Maika bleibt bei mir. Elin Ørjasæter

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Maika bleibt bei mir - Elin Ørjasæter

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brauchen doch einen Tannenbaum«, protestierte Papa.

      »Ja, aber nicht diesen da«, entgegnete Urgroßvater.

      Wir gaben es auf und gingen ohne Weihnachtsbaum nach Hause.

      Um sechs Uhr am nächsten Morgen wachte ich davon auf, dass Mons mit Stiefeln und Jacke im Flur lärmte.

      »Willst du raus?«, fragte ich.

      Er zog mich zum Küchenfenster. »Guck mal«, flüsterte er.

      Da draußen stand Urgroßvater mit Pudelmütze und dicker Jacke. Er hatte eine Axt in der Hand.

      »Wohin wollt ihr?«, fragte ich.

      Aber Mons war schon halb die Treppe hinunter.

      Als wir anderen am Frühstückstisch saßen, schleppten Mons und Urgroßvater einen großen, schneenassen Baum an.

      »Wo habt ihr den denn gefällt?«, fragte Papa verblüfft.

      »Hinter der Schule«, berichtete Mons begeistert. »Ich freue mich schon drauf, wenn ich meinen Kumpels den Baumstumpf zeigen kann. Wir dürfen da nicht mal einen Ast abreißen, der Rektor sagt immer, das ist ein geschütztes Waldgebiet!«

      »Vielleicht zeigst du dann lieber nicht den Baumstumpf«, sagte Mama trocken.

      »Du Idiot«, flüsterte ich wütend Mons zu, »du hast doch gewusst, dass das nicht erlaubt ist. Du hast Urgroßvater angeschmiert!«

      »Urgroßvater hat gefragt, ob der Wald der Gemeinde gehört«, murmelte er. »Und ich habe nur Ja gesagt.«

      »Der Gemeinde! Dann könnte ja jeder da Bäume fällen!«

      »Ich kann schließlich nicht alles wissen«, erwiderte Mons aufbrausend. »Jetzt ist es jedenfalls zu spät.«

      »Da müsste mehr geschlagen werden«, sagte Urgroßvater.

      Glücklicherweise hatte er nicht gehört, was Mons und ich geflüstert hatten. »Die Bäume stehen da viel zu dicht.«

      »Da hörst du’s«, flüsterte Mons triumphierend. »Urgroßvater hat davon garantiert mehr Ahnung als der Rektor, oder?«

      3.

      Heiligabend waren Eva und Mai-Katrin unten bei Julie, denn Eva wollte nicht, dass ihre Mutter ausgerechnet an diesem Abend traurig sein sollte. Wir anderen aßen Schweinerippen und kleine Würstchen. Aber so richtig konnten wir uns nicht entspannen, Papa hatte dauernd irgendwas auf dem Flur zu tun, um zu lauschen, zu hören, ob aus Julies Wohnung irgendwelcher Krach ertönte.

      »Mir gefällt das nicht«, sagte er immer wieder, »mir gefällt das nicht, dass die Kinder da unten allein mit Julie und diesem Kinderprügler sind.«

      Vor dem Essen lasen wir im Weihnachtsevangelium. Das hatten wir noch nie gemacht, aber ganz offensichtlich wollte Papa, dass Urgroßvater glauben sollte, das wäre bei uns eine alte Weihnachtstradition. »Und es war kein Raum für sie in der Herberge«, las Papa.

      »Ist es nicht bald zu Ende?«, stöhnte Mons. »Können wir nicht bald anfangen zu essen?«

      Danach packten wir unsere Weihnachtsgeschenke aus. Julie war am Vormittag mit einer Flasche Whisky für Mama und Papa da gewesen sowie einer Stange Zigaretten, die sie ihnen unbedingt aufdrängen wollte, obwohl doch beide nicht rauchten. Die lag jetzt auf dem Tisch und erinnerte an die beiden, die nicht bei uns waren.

      Wir bekamen keine tollen Weihnachtsgeschenke. Von Mama und Papa gab es nur Skistiefel, so was Langweiliges, Skistiefel zu Weihnachten, die sie sowieso kaufen mussten. Aber ich sagte nichts. Mons dagegen war reichlich sauer. Er hatte einen Wollpullover und eine neue Federtasche bekommen. Von Urgroßvater bekamen wir jeder ein glänzendes Zehnkronenstück, es war wohl schon eine Weile her, dass er das letzte Mal in einem Geschäft gewesen war. Zum Schluss gab es da noch die Pakete von Jeanette, Mamas Schwester, die den Abend retteten. Ich bekam einen Kassettenrekorder von ihr, Mons einen unglaublich tollen Hockeyhelm und Mikkel ein Piratenschiff!

      Tante Jeanette verschenkt immer so viel. Alle Kinder ihrer Familie schenken allen Kindern unserer Familie etwas, was für uns bedeutet, dass wir uns reichlich anstrengen müssen es ihnen gleich zu tun. Von meinen Cousinen Katharina und Madeleine bekam ich ein Tagebuch mit Schloss und einem Blumenstrauß drauf und einen schicken Pullover.

      »Mein Gott«, sagte Mama, »das muss ja mehrere Tausender gekostet haben. Und ich habe ihnen nur so billige Sachen geschenkt! Von Mikkel nur Weihnachtsschmuck, den er im Kindergarten gebastelt hat!«

      »Na, Jeanettes Kinder brauchen ja auch keine teuren Weihnachtsgeschenke«, sagte Papa, »die haben doch jetzt schon mehr als genug.«

      Da kamen Eva und Mai-Katrin reingestolpert. Eva sah traurig aus, Mai-Katrin einfach nur müde. Wir legten die Kleinen schlafen und gingen wieder ins Wohnzimmer. Urgroßvater sortierte das Geschenkpapier, strich es glatt und legte es in einem ordentlichen Stapel zusammen. Dann löste er alle Knoten des benutzten Geschenkbands und wickelte es zu kleinen Knäueln zusammen. Zum Schluss machte er aus allen Grußkarten einen Stapel und gab ihn Papa.

      »Wollen wir den Whisky aufmachen?«, fragte Mama fröhlich. »Wo wir alle so schön zusammensitzen und es uns gemütlich machen!«

      Wir blieben noch lange auf, guckten ein wenig Fernsehen und versuchten, die Welt da draußen zu vergessen. Urgroßvater erzählte, wie Papa klein war und was er alles für Blödsinn machte. Einmal hatte er den Stall in Brand gesteckt. Ein anderes Mal, als er mit Urgroßvater auf einem anderen Hof half, die Kartoffeln zu ernten und in Tonnen zu lagern, nahm Papa alle leeren Tonnen und rollte sie die steilen Abhänge zum Fluss hinunter, sodass die Erwachsenen mehrere Stunden brauchten, sie wieder zu bergen und hinaufzubekommen.

      »Warum bist du Papas Pflegevater geworden, nachdem seine Eltern gestorben waren?«, fragte ich. »Hast du ihn schon vorher gekannt?«

      »Du kannst es ruhig erzählen«, sagte Papa.

      »Es wollte ihn niemand anders haben«, sagte Urgroßvater.

      »Warum denn nicht?«

      »Na ja, sie wussten ja, wie unmöglich er war. Aber ich dachte, dass es bestimmt nicht schlecht wäre mit ein bisschen Gesellschaft, und da ich allein war, konnte er ja nicht so furchtbar viel Unheil anrichten.«

      »Nicht nur deshalb wollte mich keiner«, ergänzte Papa leise, »auch weil ich meinen Vater fand, als er sich erschossen hat. Ich war mit meinem toten Vater mehrere Tage lang allein, weil er den Riegel von innen vorgeschoben hatte, bevor er sich erschoss, und ich schaffte es nicht, ihn aufzukriegen.«

      »Hat er denn gar nicht an dich gedacht?«, fragte ich.

      Mir erschien es undenkbar, dass jemand erst die Türen verschloss und sich dann umbrachte – allein mit einem kleinen Kind im Haus. Er hätte doch zumindest Papa erst zu Urgroßvater geben können, dann nach Hause gehen und sich erschießen können!

      »Manche Menschen denken eben nicht so weit und schon gar nicht an andere«, sagte Papa. »Auch wenn sie Kinder haben. Aber alle im Bjortal glaubten, ein Kind, das mit einem Selbstmörder so lange allein gewesen war, das würde Unglück bringen.«

      »Hast du das auch geglaubt, Urgroßvater?«

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