Der versäumte Frühling. Hans Scherfig

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Der versäumte Frühling - Hans Scherfig

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neue Jahrgänge erschienen und aßen Butterbrote und tranken Kaffee. Und keiner von ihnen konnte sich den Frühstücksraum ohne Mikael Mogensen vorstellen. The grand old man dieses Raumes. Vielleicht hatte er einmal irgend etwas studiert. Meistens lagen ein paar Bücher vor ihm. Doch in einer Vorlesung war er noch nie gesehen worden. Er hatte langes, ungepflegtes Haar, einen langen Vollbart und trug eine kleine altmodische Brille mit Metallgestell. Ruhe und Würde lagen über seiner Person.

      Jeden Herbst kamen neue Studenten, und alte verschwanden. Jahrgang folgte auf Jahrgang. Die Gäste des Frühstücksraums veränderten ihr Aussehen.

      Mikael Mogensen aber saß auf seinem anerkannten Platz in der Ecke beim Fenster. Unverändert und zeitlos. Und er trank Kaffee und verfolgte die Zeiger der Kirchturmuhr.

      Die Nacht verbrachte er sicherlich irgendwo anders, aber sein eigentliches Zuhause war der Frühstücksraum, und wollte ihn jemand sprechen, dann mußte er ihn hier aufsuchen.

      Und eben jetzt wollte man ihn sprechen. Zwei Herren mit Aktentasche, Mitglieder eines Komitees, erschienen eines Tages im Frühstücksraum und näherten sich Mikael Mogensens Ecke.

      „Dieser Tisch ist besetzt, meine Herren“, sagte Mogensen. „Man legt Wert darauf, seinen Kaffee ungestört zu trinken und von der Unterhaltung und dem eventuellen Schmatzen fremder Leute verschont zu bleiben.“

      „Aber wir sind keine Fremden. Erkennst du uns denn nicht, Mogensen?“

      Er betrachtete sie kurzsichtig durch seine kleinen, in Blech gefaßten Brillengläser.

      „Ich glaube nicht, das Vergnügen gehabt zu haben. Ich erinnere mich auch nicht, mit den Herren Brüderschaft getrunken zu haben, und würde es deshalb vorziehen, sofern diese Unterhaltung unbedingt weitergeführt werden muß, daß die unter gebildeten Menschen übliche Pluralisform der Anrede benutzt wird.“

      Die Herren lachten. „Du bist immer noch der alte. Ein richtiges Unikum. Erkennst du uns wirklich nicht? Das ist Horn – Harald Horn –, und ich bin Knud Jørgensen.“

      „Ach so. Dann muß man Sie wohl bitten, Platz zu nehmen“, erwiderte Mogensen. „Die Herren sind gar nicht so leicht wiederzuerkennen. Man hat sich einen Bauch zugelegt, Jørgensen. Und dem Literaten sind die Haare ausgefallen. Man liest mitunter im ,Morgenbladet‘ Ihre literarischen Absonderungen, Horn. Ziemlich mittelmäßig geschrieben. Aufsatzstil eines Musterschülers. Aber strebsam. Sehr strebsam.“

      Die Herren lachten. Harald Horn ein bißchen gezwungen und mit rotem Kopf.

      „Und womit beschäftigt sich Jørgensen? In Anbetracht der Entwicklung seines Bauches scheint es nichts Anstrengendes zu sein.“

      „Ich administriere den Staat“, antwortete Jørgensen. „Ich bin, in aller Bescheidenheit, Ministerialrat im Innenministerium.“

      „Das ist sicher eine Arbeit, für die deine Fähigkeiten ausreichen. Im Gegensatz zu Horns Gewerbe. Man las ein bißchen in seiner Doktorarbeit über die Adverbien in Holbergs Episteln. Ein interessantes Thema. Lebenswichtig und bedeutungsvoll.“

      „Es kann schon von einer gewissen Bedeutung sein, wenn man auf diesem Wege dazu beiträgt, Holbergs Dänentum zu beweisen“, rechtfertigte sich Horn.

      „Selbstverständlich. Laßt uns um Gottes willen Holbergs adverbiales Dänentum bis zum letzten Blutstropfen verteidigen! Literaturgeschichte ist sicherlich am besten, wenn sie national ist. Und ein nationaler Literat zu sein macht sich wohl auch besser bezahlt als Ministerialrat?“

      „Bestimmt“, pflichtete ihm Jørgensen bei.

      „Darf der Literat eine Tasse Kaffee oder ein Bier ausgeben?“ erkundigte sich Horn versöhnlich.

      „Für mich bitte Kaffee.“

      „Auch belegte Brote?“

      „Ich ziehe Gebäck vor. Am liebsten eine sogenannte Medaille. Das sind diese runden Törtchen mit Cremefüllung und einem viereckigen Stück Konfitüre obendrauf. Sie werden übrigens auch immer kleiner.“

      „Weißt du eigentlich, Mogensen, daß du nun schon seit fünfundzwanzig Jahren hier auf deinem Stuhl sitzt?“ fragte der Ministerialrat.

      „Gewiß, das weiß man sehr wohl“ – und Mogensen blickte zur Uhr der St.-Petri-Kirche hinauf, die für ihn in all den Jahren die Zeit gemessen hatte. Er rechnete damit, noch mindestens weitere fünfundzwanzig Jahre hier zu sitzen. Er konnte nicht wissen, daß er vier Jahre später auf merkwürdige und unheimliche Weise sterben sollte. Aber das ist eine andere Geschichte.

      „Du hast also in diesem Jahr Jubiläum“, fuhr Jørgensen fort. „Und insofern haben wir alle Jubiläum. Siehst du, und das ist auch der Grund, weshalb wir gekommen sind – um mit dir darüber zu reden. Wir möchten gern den fünfundzwanzigsten Jahrestag unseres Abiturs festlich begehen. Und wenn du nicht dabei wärst, würde es ja langweilig sein.“

      „Man hält sein Abitur nicht für so wertvoll, daß es Anlaß zu einer Jubelfeier wäre. Und die Erinnerungen an die Schulzeit sind alles andere als angenehm.“

      „Na, na, dieses Examen hat dir schließlich Zutritt zum Frühstücksraum verschafft. Außerdem könnte es doch auch ganz nett sein, die anderen aus der Klasse einmal wiederzusehen und zu erfahren, was aus ihnen geworden ist.“

      „Zu erfahren, was aus ihnen geworden ist, wird ganz gewiß außerordentlich betrüblich sein.“

      „Laß nun gut sein, Mogensen. Wir möchten gern, daß du dabei bist, wenn wir feiern. Und dann hast du auch eine ausgezeichnete Gelegenheit, deine giftigen Bemerkungen anzubringen.“

      Mogensen bohrte den Teelöffel in die Medaille und kostete nachdenklich von dem viereckigen Stück Konfitüre.

      „Man hat übrigens nicht das Geld, um es für einen solch törichten Zweck auszugeben, und man hat auch nicht die Absicht, sich wie ein Kellner auszustaffieren.“

      „Ja, weißt du“, sagte Jørgensen, „natürlich gibt es einige, die … die also nicht so bemittelt sind … und deshalb haben wir auch … es ist so eine Art Fonds gestiftet worden … verstehst du … du sollst dich also als unser Gast betrachten. Du darfst das nicht als Beleidigung auffassen. Wir waren nur der Meinung … nicht wahr? … Wir sind ja alte Schulkameraden, nicht?“

      „Das ist sehr nobel und mit einem Takt vorgebracht worden, der eines Ministerialbeamten würdig ist. Ihr wollt also für die Zeche der Armen aufkommen. Unglücklicherweise aber wirst du rot und windest dich förmlich vor Verlegenheit, wenn du dieses edelmütige Angebot unterbreitest.“

      „Ach, laß doch das! Wir können also damit rechnen, daß du an unserer Zusammenkunft teilnimmst?“

      „Man wird es sich überlegen.“

      „Nein, dafür ist keine Zeit mehr. Die Gedecke müssen noch heute bestellt werden. Zum Teufel, wir wollen dich dabei haben, Mogensen! Wir können dich einfach nicht entbehren.“

      „Man hat zumindest nicht die Absicht, sich Kellnergarderobe anzuziehen. Übrigens besitzt man auch gar nicht so eine Uniform. Aber vielleicht gibt es auch eine Stiftung, die für die Leihgebühren eines Fracks für die Unbemittelten aufkommt?“

      „Das ließe sich gut machen. Ich wollte gerade sagen, daß in der Gothersgade ein Geschäft ist, wo man

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