas in seiner Lebenskrise würde beistehen können. Denn nur so etwas konnte es sein, wenn er bereit sein würde – obwohl katholisch –, sich jetzt für eine Sekte zu interessieren.
Nun ja, verklemmt war Thomas allemal. Auch wenn man es ihm auf den ersten Blick nicht gleich ansah. Aber seine Liebe zu strikter Regelmäßigkeit, zu Ritualen und seine Starrheit waren schon Hinweise darauf, dass er in einer immer komplexeren und unvorhersehbareren Welt nach Ankern suchte. Und das besonders in einer Chaoswelt, wie sie es mancherorts an Wiens Schulen war.
Orientierung verkündeten die neuen Heilsbringer aus den Sekten. Zufriedenheit und Gemeinschaft versprachen sie. Gaben esoterische Ziele vor. Emotionalisierten. Stimulierten unter ihrem Einfluss mehr Lebenszufriedenheit, um danach ihre jeweilige Ideologie besser durchsetzen