Der Arzt vom Tegernsee Staffel 4 – Arztroman. Laura Martens
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»Nein, das können Sie nicht«, bestätigte Dr. Eric Baumann. »Auch ich kann das nicht. Das bedeutet eben auch, daß ich Ihrer Tochter nicht helfen kann. Aber ich sprach schon mit Ihren Schwiegereltern darüber und mit Ihrem Mann.«
»Aber Meike ist doch erst acht Jahre alt.« Frauke schluckte. »Sie braucht uns, sie ist so glücklich, daß wir wieder alle jeden Tag zusammen sind. Da können wir sie doch nicht in eine Klinik geben.« Sie sah von dem Arzt zu Katharina Wittenberg, zu der sie auch großes Vertrauen hatte.
Katharina nickte Frauke aufmunternd zu. »So wie ich unseren Doktor kenne, hat er bereits eine Lösung.« Sie drehte sich um und ging in die Richtung, aus der die Kinderstimmen kamen.
»So unrecht hat Katharina wirklich nicht«, meinte Eric und lächelte. »Ich habe mir die Anschriften verschiedener Klinken, die so eine Therapie durchführen, geben lassen. Da gibt es eine im Bayerischen Wald, die mir besonders geeignet zu sein scheint.«
»Herr Doktor, da müßten wir uns doch von Meike trennen«, meinte Gero. »Ich glaube nicht, daß dies gut wäre. Sicher hätte sie wieder Angst, daß wir nicht für sie da sind, oder zumindest ich nicht, auch wenn wir sie jedes Wochenende besuchen würden.«
»Daran dachte ich auch«, gab Eric zu. »In dieser Klinik ist es üblich, daß die Eltern oder zumindest ein Elternteil das Kind sehen können, so oft sie wollen, also auch täglich.«
»Ja und? Wir sind aber hier! Wir können doch nicht täglich in den Bayerischen Wald fahren. Und da ist ja auch noch Flori.« Verzweifelt sah Frauke dem Arzt ins Gesicht.
»Natürlich können Sie das nicht. Aber ich finde, daß Sie sich nach all den Unannehmlichkeiten einen Urlaub verdient haben. Vor allem Sie, Gero, Sie hätten dann auch die Möglichkeit, wieder zu malen. So wäre es doch sicher das beste, wenn Sie sich in der Nähe der Klinik eine Ferienwohnung mieten würden.«
Im ersten Moment sahen Frauke und Gero sich glücklich an, doch dann schüttelten beide die Köpfe. »Da ist doch die Galerie«, meinte Gero. Frauke fuhr fort: »Und außerdem sind wir sehr verschuldet. Wir haben das Geld nicht.«
»Das laßt mal unsere Sorge sein.« Reiner Ebert sagte es spontan. Er sah seine Frau an, und diese nickte begeistert.
»Die Ferienwohnung bezahlen wir«, entschied sie. »Dafür leben wir solange in eurem Haus und wir kümmern uns auch um die Galerie. Natürlich können wir nicht so gut beraten wie du, Gero, aber du hast ja auch noch eine Angestellte. Die wird mir dann schon mit Rat und Tat zur Seite stehen. Und zur Not gibt es dann auch noch das Telefon.« Sie war aufgesprungen.
Auch Gero und Frauke erhoben sich, und zuletzt kam Reiner Ebert auf die Beine. Nur Dr. Baumann blieb sitzen. Schmunzelnd sah er zu, wie die Erwachsenen sich umarmten. Und dann kamen auch noch die Kinder herangelaufen und wurden nun auch geherzt und geküßt.
Zufrieden lehnte Dr. Baumann sich zurück. Er verschränkte die Arme vor der Brust und streckte die Beine von sich. Sie waren wieder eine glückliche Familie, und unter diesen Umständen würde es nicht schwer sein, Meike zu helfen.
Andrea Stanzl drückte mit einer müden Bewegung den Wecker aus. Es war halb sieben. Höchste Zeit aufzustehen und sich um den Haushalt und das Frühstück zu kümmern. Sie fühlte sich wie zerschlagen. Den größten Teil der Nacht hatte sie wach gelegen, weil die Schmerzen in ihrem rechten Bein von Minute zu Minute schlimmer geworden waren. Was konnte das nur sein? Bis vor zwei Wochen hatte sie wie ein Wiesel laufen können, jetzt mußte sie schon glücklich sein, wenn sie es schaffte, zwei, drei Kilometer ohne größere Beschwerden zu gehen oder eine Treppe hinunterzusteigen.
Die junge Frau richtete sich auf und streifte mit einem resignierenden Blick den Mann, der neben ihr im Bett lag. Zum Glück schlief Herbert noch und konnte ihr keine Vorwürfe machen, weil sie bereits gegen zwölf die Gaststube verlassen hatte und ins Schlafzimmer hinaufgegangen war. Herbert konnte sehr ungerecht sein. Für ihn zählte eine Frau nur etwas, solange sie fest anpacken konnte. »Ich möchte nur wissen, was du immer hast«, hatte er sie angefaucht, als sie ihm gesagt hatte, daß sie vor Schmerzen nicht mehr stehen konnte.
Andrea kämpfte sich ins Bad. Die ersten Schritte nach dem Aufstehen fielen ihr jedesmal besonders schwer. Als sie die Tür erreicht hatte, stützte sie sich gegen den Rahmen und hielt einen Augenblick inne. Ich sollte endlich zum Arzt gehen, dachte sie. Anfangs hatte sie geglaubt, die Schmerzen würden von allein vergehen, statt dessen wurden sie mit jedem Tag unerträglicher.
Als Herbert Freytag um halb zehn in die Küche kam, brodelte auf dem Herd bereits das Mittagessen. Wortlos setzte er sich an den Tisch und ließ sich von seiner Freundin Kaffee einschenken. »Hast mich ja gestern schön im Stich gelassen«, brummte er, als er mit beiden Händen nach dem Kaffeebecher griff. »So geht das nicht weiter, Andrea. Als ich dich vor einem halben Jahr von der Straße aufgelesen habe, bin ich davon ausgegangen, daß du mir
in der Kneipe helfen und dich nicht hinter irgendwelchen Wehwehchen verschanzen wirst.«
»Das sind nicht irgendwelche Wehwehchen, Herbert«, verteidigte sich die junge Frau und begann, das Geschirr abzutrocknen. »Im rechten Knie habe ich entsetzliche Schmerzen. Es ist, als würde jemand mit einem Messer in meinen Knochen herumstochern.
Letzte Nacht habe ich wieder kaum schlafen können. Ich kann nicht mehr. Wenn das Essen fertig ist, fahre ich zu Doktor Baumann. Er soll sich mein Knie mal anschauen.«
»Ach, und wer putzt die Kneipe?« fragte er.
»Das werde ich am Nachmittag tun«, versprach sie eilig.
»Wann denn? Um zwei kommen die ersten Gäste.«
»Herbert, ich muß nach meinem Knie sehen lassen.« Andrea hängte das Geschirrtuch über einen der Stühle. »Irgend etwas ist da nicht in Ordnung. Wenn ich ganz ausfalle, ist dir auch nicht geholfen.«
»Soll das eine Drohung sein?« fragte der Gastwirt und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.
Andrea zuckte erschrocken zusammen. »Nein.« Sie schüttelte den Kopf.
»Dann ist es ja gut«, sagte er und griff nach dem Brot. »Ich meine, du solltest nie vergessen, was ich alles für dich getan habe und noch tu’. Die meisten meiner Kumpel können nicht verstehen, daß ich jemanden wie dir ein Zuhause gegeben habe.« Ein boshaftes Grinsen umhuschte seinen Mund. »Schau in den Spiegel und sage mir, ob es selbstverständlich ist, daß ich dich in meinem Haus dulde?«
»Ich weiß, daß ich keine Schönheit bin«, flüsterte Andrea und griff sich in ihre kinnlangen, dunklen Haare. Schon ihr Stiefvater hatte ihr ständig vorgeworfen, daß sie eine viel zu große Nase hatte und zu dick war. »Gebe ich mir nicht Mühe abzunehmen?«
»Davon habe ich noch nichts gemerkt«, meinte Herbert Freytag brutal. »Also, denk in Zukunft darüber nach, was du sagst. Es wäre für mich ein Einfaches, dich auf die Straße zu setzen und mir eine Frau zu suchen, die in jeder Beziehung mehr zu bieten hat.« Er griff in seine Hosentasche und zog eine abgenutzte Geldbörse