Hexenhammer 2 - Alles Leid währt Ewigkeit. Uwe Voehl
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Ich fuhr herum, erwartete seinen Angriff von hinten, doch nichts geschah. Der Schein meiner Fackel erhellte allein Coctorius’ verblüfftes Gesicht. Er hatte mitbekommen, was geschehen war, und seine Lesung unterbrochen.
»Weiter! Lest weiter!«, herrschte ich ihn an, denn ich spürte, dass der Dämon noch in der Nähe war. Ich fühlte seine drückende Präsenz. Er belauerte uns.
Statt meiner Aufforderung Folge zu leisten, ließ Coctorius die Bibel fallen. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer grässlichen Grimasse, die Augen glitzerten im selben glühenden Rot wie die des Dämons. Mit einem tiefen, tierischen Knurren sprang er mich an, die Hände zu Klauen geformt. Nicht nur die Überraschung hielt mich gefangen, vor allem war es der Gedanke, dass es nach wie vor Coctorius war, den ich vor mir sah – und der sich in ein Monstrum verwandelt hatte! Er prallte gegen mich, sodass ich zu Boden ging. Und schon war er über mir. Seine Klauen umfassten meine Kehle, die Krallen, die ihm urplötzlich gewachsen waren, bohrten sich in mein Fleisch. Die Fackel war meiner Hand entfallen, ebenso das Kreuz.
Schon wurde mir schwarz vor Augen, während ätzender Geifer aus dem Maul des Pfarrers auf mein Gesicht tropfte. Meine einzig verbliebene Waffe war der Silberdolch. Mit letzter Kraft hob ich den Arm und stieß die Klinge dem Dämon tief in die Brust.
Die Kreatur, in die Coctorius sich verwandelt hatte, heulte auf. Die Klauen erschlafften, sodass ich sie mühelos beiseite schlagen konnte. Ich stieß seinen Körper von mir und rollte mich zur Seite. Er blieb auf dem Bauch liegen. Rasch ergriff ich die Fackel. Im Schein der Flamme erkannte ich, dass eine grauenvolle Veränderung mit Coctorius vor sich ging: Die Haare ergrauten innerhalb von Sekunden und fielen aus. Die Klauen wurden wieder zu Händen, deren Fleisch Blasen warf, als hätte Coctorius die Pest. Er wimmerte und schrie in höchster Pein.
»Coctorius!« Ich beugte mich zu ihm hinab und drehte ihn auf den Rücken. Auch sein Gesicht veränderte sich, wurde faltig und runzlig wie das eines uralten Mannes.
Er starb vor meinen Augen!
Aber noch hatte er es nicht überstanden. Er öffnete den Mund, nein, vielmehr war es, als öffnete jemand anderes seinen Mund von innen. Er wurde ihm so unnatürlich weit aufgerissen, dass er an den Mundwinkeln einriss und Blut herausspritzte. Coctorius würgte und rang verzweifelt nach Luft. Mit den Händen fasste er sich an die Kehle. Sein Gesicht lief blau an, während die weit aufgerissenen Augen zu platzen drohten.
Dann quoll es aus ihm heraus. Ein schwarzer Schleim, die Essenz des Dämons. Träge wälzte sich die Lache über den Boden und versuchte, in die Dunkelheit zu entfliehen.
Doch diesmal handelte ich schneller und stieß die Fackel in die schleimige Schwärze. Zischend und brodelnd ging sie in Flammen auf.
Der Dämon starb – doch um welchen Preis!
Schwer atmend wartete ich ab, bis ich sicher sein konnte, dass die schleimige Kreatur tatsächlich vollständig vom Feuer verzehrt worden war.
Der klagende Chor der Kinder war verstummt.
Ich widmete mich wieder dem Pfarrer. Den Dämon hatte ich aus seinem Körper vertreiben können, doch das Gift, das dieser darin hinterlassen hatte, tat seine schreckliche Wirkung. Die welke Haut hing nur noch in Fetzen vom Fleisch. Schwärende Wunden bedeckten Coctorius’ Gesicht. Es ging zu Ende mit ihm, und ich konnte nicht mehr tun, als hilflos die Fäuste zu ballen. Ich kniete neben ihm nieder, hob seinen Kopf und beschwor ihn, gegen das Gift des Dämons anzukämpfen.
Er bäumte sich auf, spuckte Blut und presste seine Lippen gegen mein Ohr.
»Nammöd!«, keucht er. »Nammöd!«
»Was wollt Ihr mir damit sagen?«
»Nammöd! Der Ort, an dem …«
Mit einem Aufstöhnen verschied er mitten im Satz.
Behutsam ließ ich seinen Kopf zu Boden gleiten.
Nammöd! Der Ort, an dem …
Der Ort, an den man die Bramsche verschleppt hatte, um das Kind auszutragen? Ich wusste es nicht, hatte nie von einem solchen Ort gehört. Doch ich schwor mir, es herauszufinden.
Ich erhob mich und sah mich in dem Zimmer um. Nun, da der Dämon vernichtet war, war es nicht mehr ganz so finster, die Schwärze verschluckte nicht länger das Flammenlicht.
Der Raum war karg eingerichtet. Eine Bettstatt, eine Kommode, mehr war es nicht, was ich vorfand. Vielleicht hatten Diebe auch schon das meiste geraubt.
Als ich jedoch die angrenzende winzige Kammer betrat, stockte mir der Atem. Dort stand eine hölzerne Kinderwiege.
Sie begann in dem Moment zu schaukeln, als ich ihrer ansichtig wurde.
Mit zwei Schritten hatte ich sie erreicht und sah hinein.
Sie war leer.
Ich habe die Gabe.
Doch was nützt sie mir, wo ich versage, wenn ich doch helfen will.
Wo ich versage, wenn ich erlösen will.
Wo ich versage, wenn ich Leben retten will.
Mein Kampf gegen das Böse hatte mir bisher nur vor Augen geführt, wie viel ich noch lernen musste, um mich als würdig zu erweisen, Gott zu dienen.
Die Verluste, die meinen Weg säumten, waren zu zahlreich, als dass ich mich wirklich freuen konnte.
Zuletzt also hatte es den armen Pfarrer getroffen. Stunde um Stunde hatte ich gegrübelt, was es mit diesem Ort namens Nammöd auf sich hatte und wo er wohl liegen mochte.
Der Zufall wollte es, dass sich in eine meiner Audienzen im Rathaus ein Stadtbüttel verirrte. Obwohl er das Gesicht tief im Schatten der Kapuze verborgen hielt, erkannte ich sogleich, dass ihn eine bösartige Hautkrankheit befallen hatte.
Ich hieß ihn Platz nehmen, er aber bat darum, stehenbleiben zu dürfen, um mir nicht zu nahe zu kommen, denn er wisse nicht, ob seine Krankheit ansteckend sei.
Anselm Lewenstein, so stellte er sich vor, kam aus gutem Hause. Auch war er kein einfacher Büttel, sondern hatte der Garde vorgestanden. Doch dann …
»… wurde mir der Auftrag erteilt, die verhexten Weiber hinwegzuführen, auf dass sie keinen Schaden mehr über die Obrigen in Lemgo bringen können.«
»Hat man denn die Weiber der Hexerei überführen können?«, fragte ich nach.
»Oh gewiss, haben sie doch alle beide unter der Folter gestanden, die hohen Herren mit Zauberei verführt zu haben.«
Ich seufzte, denn im Gegensatz zu dem, was dem armen Pfarrer widerfahren war, schien mir dies eher ein Fall falscher Anklage zu sein, wie er mir oft zu Ohren kam. So sagte ich streng: »Über die, welche der Lust ergeben sind, gewinnt der Dämon am ehesten Gewalt.«
Wie ich weiter erfuhr, hatte sich das alles schon Jahre vor meiner Zeit in Lemgo ereignet. Die angeblich so hohen Herren hatten die Frauen geschwängert und das Übel auf ihre Weise beseitigen wollen.
»Wohin