Der versäumte Frühling. Hans Scherfig

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Der versäumte Frühling - Hans Scherfig

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      Fast alle anwesenden Herren haben gelegentlich Berührung mit der großen Masse seltsamer und niederer Individuen gehabt. Mit der Unterklasse. Dem unverständigen Mob. Menschen, die es nun einmal nicht anders haben wollen. Und über diese Menschen lassen sich viele kuriose Anekdoten erzählen.

      Pfarrer Nørregaard-Olsen hat es zu Harald Horn gezogen.

      „Du glaubst ja gar nicht, mit welchem Vergnügen ich deine Buchbesprechungen im ,Morgenbladet‘ lese. Sie sind so positiv, so fruchtbar, so kernig dänisch!“

      „Das zu hören freut mich wirklich sehr. Ja, ich habe mich stets bemüht, der dänischen Eigenart eine Gasse zu bahnen. Dem typisch Dänischen. All dem, was in der Geschichte, in den Erinnerungen und Traditionen unseres Volkes tief verwurzelt ist. Es gibt ja so viele, die unsere Literatur flach und international machen wollen. Ich dagegen habe mir das Ziel gesetzt, für das Nationale einzutreten, für das Aufbauende, das Bekräftigende. Das echt Dänische. Das – wie du sagst – kernig Dänische.“

      „Ich bin davon überzeugt, daß du damit ein bedeutungsvolles Werk vollbringst. In meiner Gemeinde lesen auch noch andere deine Feuilletons und Buchbesprechungen. Übrigens schreibe ich auch selbst ein wenig. In aller Bescheidenheit. Im Kirchenblättchen unserer Gemeinde. Und meine Frau ebenfalls. Kleine Gedichte, nette, anspruchslose Sachen. Innig und tief empfunden. Sie würde sich sehr freuen, wenn du ihre Sachen einmal lesen und deine Meinung dazu sagen würdest.“

      Auch Oberlehrer Nielsen ist eifrig bemüht, mit Horn ins Gespräch zu kommen, um sich mit ihm über Literatur und über die Aufsätze seiner Schüler zu unterhalten und ihm von dem Artikel über den Dänischunterricht zu erzählen, den er einmal für die „Lateinschule“ geschrieben hat. „Vielleicht hast du ihn zufällig gelesen?“

      Nein, das habe er leider nicht. Doch wenn Axel ihn noch haben sollte, würde er bei Gelegenheit gern einmal hineinsehen. Und sich dann entsprechend darüber äußern. Harald Horn weiß, daß der Oberlehrer gern Dichter geworden wäre. Genau wie er. Aber er für sein Teil ist zumindest etwas geworden, was davon nicht allzu weit entfernt ist. Schließlich ist es auch besser, über das zu schreiben, was andere geschrieben haben. Er liest alle literarischen Neuerscheinungen und weiß alles, was die Dichter gedacht und erlebt haben. Das ist fast ebensogut, wie es selbst gedacht und erlebt zu haben.

      Polizeidirektor Rold ist in ein vertrauliches Gespräch mit Robert Riege vertieft. Und der sonst so aufbrausende Mann ist nun sanft und lammfromm.

      Hernild betrachtet die beiden voller Verwunderung. Da hat der hitzige Polizeichef doch tatsächlich seinen Meister gefunden! Welch ein Respekt! Ob Riege hypnotisieren kann?

      Hernild erörtert mit Amsted familiäre Angelegenheiten. Und man wundert sich wieder einmal darüber, daß man dadurch miteinander verwandt ist, daß Frau Amsteds Onkel, General Masen, ein Halbvetter von Hernilds Onkel von Brackberg ist. Und von Brackbergs Vater war Amtmann und Gutsbesitzer, und dessen Vater war Chef der holsteinischen Kürassiere, und dessen Vater wiederum wurde vom König geadelt.

      „Ich bin ja gewissermaßen selbst ein bißchen adlig“, erklärt Hernild. „Also nicht nur durch die von Brackberg, nein, der Name Hernild soll ursprünglich Herr Nil oder Herr Niels – also Edelmann Niels – bedeutet haben.“ „Man weiß nicht, was es zu essen geben wird“, läßt sich Mogensen vernehmen. „Man macht darauf aufmerksam, daß man Vegetarier ist und keine Leichen verzehrt.“

      Ministerialrat Jørgensen, der Mitglied des Festkomitees ist, beruhigt ihn.

      „Es gibt eine Menge verschiedener Gemüsesorten. Spargel, grüne Erbsen, Champignons und so etwas. Und natürlich Kartoffeln. Du wirst schon vom Gemüse allein satt.“

      „Danke“, sagt Mogensen.

      „Prachtvoll, prachtvoll!“ lobt Pfarrer Nørregaard-Olsen und läßt die Asche seiner Zigarre in einen der mit biblischen Szenen bemalten Keramikaschenbecher fallen. „Das ist Kunst! Gediegene dänische Kunst. Sie hat in der Welt Berühmtheit erlangt.“

      „Ja, wenn wir nur unserer Eigenart treu bleiben, können wir hierzulande schon etwas zustande bringen“, fügt Harald Horn hinzu.

      Endlich kann das Festessen beginnen. Der Ministerialrat klatscht in die Hände. „Freunde! Wir gehen nun zu Tisch! Jeder kann sich setzen, wie er möchte.“

      Hernild kommt das ein bißchen seltsam vor. In Holstebro richtet sich die Sitzordnung nach der Rangklasse. Wenn ein Amtsrichter zur neunten Rangklasse gehört, dann macht es keinen guten Eindruck, wenn er weiter oben sitzt als ein Polizeidirektor, der zur achten Rangklasse zählt. Aber hier in der Hauptstadt legt man darauf wohl nicht allzuviel Wert. Und im Grunde genommen spielt es ja auch keine Rolle. Doch wenn man schon einmal Rangklassen hat, dann kann man sich schließlich auch danach richten.

      Man wendet sich dem angrenzenden Raum zu, wo die Tafel gedeckt ist und die Kellner schon mit den Platten bereitstehen. Pfarrer Nørregaard-Olsen setzt sich, nachdem er seine Zigarre in einem der biblischen Aschenbecher ausgedrückt hat, an die Spitze des Zuges. Und Mogensen bemerkt, daß der Geistliche seinen Zigarrenstummel Christus genau ins Auge gedrückt hat.

      12. Kapitel

      „Herzlich willkommen, alle miteinander!“ Harald Horn verschafft sich mit hoher und klarer Stimme Gehör. „Willkommen und vielen Dank für euer Erscheinen, liebe alte Freunde! Seit wir auseinandergegangen sind, ist ein Vierteljahrhundert verflossen. Ein wesentlicher Abschnitt unseres Lebens. Damals waren wir junge unbeschriebene Blätter, nun sind wir Männer, im arbeitsreichen Alltag des Lebens gereift.

      Doch unsere Jugend haben wir nicht vergessen. Unsere frohe, unbeschwerte Jugendzeit, als das Leben noch vor uns lag. Erinnert ihr euch noch an das alte Lied, das wir immer bei den Schuljahresabschlußfeiern gesungen haben? An Carl Plougs schönes Lied: ,Die Jugendzeit ist Lenzenszeit, da Kelch um Kelch erschließt sich weit im lauen Frühlingswinde.’

      So haben wir uns auch erschlossen und entfaltet. Nun füllen wir unseren Platz in der dänischen Gesellschaft aus. Der Wunsch des alten Liedes ist in Erfüllung gegangen, in dem es heißt: ,Ja, mögen wir einst Männer sein, die widerstehn dem falschen Schein und sind dem Land zum Segen, die Recht und Wahrheit, Mannesmut betrachten stets als höchstes Gut, der Ehr und Pflicht nur leben!‘

      ,Der Ehr und Pflicht nur leben‘ – das hat uns unsere Schule gelehrt, und wir können heute sagen, daß wir diese Lehre beherzigt haben. In einer Stunde wie dieser sei es uns jedoch gestattet, einen Augenblick innezuhalten und zurückzublicken. Es sei uns gestattet, die Zeit unserer Jugend wiederaufleben zu lassen – und bei all den guten und heiteren Erinnerungen von damals zu verweilen und in froher Runde diesen Tag festlich zu begehen!

      Zum Wohl, Freunde, und noch einmal herzlich willkommen!“

      Dann kamen die Kellner mit den Platten, und man machte sich an die Blätterteigpasteten.

      Mogensen blickte kurzsichtig auf seinen Teller und stocherte mit der Gabel in der mit einer gelblichen Masse gefüllten Blätterteigpastete.

      „Sind dadrin Leichen?“ fragte er den Kellner.

      „Das kann ich mir nicht vorstellen, mein Herr.“

      „Nein, das ist bestimmt alles vegetarisch“, sagte Amsted. „Das kannst du getrost essen. Da sind höchstens ein paar Krabben drin.“

      Mogensen fischte die Krabbe heraus und legte sie auf den Tellerrand.

      „Bist

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