Seemanns-Legende und andere Erzählungen. Henryk Sienkiewicz

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Seemanns-Legende und andere Erzählungen - Henryk Sienkiewicz

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der Gedanke, daß er sein und seiner Tochter Seelenheil leichtsinnig in Gefahr gebracht hatte. War das nicht eine große Sünde für einen Katholiken aus Lipiniez? War das nicht Gott versucht? Seine Gewissensbisse sollten während der nächsten sieben Tage noch zunehmen, denn der Sturm hielt volle achtundvierzig Stunden an, dann erst fingen die Wolken an zu brechen, der Nebel schwand allmälich. Endlich wagte Lorenz mit seiner Tochter wieder auf das Verdeck zu gehen, als sie aber die noch sehr hoch gehenden schwarzen Wasserberge, mit ihren Schlünden und Abgründen erblickten, mußten beide wieder denken, daß nur Gottes Hand allein sie glücklich bewahren könne.

      Endlich wurde der Himmel wieder heiter. Aber ein Tag nach dem anderen verging, ohne daß etwas anderes als Wasser rings zu sehen gewesen wäre. Bald schillerte die Flut grün, bald wie der Himmel blau, mit dem sie in Eines zusammenzufließen schien. Am Firmament tauchten von Zeit zu Zeit kleine weiße Wölkchen auf, welche sich gegen Abend rosig färbten und dann im fernen Westen verschwanden. Das Schiff schwamm ihnen unablässig nach. Das wiederholte sich täglich und Lorenz fing thatsächlich an zu glauben, daß das Meer endlos sei. Zuletzt faßte er Mut und beschloß, noch einmal eine Frage zu wagen. Eines Tages nahm er seine viereckige Mütze vom Kopfe, verneigte sich ehrfurchtsvoll vor einem vorübergehenden Matrosen und sagte demütig:

      »Werden wir nicht bald an eine Landungsstelle kommen, gnädiger Herr?«

      Und o Wunder! Der Matrose brach nicht in schallendes Gelächter aus, wie die anderen, wenn er zu sprechen anfing, sondern blieb stehen und horchte auf. Auf dem wettergebräunten Gesicht entwickelte sich ein lebhaftes Mienenspiel, es sah aus, als versuche er, sich auf etwas zu besinnen. Nach einer Weile frug er:

      »Was?«

      »Ich frage, ob wir bald an das Land kommen?« antwortete Lorenz.

      »Zwei Tage! Zwei Tage!« brachte der Matrose mühsam in polnischer Sprache heraus, indem er gleichzeitig zwei Finger emporhob.

      »Ich danke ergebenst«, beeilte sich Lorenz zu sagen.

      »Woher seid ihr?« frug der Matrose polnisch.

      »Aus Lipiniez«.

      »Was ist das Lipiniez?« frug er nun deutsch.

      Maryscha, welche während der Unterhaltung herbeigekommen war, richtete mit schüchternem Erröten die Augen zu dem Matrosen empor und sagte mit sanfter Stimme:

      »Wir sind aus Posen, mein Herr!«

      Der Matrose sah unverwandt auf den Kopf eines großen kupfernen Nagels, welcher die Bordwände miteinander verband, endlich sah er das Mädchen an, betrachtete ihren Flachskopf wie etwas Wunderbares, dann zog es wie Rührung über die harten Züge, zuletzt brachte er ernst und langsam, halb polnisch, halb deutsch gesprochen, die Worte hervor:

      »Ich war in Danzig ... verstehe polnisch ... Ich bin ein Kassube ... Euer Bruder, aber das ist lange her! – Jetzt bin ich deutsch ...«

      Nach dieser Rede griff er nach dem Tauende, welches er bei der ersten Frage Toporeks hatte fallen lassen, drehte den beiden den Rücken und nach Matrosenart »ho! ho! o!« rufend, begann er daran zu ziehen ...

      Von da ab lachte er sie immer freundlich an, so bald er Lorenz und Maryscha auf Deck sah und in ihre Nähe kam. Auch sie freuten sich sehr über ihre Bekanntschaft, denn nun hatten sie auf dem Schiffe unter den vielen fremden Menschen doch eine wohlwollende Seele, welcher sie sich im Notfalle anvertrauen konnten. Die Reise sollte ja auch nicht mehr lange währen. Zwei Tage später, als sie am frühen Morgen auf Deck kamen, erblickten sie zu ihrer Verwunderung in der Ferne einen großen schwimmenden Gegenstand auf dem Wasser. Als sie sich mit dem Schiffe ihm näherten, sahen sie erstaunt, daß es eine große rote Tonne war, welche sanft von den Wellen hin und her geschaukelt wurde. In einiger Entfernung tauchte bald noch eine, eine dritte, vierte Tonne auf. Ueber der See lag es wie ein leichter, durchsichtiger Schleier, sie schimmerte silbergrau und nur sanft kräuselte sich ihre Oberfläche. Soweit das Auge reichen konnte lag sie still, nur eine immer sich vermehrende Zahl Tonnen kam allmählich in Sicht. Unzählige Scharen weißer Vögel mit schwarzen Flügeln sammelten sich um das Schiff und folgten ihm auf seiner Fahrt. Auf dem Verdeck wurde es lebendig. Die Matrosen scheuerten dasselbe, putzten die messingenen Beschläge und Bänder blank, welche die Bordwände zusammen hielten, wuschen die Fenster und zogen, als diese Arbeit beendet war, frische Jacken an. Eine Fahne wurde am Mast aufgezogen, eine zweite auf dem Hinterdeck angebracht.

      Die Reisenden überkam eine neue Lebensfreudigkeit und eine ungewohnte Rührigkeit. Alles, was lebte, erschien auf Deck. Man begann Gepäckstücke heraufzutragen und festzuschnallen.

      Alle diese Vorbereitungen gaben Maryscha die Gewißheit, daß sie nun bald am Ziele ihrer Reise angelangt seien.

      Neue Hoffnung bemächtigte sich ihrer und ihres Vaters, als nun westlich die erste Insel, Sandy-Hok, in Sicht kam und bald darauf eine zweite, mit einem in ihrer Mitte stehenden großen Gebäude. In der Ferne schwebte es wie verdichteter Nebel, eine Rauchwolke oder derartiges; undeutlich verschwommene, gestaltlose Gegenstände, bei deren Anblick eine große Bewegung auf Deck entstand. Fast alle Anwesenden wiesen mit den Händen darauf hin, sprachen lebhaft miteinander, dazwischen pfiff die Dampfpfeife, daß es gellte.

      »Was ist das dort?« frug Lorenz den neben ihm stehenden Kassuben.

      »New-York!« antwortete dieser.

      Nun begannen Rauch und Nebel sich zu teilen, zu zerstieben. Die Umrisse von Häusern, Dächern, Schornsteinen, spitzen Türmen wurden sichtbar und traten immer deutlicher aus dem Dunst hervor. Neben den Türmen tauchten hohe Fabrikschlote auf mit hohen Rauchsäulen darüber, welche hoch oben in der Luft in einzelne Bündel sich auflösten. Unten vor der Stadt ein Wald von Masten, von deren äußersten Spitzen tausende bunte Wimpel wehten, von der leichten Brise anmutig hin und her bewegt.

      Immer näher kam das Schiff der schönen Stadt, welche aus dem Meere emporzutauchen schien. Lorenz war von einer überwältigenden Freude erfüllt. Er hatte die Mütze abgenommen und starrte mit offenem Munde und trunkenen Augen die Wunder der neuen Welt an. Endlich rief er seine Tochter:

      »Marysch!«

      Das Mädchen, welches ebenso staunte, wie der Vater über das, was um sie her vorging, jauchzte freudig auf:

      »O Gott, wie schön!«

      »Siehe doch, sieh!« rief der Alte.

      »Ich sehe ja.«

      »Wunderst Du Dich nicht?«

      »Freilich wundere ich mich,« entgegnete Maryscha.

      Lorenz aber konnte kaum noch den Augenblick erwarten, wo er das Land betreten würde. Während er die grünen Ufer zu beiden Seiten des Hafens und die dunklen Parkbäume betrachtete, sprach er weiter:

      »Ei nun, das gefällt mir. Wenn man uns gleich hier in der Nähe der Stadt ein Stück Land mit Wiese geben wollte, so hätten wir es nicht weit zu Markte. Wenn Jahrmarkt ist, könnte man bequem Kuh und Schwein zum Verkauf hineinführen. Man merkt, das Land ist sehr bevölkert. In Polen war ich ein Bauer, hier werde ich Herr sein.«

      Das Schiff fuhr soeben an dem wunderschönen National-Park vorüber, welcher sich seiner ganzen Länge nach am Hafen hinzog. Als Lorenz die herrlichen Baumgruppen und Bosketts erblickte, fuhr er fort in seinem Selbstgespräch:

      »Ich werde den gnädigen Herrn Kommissar von der Regierung ganz demütig bitten und sehr geschickte Worte suchen, damit er mir wenigstens

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