Von Flusshexen und Meerjungfrauen. Jennifer Estep
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Читать онлайн книгу Von Flusshexen und Meerjungfrauen - Jennifer Estep страница 3
Blitzschnell schnappe ich die Hand meiner Schwester und wir schwimmen aus der riesigen Meereshöhle hinaus, die mein Vater fast nie verlässt.
»Hast du die Abdrücke der Saugnäpfe auf Tirlaras eingebildetem Gesicht gesehen, als sie den Kraken endlich losgeworden ist?«
Es ist so eine Wonne, das Kichern meine Schwester zu hören, das in unzähligen kleinen Luftblasen aufsteigt und uns umtanzt. Ich wusste, dass ihr der Streich gefallen würde. Es macht nichts, wenn wir Besuch vergraulen, denn es hat sich schon längst der nächste angekündigt. Mein Vater hat es sich zur Aufgabe gemacht, seine traumverliebten Töchter schnellstmöglich und politisch geschickt zu verbinden. Doch wir wissen es nicht zu schätzen, dass uns die hoffnungsvollen Söhne der benachbarten Meeresdynastien ihre Aufwartung machen. »Spürst du was?«, frage ich meine Schwester jedes Mal neugierig, wenn ihr wieder ein Prinz hoffnungsvoll tief in die Augen geblickt hat.
»Den dringenden Wunsch davonzuschwimmen!«, lautet stets die Antwort in diesem Ritual, das wir uns in den durchbangten Nächten ausgedacht haben. Und dann entfernen wir uns so schnell es die Etikette erlaubt, überlassen es den älteren Schwestern, neue Allianzen zu sichern und Verantwortung für unser Reich auf sich zu nehmen.
Meine Verantwortung ist meine kleine Schwester. Niemand hatte mich darum gebeten, aber ich spüre in meinem Herzen, seit meine Mutter sie mir in die Arme gelegt hatte, dass nur ich sie verstehe und nur ich sie würde beschützen können. »Pass gut auf sie auf«, hatte meine Mutter gesagt, mir die Stirn geküsst und war, ohne sich umzusehen, aus unserem Leben geschwommen. Ich wusste, dass sie dabei weinte, denn ihre Tränen vermischten sich mit den meinen im Ozean, der uns alle in sich trug, aber nicht vor dem bewahren konnte, was unser Schicksal für uns vorgesehen hatte.
Nichts geht verloren, was einmal vom Wasser des Meeres umspült wurde. Gefühle, Erinnerungen, Leben. Das Meer nimmt uns in sich auf und erinnert jede einzelne Geschichte. Ich sehe das Gesicht meines Vaters vor mir, der sich bekümmert abwendet, wenn sein Blick auf mich fällt. Er liebt mich, verzeiht mir viel von meinem Ungehorsam, weil ich mich um seine jüngste Tochter kümmere, die ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten scheint. Und ihn jeden Tag daran erinnert, dass er das Wichtigste in seinem Leben verlor.
Bleibt auf dem Meeresgrund. Eine so einfache und doch so unerfüllbare Forderung. Wie kann man sich einer ganzen Welt verschließen, die man einmal gesehen hat? Die Welt der Menschen ist fremd und seltsam. Und gefährlich. Sie haben keine Flossen und ihre Herzen sind wankelmütig. Wenn sie sagen »Ich liebe dich«, können sie sich einen Wimpernschlag später schon wieder umentschieden haben.
Als gäbe es eine Wahl.
»Das wird mir nie passieren«, flüstere ich jede Nacht, bevor die Wellen mich in den Schlaf wiegen. Versprechen und Drohung zugleich. Mein Platz ist hier bei meiner Schwester, deren Augen hell wie der Mond strahlen und in denen alle Sehnsüchte der Welt liegen. Eingeschlossen in einen schwachen Körper, der nur durch trotzige Träume weiterlebt.
»Wie werde ich meinen Prinzen erkennen?«, flüsterst du leise, bevor der Schlaf uns entführt.
»Du weißt, dass es gefährlich ist, an die Oberfläche zu schwimmen«, höre ich im Geist jedes Mal die mahnenden Worte, wenn wir es dennoch tun. Unwiderstehlich angelockt vom leuchtenden Schein des Mondes, der mit den Gezeiten ebenso spielt wie mit unseren Herzen. Der das Blut in unseren Körpern so hin- und herspült, wie Ebbe und Flut über die Strände fließen.
»Heute wird der richtige Prinz für dich dabei sein, Isidira, ich spüre es!«
Die Worte meines Vaters murmeln durch die Wogen, die uns an die Oberfläche tragen. Vielleicht hat er recht. Aber auch er ist nur ein Spielball des Schicksals.
»Heute treffen die Söhne des Abendreiches ein«, erinnere ich dich, während wir Seite an Seite dem Licht entgegenschwimmen. Du hast keinen Blick für mich, keinen Gedanken an die Prinzen auf dem Meeresgrund. Du bist gefangen in deinem Wunsch, endlich ihn zu finden. Dann brechen unsere Köpfe durch die Wellen und wir sehen das Schiff, das sich im Sturm wiegt und ächzt. Du liebst den Sturm, der so toben und wüten kann wie dein eigenes wildes Herz.
Wir hören die panischen Schreie der Matrosen, als der Mast splitternd zerbricht. Sehen zu, wie das hölzerne Ungetüm in den Fluten versinkt und die Menschen mit sich reißt, nur weil sie unnütze Beine statt Flossen haben. Schwächliche Gliedmaßen, die sie nicht im Wasser tragen.
Ihre Schreie tränken das Meer und ich halte mir die Ohren zu, um das Leid auszublenden. Irgendwann verstummen sie und verabschieden ihre Seelen in die Unendlichkeit.
»Lass uns näher schwimmen«, verlangst du und ziehst an meiner Hand. Und auch wenn ich weiß, dass es das Letzte ist, was wir tun sollten, folge ich dir.
Zerborstene Schiffsplanken haben sich in dem tückischen Riff verkeilt, als würden sie die Korallen in einem hilflosen Anflug von Rachsucht bestrafen wollen. Manchmal finden wir Kisten voller Geschmeide und funkelnden Tand. Bestaunen die seltsamen Dinge, deren Sinn sich uns nicht erschließt. Ich bemühe mich, stets Abstand zu halten zu den verlorenen Seelen, und meist gelingt es mir. Doch in dieser Nacht …
Sein Haar ist dunkel und bedeckt sein Gesicht, das die typische sonnengeküsste Farbe der Menschen hat. Ich streiche es beiseite und es fühlt sich rau und dennoch fein unter meinen Fingern an, als ich es berühre. Welche Farbe wohl seine Augen haben? Sein Kinn deutet Entschlossenheit an. Seine Wange zeigt einen frischen Schnitt, die Haut feine Linien, die sicher tanzten, wenn er lachte. Bedauern erfüllt mich.
Da höre ich Isidiras Stimme, die mich zu sich ruft. Doch als ich mich gerade lösen will, spüre ich eine Berührung, einen Griff um mein Handgelenk. Erschrocken keuche ich auf und unsere Blicke verfangen sich.
Es wird sein, als würden alle Sterne der Nacht auf einmal aufleuchten.
»Lass mich los«, flüstere ich lautlos und versuche, meine Hand aus der seinen zu lösen.
Seine Augen werden heller strahlen als die Sonne.
Doch der Griff ist zu stark. Als würde er sich mit aller noch verbliebenen Kraft an das Leben klammern. Hoffen, dass ich ihn retten kann. Wie falsch er doch liegt.
Das Meer verstummt, die Zeit bleibt stehen.
Sein Mund sagt kein Wort und doch prasseln die Fragen auf mich ein.
Und dein Herz wird wissen: Er ist es!
Mit einem Flossenschlag löse ich den Bann und tauche ab. Die kalten Wogen löschen die Hitze, die mein Herz in Brand gesetzt hat, und ich flüchte vor dem Gefühl, in mir selbst zu ertrinken.
Immer weiter schwimme ich, nur weg von diesen Augen, die bis auf den Grund meiner Seele geblickt haben. Fort, nur fort.
Doch dann trifft mich der Gedanke wie ein Schlag: Isidira!
Ich halte inne und blicke umher, doch sie ist nirgends zu sehen. Schnell drehe ich um und schwimme erneut nach oben. Als ich durch die Wasseroberfläche stoße, sehe ich, wie meine Schwester den Fremden in ihren Schoß gezogen hat. Wie sie mit ihrer Hand seine Stirn streichelt.
Doch sein Blick ist abgewandt, suchend – bis er