Der versäumte Frühling. Hans Scherfig

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Der versäumte Frühling - Hans Scherfig

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in Erfahrung bringen, wo Studienrat Blomme die verhängnisvollen Malzbonbons oder den Malzextrakt-Brustzucker, wie die offizielle Bezeichnung dafür lautete, gekauft hatte. Das ganze Geschäft wurde auf den Kopf gestellt und der Besitzer und die Verkäuferin beinahe chemisch untersucht. Es fand sich jedoch nicht einmal die Spur von Strychnin. Die Nachforschungen wurden sowohl in der Bonbonfabrik als auch in dem Betrieb, der die Blechschachteln herstellte, fortgesetzt und in den unwahrscheinlichsten Verästelungen weitergeführt. Nirgendwo entdeckte man Strychnin.

      In Studienrat Blommes Wohnung gab es ebenfalls kein Strychnin. Und er schien sich auch niemals für Gifte interessiert zu haben, wenn man von jenen absieht, von denen in der Geschichte der römischen Kaiser berichtet wird. Suetonius, Tacitus, juvenal und Petronius füllten seinen Bücherschrank, und der friedfertige Studienrat hatte an den grausigen Schilderungen, die in einer für seine Familie unverständlichen Sprache geschrieben waren, seine Freude.

      Ein kleiner, stiller Mann mit Goldrandbrille und Spitzbart. Ein Mann mit bescheidenen Gewohnheiten und einer maßvollen Lebensführung. Ein Mann mit klassischer Bildung, dessen Wohnung braune Reproduktionen antiker Statuen schmückten. Sonntags besuchte er oft die Abgußsammlungen des Kunstmuseums und erklärte seiner Familie die weißen Gipsfiguren. Abends ging er gern auf Langelinie spazieren. Seinen Schülern brachte er gewissenhaft die lateinische Grammatik bei. Mit ängstlicher Sorgfalt pflegte er seine schwächliche Gesundheit. Sein einziges Laster war die Schwäche für Malzextrakt-Brustzucker. Am Abend saß er in seiner kleinen Stube in der Classensgade und las die römischen Historiker im Original. Und die lateinische Sprache erschloß ihm eine andere Welt. Die Welt Tiberius‘, Caligulas, Neros und Messalinas. Mit ihren Intrigen und Giftmorden und absonderlichen Perversitäten.

      Doch Strychnin gab es in seiner Wohnung nicht. Niemand hatte Grund zu der Annahme, daß er einen seiner eigenen Malzbonbons vergiftet hatte oder auf andere Weise Selbstmord begehen wollte. Und niemand stand im Verdacht, ihm nach dem Leben getrachtet zu haben.

      Seine Frau betrauerte den Verlust ihres Mannes, und die drei erwachsenen Töchter trauerten ebenfalls. Seine Kollegen und Bekannten zeigten aufrichtige Teilnahme. Er hatte keine Schulden, keine heimlichen Geliebten, keine kostspieligen Laster. Er litt auch nicht unter enttäuschtem Ehrgeiz. Er war weder finanziell erpreßt noch bedroht worden, noch war er Wucherern in die Hände gefallen.

      Sein Tod auf der Uferpromenade war in mystisches Dunkel gehüllt und blieb rätselhaft. Keine noch so gründliche polizeiliche Untersuchung konnte irgendeine Erklärung erbringen. Und so wurde Studienrat C. Blomme begraben.

      3. Kapitel

      Viele Jahre nach Studienrat C. Blommes Tod auf der Uferpromenade trafen sich einige Herren in einem Restaurant. An einem schönen, warmen Juniabend, an dem genau wie damals Flieder und Goldregen blühten.

      Die Herren kamen die mit roten Läufern belegten Treppen herauf und gaben Mantel, Schal und Regenschirm an der Garderobe ab. Einige sogar Überschuhe – trotz des schönen Wetters. Es waren Menschen, die sehr auf ihre Gesundheit achteten.

      Die meisten fuhren mit dem Auto vor, einige kamen mit der Straßenbahn. Nur einer kam zu Fuß.

      Aus dem ganzen Land waren sie angereist, um sich an diesem Sommerabend zu treffen, auch wenn sie sich im Grunde genommen nicht mehr kannten. Sie hatten sich seit vielen Jahren nicht gesehen und sich inzwischen sehr verändert. Sie hatten Brillen, Bäuche und Bärte bekommen. Sie waren glatzköpfig geworden, und ihre Haarfarbe hatte gewechselt. Sie waren hager und runzlig oder dick und rund geworden. Sie hatten sich geradezu bis zur Unkenntlichkeit verändert.

      Sie schüttelten einander so herzlich die Hände, daß die Manschettenknöpfe rasselten. Und sie duzten sich leicht geniert, weil sie nicht immer wußten, mit wem sie eigentlich sprachen, und sich deshalb erst vorstellen und sich zu erkennen geben mußten.

      Alle waren dreiundvierzig Jahre alt. Männer im besten Alter. Reife, erfahrene Männer auf der Höhe ihrer Schaffenskraft. Und sie waren Männer, die ihren Mitmenschen gegenüber mit Verantwortung, Befugnissen und Macht ausgestattet waren. Vielbeschäftigte Männer, deren Zeit kostbar war. Sie hatten vieles zurückstellen müssen, um diesen Abend gemeinsam verleben zu können.

      Die Herren waren festlich gekleidet. Geschniegelt und gebügelt, mit Frack und weißer Hemdbrust. Einige trugen Miniaturorden im Knopfloch.

      Nur einer hatte einen gewöhnlichen Anzug an. Einen blankgewetzten Anzug, dessen Ärmel und Hosenbeine viel zu kurz waren. Er trug einen sonderbaren, dünnen, langgezogenen roten Binder und merkwürdige, ausgetretene, absatzlose Stiefel. Er hatte ungeschnittenes Haar und einen schwarzen Vollbart. Mürrisch begrüßte er die anderen und betrachtete sie kurzsichtig durch eine sehr kleine, altmodische Brille. Er glich keinem der anderen, und doch gehörte er zu ihnen. Man hatte auf sein Kommen Wert gelegt. Und man behandelte ihn freundlich und mit Herzlichkeit und schützte ihn fürsorglich vor eventuellen Beleidigungen von seiten des Bedienungspersonals.

      Das in Hellrot gehaltene Restaurant mit seiner Seidentapete, den vergoldeten Wandleuchten und der bronzefarbenen Beleuchtung war eine Stätte, die die häusliche Ungemütlichkeit mit der Eleganz des Gesellschaftslebens vereinte.

      In einem Nebenraum war die Tafel gedeckt, mit Kerzen, Blumen, dänischen Fähnchen und sinnreich aufgestellten Servietten. Der Oberkellner umkreiste den Tisch, um sich einen Überblick zu verschaffen und sich davon zu überzeugen, daß auch alles seine Richtigkeit hatte.

      Die Herren boten sich gegenseitig Zigarren an und streiften dann die Asche an künstlerisch geformten Porzellanaschenbechern und keramischen Gebilden mit biblischen Motiven ab. Sie lachten und redeten lautstark über vergangene Tage, frischten alte Erinnerungen auf. Und sie unterhielten sich in einer seltsamen Freimaurersprache, die für Uneingeweihte nicht zu verstehen gewesen wäre.

      Einige Herren bildeten ein Komitee, sie eilten geschäftig mit Listen hin und her und kreuzten jeden Ankommenden darauf ab.

      Endlich war man vollzählig. Neunzehn Herren. Anwälte, Ärzte, Wissenschaftler,Geschäftsleute, Lehrer, Richter sowie ein Geistlicher und ein Offizier.

      Unter ihnen war auch ein Mörder. Ein Mann, der viele Jahre zuvor Studienrat C. Blommes Malzbonbon vergiftet hatte.

      4. Kapitel

      Die Wachtparade zog durch das Krankenhaus. Ein Auftritt großen Stils, der Tag für Tag mit wunderbarer Präzision ablief.

      Der Chefarzt schritt zuerst mit seinem Stab die Front ab, dann setzte sich die Stubendurchgangsprozession in Bewegung.

      Von Station zu Station verkündete Glockengeläut die Ankunft der Parade, so daß alles für diesen feierlichen Augenblick bereit war.

      Die Stationsschwestern hatten mit glattgestrichenen Schürzen Aufstellung genommen. Die jungen Schwesternschülerinnen standen stramm. Die Patienten versuchten, so gut es ging, im Bett strammzuliegen. Die Laken waren glattgezogen, die Bettdecken in die vorgeschriebene Form gebracht. Nichts durfte verknautscht sein oder unvorschriftsmäßige Falten haben. Kein Patient durfte in dieser Zeit um das Becken bitten. Während der Parade hatte man sich alles zu verkneifen. Den Patienten war es auch verboten, in der feierlichen Stunde des Stubendurchgangs zu sterben.

      Der Chefarzt trug eine ruhige und würdige Miene zur Schau. Schon als junger Arzt hatte er sorgfältig den Gesichtsausdruck seines Vorgängers studiert, und er wußte, daß die jungen Ärzte des Gefolges nun auf seine Miene achtgaben. Eine Hand steckte in der Kitteltasche. Mit der anderen machte er kleine Gesten, die von den Pflegerinnen und den darauf trainierten Krankenschwestern verstanden und befolgt wurden.

      Kein

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