Der böse Trieb. Alfred Bodenheimer

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Der böse Trieb - Alfred Bodenheimer Red Eye

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jeden Preis seine geliebte Sonja heiraten und mit ihr leben, und er hat, von der geografischen Verschiebung von Berlin in ihre Heimatregion Süddeutschland bis hin zum gemeinsam gegangenen Weg zum Glauben alles getan, damit diese Liebe sich erfüllen konnte. Er wollte aber auch mehr tun, als nur dieses doch sehr behagliche Leben zu genießen, und so fuhr er seit einigen Jahren, durch Vermittlung seines Freundes Anschel Fink, jährlich für einige Wochen in den Kongo, um dort Menschen zahnärztlich zu behandeln, die sonst nie in den Genuss einer so teuren fachmännischen Pflege gekommen wären.

      Viktor hatte sich schon vor einiger Zeit für die Mussar-Bewegung zu interessieren begonnen, die sich der ethischen inneren Aufrichtung der Menschen widmet. Alles Oberflächliche war ihm zuwider, und der Kampf um das Beste in ihm selbst entsprach ganz und gar seinem Wesen. Jedes Jahr um diese Jahreszeit, zu Beginn des Monats Elul, suchte er mich in Zürich auf, und wir führten ein sogenanntes Seelengespräch, in dem er sich mir öffnete und Einblick in seine vielseitige, sensible Seele gewährte. Das diesjährige Gespräch fand nicht mehr statt. Umsonst wartete ich heute vor einer Woche auf ihn, er antwortete nicht auf meine Anrufe – sie kamen zu spät.«

      Unvermittelt stiegen Klein Tränen in die Augen. Er stammelte noch ein paar Sätze darüber, woran sich die trauernde Gattin aufrichten sollte, dass das jüdische Volk einen großartigen Fürsprecher in der jenseitigen Welt gefunden habe, und beendete die Rede ziemlich abrupt.

      Er blickte in die Runde der Anwesenden. Kletzki konnte sich einer verächtlichen Grimasse nicht enthalten, während Sonja, die eine Sonnenbrille trug, ihn kurz anlächelte und dann das Gesicht senkte. Anschel Fink saß mit der Hand am Kinn versonnen nickend da. Klein sprach die Totengebete, danach folgte die Gruppe dem Sarg zum ausgehobenen Grab. Wie fast jedes Mal verursachte das Rumpeln des Sargs, der ins Grab gelassen wurde, bei Klein einen kurzen Schauer. Er half das Grab zuzuschaufeln, geradezu hektisch stieß er die Schaufel Mal für Mal in den aufgeschütteten Erdhügel und kippte sie über dem ausgehobenen Rechteck aus. Als die locker aufgeschüttete Erde bis zur Ebene des Bodens reichte, legte er das Werkzeug keuchend weg, wischte sich die Stirn ab und begann den Kaddisch zu rezitieren, den sonst für Viktor keiner gesagt hätte. Er hatte mitbekommen, dass Kletzki taktlos genug war, Sonja vor dem Herunterlassen des Sargs noch zuzuraunen, dass auf diesem Friedhof Frauen das Kaddischsagen verboten sei. Als hätte Sonja überhaupt solche Aspirationen gehabt.

      Als Klein sich umdrehte, sah er, dass von Sonja jede Ruhe abgefallen war. Eine Frau stand nun bei ihr, etwa in ihrem Alter, ebenfalls mit dunkler Brille, die sie stützte und ihr mit der Hand sanft über das künstliche Haar fuhr. Die Trauergäste standen unentschlossen herum, die meisten schienen kondolieren zu wollen, obwohl das nach jüdischem Brauch nicht vorgesehen war, aber sie trauten sich nicht an die geradezu krampfhaft geschüttelte Sonja heran, die immer tiefer in den Armen der anderen Frau versank. Ein Mann, offenbar der Partner dieser Frau, stand in geringer Entfernung der beiden und blickte um sich.

      Anschel Fink trat zu Klein.

      »Ein schöner Hesped, wenn man das sagen darf. Ich fühle mich sehr geehrt, dass Sie mich erwähnt haben.«

      »Sie haben Viktor geholfen, in seinem Judentum Sinn zu finden.«

      »Die Leute im Gesundheitszentrum von Lubumbashi werden ihn vermissen. Die haben ihn geliebt.«

      Er machte eine kurze, pietätvolle Pause.

      »Übrigens: Wenn ich Sie schon nicht herfahren durfte, kann ich Sie wenigstens nach Zürich mit zurücknehmen?«

      Klein zögerte einen Augenblick. Eigentlich war er gerne alleine unterwegs, er hatte interessante Lektüre dabei, der er sich nun, da der Druck der bevorstehenden Beerdigung nicht mehr auf ihm lastete, gerne gewidmet hätte. Aber er wollte nicht unfreundlich sein, und davon abgesehen war die Zeitersparnis tatsächlich beträchtlich. Also willigte er ein.

      Hinter Fink hatte sich diskret ein korpulenter Herr in kariertem Hemd und olivgrüner Sommerwindjacke aufgestellt, offensichtlich mit dem Wunsch, Klein anzusprechen. Fink bemerkte es und trat mit einem Lächeln zur Seite.

      »Ich warte beim Ausgang«, sagte er.

      »Ja, dann komme ich wohl ungelegen, Herr Rabbiner«, sagte der Herr. »Wenn ich mich vorstellen darf: Kommissar Dietmar Unmüßig, Polizeidienstleiter in Lörrach. Ich ermittle in diesem traurigen Fall. Vielen Dank für Ihre gefühlvolle Rede. Sie haben Herrn Ehrenreich wohl ganz gut gekannt.«

      »Wir haben uns eigentlich nur dieses eine Mal im Jahr getroffen. Aber dann zu sehr offenen und persönlichen Gesprächen.«

      »Eben. Sie wussten vielleicht Dinge, die andere nicht wussten.«

      »Das kann ich nicht beurteilen«, wich Klein aus.

      »Es ist einfach so: Ich würde Ihnen gerne ein paar Fragen stellen. Aber natürlich nicht hier, sondern bei uns auf der Dienststelle. Am besten wäre es natürlich gewesen, wenn Sie jetzt gerade noch ein Stündchen Zeit gehabt hätten. Aber wie ich verstanden habe, werden Sie erwartet.«

      Klein schaute auf die Uhr, aber es spielte eigentlich keine Rolle. Wie immer hatte er darauf geachtet, nach der Beerdigung keine Termine mehr zu haben.

      »Ich habe schon noch etwas Zeit. Ich muss nur dem anderen Herrn sagen, dass ich nicht mit ihm fahre.«

      »Wenn das möglich wäre …«, meinte Unmüßig.

      Klein trat noch rasch zu Sonja hin, die sich wieder etwas beruhigt und nun die Sonnenbrille abgenommen hatte.

      »Danke, Herr Rabbiner, tausend Dank für Ihre Worte!«

      Sie wies auf die Frau neben sich.

      »Meine Freundin Anouk«, sagte sie. »Sie ist der beste Mensch der Welt. Und ihr lieber Mann, Werner. Sicher hat Ihnen Viktor auch von ihnen erzählt.«

      Klein lächelte kurz zu Sonjas Freundin hinüber, nickte schwach. Die Namen Anouk und Werner sagten ihm nichts.

      Anschel Fink erwartete ihn bereits in seinem Jaguar vor dem Friedhofstor.

      »Schade, hätte mich gefreut, Sie mitzunehmen. Hoffentlich bald bei einer erfreulicheren Gelegenheit.«

      In dem eleganten Auto, das da wegglitt, hätte Klein nicht ungern gesessen. Aber die Vorstellung, in den nächsten Tagen für eine Befragung extra noch einmal herzufahren, war auch nicht reizvoll.

      Das Polizeigebäude von Lörrach war ein alter, düsterer Bau an der Hauptachse der Stadt, gleich neben dem Bahnhof. In einem geräumigen, aber ziemlich muffigen Büro im zweiten Stock erwartete sie, fast verschwindend in einem riesenhaften elektrischen Rollstuhl, Unmüßigs Assistentin.

      »Anke Frowein«, empfing sie Klein. »Verstehen Sie meine Worte als Händedruck. Den krieg ich nämlich grad nicht hin.«

      »Alles klar«, sagte Klein etwas verkrampft und stellte sich ebenfalls vor.

      »Wir machen gleich noch die Vernehmung von Herrn Klein«, sagte Unmüßig in Richtung seiner Assistentin. »Rabbiner Klein hat die Totenrede auf Herrn Ehrenreich gehalten. Ich denke, er kannte ihn ganz gut.«

      »Schön«, sagte Frau Frowein. Auf der einen Armlehne hatte sie ein Tablet liegen, auf dem ihr Zeigefinger behände hin und her strich. »Ich mache alles für das Interview bereit.«

      »Was zu trinken?«, fragte Unmüßig leutselig.

      »Gern ein Glas Wasser.«

      Der

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