Die Stadt der Regenfresser. Thomas Thiemeyer

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Die Stadt der Regenfresser - Thomas Thiemeyer Die Chroniken der Weltensucher

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Ich habe ihr erzählt, dass wir eine Reise nach Wien unternehmen und eine Zeit lang nicht erreichbar sein werden.«

      »Irgendwann wird sie es trotzdem erfahren«, erwiderte Humboldt düster. »Und dann steht uns mächtig Ärger ins Haus.«

      »Nicht, wenn wir es geschickt anstellen«, sagte Charlotte. »Aber darüber müssen wir uns jetzt noch nicht den Kopf zerbrechen. Zuerst mal muss ich mich umziehen. Meinst du, dein neuer Diener hat die Koffer schon nach oben getragen? Einen besonders fleißigen Eindruck macht er nicht gerade.«

      Oskar zuckte von der Tür zurück und beeilte sich, auch den zweiten Koffer ins Haus zu tragen. Als er wieder eintrat, stand Humboldts Nichte im Türrahmen.

      »Ich dachte, du wärst schon längst fertig«, sagte sie mit missbilligendem Blick. »Was hast du nur die ganze Zeit über getrieben?«

      »Ich musste dem Stallburschen mit den Pferden helfen«, log Oskar und ging an ihr vorbei.

      »Wer’s glaubt«, sagte das Mädchen und schnappte sich den dritten Koffer. »Jetzt aber ein bisschen plötzlich! Ich sehne mich nach meinem Zimmer und einem warmen Bad.«

      In diesem Augenblick kam Eliza aus der Küche. »Charlotte«, rief sie und umarmte die junge Frau. »Hattest du eine schöne Reise? Du musst durstig sein. Darf ich dir etwas anbieten? Wasser, Kakao oder Tee?« Oskar rümpfte die Nase. Er konnte sich vorstellen, was nun kam: Frauengespräche! Nichts, was man unbedingt belauschen musste.

      Er ließ die beiden Damen am Fuß der Treppe stehen und schleppte die Koffer Stufe für Stufe empor. Schon nach der Hälfte kam er mächtig ins Schwitzen. Was hatte dieses Mädchen nur da drin? Ziegelsteine?

      Keuchend und schnaufend erreichte er den obersten Treppenabsatz. Mit der Fußspitze öffnete er die Tür zum Mansardenzimmer und trat ein.

      Der Raum war groß, luftig und hell. Durch das weit geöffnete Fenster drangen Frühlingsluft und das Gezwitscher von Vögeln. Oskar setzte die Koffer ab und sah sich um. Es gab ein Bett, einen Tisch sowie ein Sofa nebst Beistelltisch. Der meiste Platz wurde von Bücherregalen eingenommen, die entlang den Seitenwänden standen und randvoll mit Werken unterschiedlichster Größe und Ausstattung bestückt waren. Oskar konnte seine Neugier nicht beherrschen. Bücher übten eine magische Anziehung auf ihn aus. Er trat näher. Mit schnellem Blick überflog er die Rücken. ›Der große Sternenatlas‹, ›Vererbungslehre‹, ›Vom Einzeller zum Walfisch‹, ›Spanisch Aufbauwortschatz‹, ›Genealogisch-Etymologisches Lexikon Band 1 – 7‹ und so weiter. Keine Abenteuer, keine spannenden Expeditionen, nicht ein Buch, das irgendwie Spaß machen könnte. Das war eine Universitätsbibliothek und keine Lesestube.

      »Und, gefallen dir meine Bücher?«

      Oskar schrak zusammen. Charlotte hatte sich lautlos genähert. Darin schien sie eine Meisterin zu sein. Beschämt senkte er den Blick. Wie kam es nur, dass er sich in ihrer Gegenwart wie ein Dienstbote vorkam?

      »Du scheinst den gleichen Geschmack wie dein Onkel zu haben«, sagte er. »Hast du nichts Spannendes –?«

      »Wozu?«, fiel sie ihm ins Wort. »Für Schundhefte und Kolportageromane fehlt mir die Zeit. Im übrigen würde ich es vorziehen, wenn du mich mit ›Sie‹ anreden würdest.«

      »Wie Sie wünschen.« Ihm schwoll der Hals. Kolportageromane? Schundhefte? Meinte sie damit etwa Jules Verne, Edgar Allan Poe, Karl May oder Arthur Conan Doyle?

      Sie beobachtete ihn aufmerksam. »Kannst du überhaupt lesen?«

      Entrüstet hob Oskar den Kopf. »Natürlich, ich –«

      »Na schön. Was liest du denn? Groschenhefte oder gar Liebesromane?« Sie warf ihm einen bedeutungsvollen Blick zu.

      »Hauptsächlich Geschichten aus fernen Ländern«, murmelte er leise. »Meistens Abenteuerromane.«

      »Unterhaltungsliteratur also.« Sie nickte. »Das dachte ich mir. Nun, daran ist nichts Verwerfliches, aber ich bin der Meinung, dass Lesen in erster Linie der Bildung dienen sollte.« Sie fing an, ihre Koffer auszuräumen. Weitere dicke Schwarten kamen zum Vorschein. ›Grundlagen der Chemie‹, ›Artenkunde der Tierwelt Südamerikas‹, ›English Vocabulary‹. Jetzt wurde Oskar klar, warum die Koffer so schwer gewesen waren.

      »Natürlich denken die meisten Männer, dass es unsinnig ist, wenn Frauen Bildung erlangen«, sagte Charlotte. »Aber das ist in diesem Hause anders. Mein Onkel fördert mich, wo er nur kann, und ich bin ihm zutiefst dankbar dafür.« Sie warf ihm einen prüfenden Blick zu. »Wo stehst du in der Frage, ob Frauen an die Universitäten sollten?«

      Oskar blickte verwirrt. »Wo ich … ? Darüber habe ich mir, ehrlich gesagt, noch keine Gedanken gemacht.«

      »Siehst du? Das ist typisch«, sagte Charlotte. »Die klassische Rollenverteilung. Dabei gibt es so viele Frauen, die den Männern leicht das Wasser reichen könnten, wenn sie nur eine Chance bekämen. Aber es ist, wie du sagst: Niemanden interessiert es.«

      Oskar presste die Lippen zusammen. »Wenn Sie mich dann entschuldigen würden …«

      »Warte.« Sie zögerte einen Moment, während ihre eisgrauen Augen unverwandt auf ihn gerichtet waren. Dann entspannten sich ihre Züge. »Wir hatten einen schlechten Start«, konstatierte sie mit kühler Sachlichkeit. »Vielleicht sollten wir noch einmal neu beginnen. Ich glaube, wir haben uns noch gar nicht richtig vorgestellt. Wie war doch gleich dein Name?«

      »Oskar.«

      »Einfach nur Oskar?«

      »Oskar Wegener.«

      »Schon besser.« Sie nickte und streckte ihm ihre Hand entgegen. »Mein Name ist Charlotte Riethmüller.«

      Er zögerte. Erwartete sie jetzt etwa, dass er ihr einen Handkuss gab? Lieber würde er aus dem Fenster springen. Er überlegte, was wohl die richtige Form wäre, dann ergriff er ihre Hand und deutete eine Verbeugung an. Sie lächelte. Offenbar hielt sie die Begrüßung für angemessen. »Falls du dich über meinen Namen wunderst«, sagte sie, »mein Vater hieß Ferdinand Riethmüller. Er starb leider vor drei Jahren. Meine Mutter ist eine geborene Donhauser, genau wie mein Onkel.«

      Oskar blickte verwundert auf. »Ich dachte, sein Name wäre Humboldt.«

      »Irrtum.« Sie räumte den Rest ihrer Bücher aus, klappte den Koffer dann zu und schob ihn unters Bett. »Mein Onkel behauptet zwar immer, er wäre ein unehelicher Sohn von Alexander von Humboldt, aber dafür gibt es keinen wirklichen Beweis. Wenn du mich fragst, es ist eher so etwas wie ein Künstlername. Aber abgesehen davon ist er natürlich ein großer Forscher. Ich werde bei der bevorstehenden Expedition die Stelle der wissenschaftlichen Assistentin einnehmen.« Sie nickte ihm ernsthaft zu. »Da du ja, wie es scheint, mitkommen wirst, hoffe ich, dass wir beide gut zusammenarbeiten werden. Es ist von größter Wichtigkeit, dass diese Reise ein Erfolg wird. Ich fordere dich auf, deinen Teil dazu beizutragen.«

      Oskar presste die Lippen aufeinander. »Ich werde mich bemühen.« Ihre Hochnäsigkeit war kaum zu ertragen. Nur noch wenige Augenblicke in diesem Zimmer und er würde platzen. »Gibt es sonst noch etwas, was ich für Sie tun kann?«, würgte er heraus.

      »Nein, das war’s im Augenblick. Ich werde mir jetzt ein Bad gönnen und danach lesen. Dabei möchte ich nicht gestört werden.«

      Oskar deutete ein Nicken an und ging zur Tür. Auf dem Weg nach unten verspürte er

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