Das Gemeindekind. Marie von Ebner-Eschenbach
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Das erste Glockenzeichen klang vom Turme, der Zudrang der Bevölkerung zur Kirche hatte aufgehört, hastend eilten nur noch einzelne Verspätete die Dorfstrasse herab. — Ganz zuletzt, ganz allein erschien Vinska und erregte alsbald die Aufmerksamkeit des Hofstaates, der den Peter umgab.
„Sakerment!“ hiess es, „die Vinska! was die heute schön ist! — Wie prächtig ihr das Kopftüchel steht. — Es ist von Seide, meiner Treu’! — Und wenigstens sechs Röcke hat sie an. — Und wie bescheiden sie tut! o du Heilige du!“
Jeder hatte ein boshaftes Wörtlein für sie, oder ein galantes, das viel beschämender war als das boshafte. Nur der Peter schwieg und sah aufmerksam einem Vogel nach, der auf dem Eckpfeiler des Pfarrhofgartens gesessen hatte und sich in die Luft schwang bei Vinskas Nahen. Sie war bald in der Menge verschwunden, die vor der Kirchenpforte stand. Die Burschen folgten ihr nach, und Pavel hörte den einen von ihnen zum andern sagen:
„Ich möcht nur wissen, wie der Virgil, der alte krummbeinige Lump, zu der hübschen Tochter gekommen ist?“
Der Angeredete verzog den Mund: „Und ich möcht wissen,“ erwiderte er, „wie die Tochter des Lumpen zu den schönen Kleidern gekommen ist?“
Dass sie schöne Kleider trug, hatte Pavel nicht bemerkt, und von der ganzen Vinska nichts gesehen, als ihre Füsse oder eigentlich ihre Stiefel. — Eine halb verwischte Erinnerung an eine grosse Freude, an ein bitteres Leid, war beim Anblick derselben in ihm aufgetaucht, und er sann ihr nach in seiner langsamen und hartnäckigen Weise.
Wenn ihn die Vinska schalt, schloss sie meistens mit den Worten: „Und dumm bist du, dumm, der Dümmste im ganzen Dorf.“ Vor kurzem noch hatte diese Versicherung ihn kühl gelassen, seit einiger Zeit begann sie; ihn zu verdriessen; ihm schwante, dass etwas Wahres an ihr sei. „Dumm,“ murmelte er und griff sich an die Stirn, — „aber so dumm doch nicht, wie sie glaubt, die Spitzbübin.“ So dumm doch nicht, dass aus seinem Gedächtnis alles verschwunden wäre, was sich vor einem Jahre begeben hatte, und dass er nicht vermöchte, einen Verdacht, der damals schon flüchtig in ihm aufgestiegen war, von neuem, und jetzt kräftiger zu fassen.
Das Hochamt dauerte lange; die Sonne stand im Scheitel, als Gesang und Musik endlich verstummten, und die Beter sich so eilig aus der Kirche herausdrängten, wie sie sich hineingedrängt hatten. Pavels Augen suchten nur die eine und vermochten nicht, sie zu entdecken, auch dann nicht, als das Gewühl sich zerstreute, und ein Teil der Leute die Marktbuden umringte, der andere in leicht übersehbarem Zug die Dorfstrasse hinabschritt. Vinska war wie verschwunden, und der Peter mit ihr.
Nach der Messe wäre es Pavels Sache gewesen, heimzukehren und mit Virgil das Vieh auf die Weide zu treiben; aber das fiel ihm heute nicht ein. Er vagabundierte in der nächsten Umgebung auf den Feldern und im Walde herum und suchte die Vinska. Bis zur Wut gesteigerte Ungeduld kochte in seiner Brust, und quälend nagte der Hunger an ihm.
Gegend Abend kam er zum Wirtshaus, vor dem es lustig zuging. Betrunkene sangen, Buben balgten sich, kleine Mädchen hüpften im Reigen beim Schall des Zymbals und der Fiedeln, der durch die offene Tür herausgellte. Neugierige hielten die Fenster der Tanzstube besetzt, beobachteten, was drinnen vorging und machten ihre Glossen darüber. Nach langem Kampf eroberte Pavel einen Platz zwischen ihnen und sah die Paare sich drehen im dunstigen, spärlich erleuchteten Gemach. Ganz nahe am Fenster, an dem er stand, schwenkte Peter die Vinska auf einem Fleck herum. Er war schon stark angetrunken, hatte die Jacke und mit ihr seine vornehme Zurückhaltung abgelegt. Der Peter in Hemdärmeln war ein so ordinärer Kumpan, wie der erste beste Knecht.
Die Vinska in seinen Armen schlug züchtig die Augen zu Boden und erglühte feuerrot bei den Reden, die er ihr zuflüsterte, und den Küssen, die er ihr raubte.
Über dem Anblick vergass Pavel seinen Hunger — seine Ungeduld wich einem rasenden, ihm unbegreiflichen Schmerz; wie in den Fängen eines Raubtieres wand er sich und brachte ein entsetzliches Röcheln hervor.
Die umstehenden erschraken; man stiess ihn hinweg, und er wehrte sich nicht; er schlich davon, durch die langsam hereinbrechende Dunkelheit, seinem unheimlichen Daheim zu. Aus der Hütte schimmerte ihm der ungewohnte Glanz einer brennenden Kerze entgegen. Sie war auf dem Fenstersimse aufgepflanzt, und in dem von ihrem Schein erhellten Stübchen sassen Virgil und sein Weib auf der Bank, und zwischen ihnen stand ein Teller mit Braten und eine Flasche Branntwein. Die beiden Alten sassen und tranken und waren guter Dinge. Pavel beobachtete sie eine Weile vom Feldrain aus, stieg dann zum Hohlweg hinab, den die Dorfstrasse bei den letzten Schaluppen bildete, und streckte sich auf die ausgebrochenen Ziegelstufen des Eingangs, den Kopf an die Tür gelehnt.
So musste, im Fall, dass er etwa einschlief, die Vinska ihn wecken, wenn sie ins Haus wollte.
Stunden vergingen; der matte Glanz, den das Licht im Fenster auf den Weg geworfen hatte, erlosch. Das treibende Gewölk am Himmel, der umschleierte Mond mahnten Pavel an die Winternacht, in der er ausgezogen war, Milada aus der Gefangenschaft zu befreien.
Was für ein Narr war er damals gewesen — was für ein Narr geblieben bis auf den heutigen Tag!
Von dem einzigen, der ihn nie beschimpft, dem einzigen, der ihm je eine Wohltat erwiesen, hatte er sich in blödsinnigem Misstrauen abgewendet, und war der Betrügerin unterwürfig gewesen, die ihn zum besten hatte, ihn bestahl und verlachte . . . O — ganz gewiss verlachte und verspottete! Sie spottete so gern, die Vinska, und so leicht bei viel geringeren Veranlassungen, als seine grenzenlose Dummheit eine war.
„Was tu ich ihr?“ fragte er sich plötzlich und antwortete auch sogleich: „Ich schlag sie tot.“
Keine Überlegung: — was dann? Nicht die geringste Angst, nicht der kleinste Skrupel, nicht einmal ein Zweifel an der Ausführbarkeit seines rasch gefassten Vorsatzes.
Er stand auf, öffnete leise die Tür, holte den Knüttel Virgils vom Herde und legte ihn neben sich, nachdem er seinen früheren Platz und seine frühere Stellung wieder eingenommen hatte.
Nun kam eine grosse Ruhe über ihn; die Augen fielen ihm zu, und er schlief ein. Nicht tief, so halb und halb, wie er zu schlafen pflegte, wenn er die Nacht mit den Pferden draussen auf der Hutweide zubrachte.
Der Morgen dämmerte, als leichte Schritte, die sich näherten, ihn weckten. Sie war’s. Heiter bequem und friedlich mit ihrer unschuldig-pfiffigen Miene kam sie einher, zögerte ein wenig, als sie Pavel daliegen sah, betrat dann ganz sachte die Stufen und beugte sich, um ihn zur Seite zu schieben. — Da packte er sie am Fuss und riss sie zu Boden. Sie fiel ohne einen Laut, erhob sich aber sogleich auf die Kniee, während er nach dem Knüttel griff . . . Ein Blick in des Jungen Gesicht, und aus dem ihrigen wich alles Blut.
„Pavel,“ stammelte sie, „was fällt dir ein — du wirst mich doch nicht schlagen?“
Sie stemmte beide Arme gegen seine Brust und sah angstvoll und bebend zu ihm empor.
„Schlagen nicht — erschlagen werd ich dich,“ antwortete er dumpf und wandte den Kopf, um ihren flehenden Augen auszuweichen. „Aber zieh zuvor meine Stiefel aus.“
„Jesus Marta! wegen der Stiefel willst mich umbringen?“
„Ja, ich will.“
„Schrei nicht so . . . die Alten wachen auf,“
„Alles