Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann
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»Zipangu«, berichtet er, »ist eine große Insel des Morgenlands und liegt von den Küsten von Mangi in hoher See fünfzehnhundert Miglien entfernt. Die Einwohner sind weiß, sehr schön, von angenehmem Wesen. Sie beten Götzen an und werden von ihrem eigenen König regiert. Gold haben sie in allergrößtem Überfluß, man findet es, wo man will. Der Palast des Herrschers ist ganz mit Goldplatten belegt, wie wir unsere Häuser und Kirchen mit Blei decken. Auch die Säle und Zimmer sind mit Gold getäfelt, die Fenster mit Gold verziert. Es gibt Perlen in Menge, Edelsteine so viel, daß man sich nur danach zu bücken hat, und der Stadt Quinsay, die ihren Namen, Stadt des Himmels, von ihrer Herrlichkeit hat, kommt keine in der Welt gleich. Man findet dort Vergnügungen von einer Art, daß man im Paradies zu sein wähnt. Die Frauenzimmer in allen Straßen sind so verführerisch, daß ich gar nicht davon sprechen will, und sie haben solche Erfahrungen in den Liebkosungen, daß, wer einmal davon genossen hat, sie nie mehr vergessen kann.«
Den tiefsten Eindruck jedoch machte Cambalu auf ihn (es scheint das heutige Peking zu sein), die Residenz des Groß-Chans in der Provinz Cathajo. Die Wunder der Gärten und der zwölfhundert Marmorbrücken, die Pracht des Hofstaats, der unermeßliche Reichtum des Fürsten, die Feste, die Aufzüge, die Schönheit der Landschaft verleiten ihn zu trunkener Uberschwenglichkeit. Es ist die pure Aufschneiderei, natürlich. Aber man darf annehmen, daß er alles glaubte, was er erzählte, schon deswegen, weil er keine Konfrontation mit den Tatsachen und der Wirklichkeit zu fürchten hatte. Da er das Vertrauen seiner Zuhörer und Leser besaß, log er längst nicht mehr, wenn er Niegesehenes darstellte, sondern hielt in heiterer Selbstberauschung an Erdichtetem fest. Und seine Welt zweifelte nicht im geringsten an ihm. Seine Reisebeschreibung galt als geographisches und ethnographisches Werk für unanfechtbar, die Namen der Reiche und Städte, die er besucht oder von denen er gehört, wurden nach seinen Angaben in die Landkarten aufgenommen, und erst durch seine Mitteilungen gewannen sie im Bewußtsein Europas ihre Existenz. Zweihundert Jahre später waren sie es dann, auf die Columbus immer wieder verwies, in ihnen wurzelte der sonderbare donquichotische Irrtum seines Lebens, sie waren ihm offenbarende Kundgebungen und zugleich die wissenschaftlichen Quellen, auf die er sich stützte.
Nicht sie allein allerdings. Einer von seinen Kronzeugen war der sogenannte Sir John Mandeville, eine mysteriöse Persönlichkeit, von der man nicht weiß, ob ein Phantast, ein Schelm oder ein Gelehrter dahintersteckte. Doch nahm man ihn nicht minder ernst als Marco Polo, wenn er von dem Reich Abthas fabelte und einer Provinz Buonavison, die niemand zu betreten wagt, weil sie ganz mit Nebel bedeckt ist, aus dem nur manchmal Pferdewiehern und Hähnekrähen klingt; von einem ungeheuren Sandmeer, worin Fische leben; vom Tal der Gefahren am Strome Frison, das voll von Dämonen und bösen Geistern ist; von der Insel Fracan, deren Bewohner sich vom Duft wilder Äpfel ernähren. Polos Schilderungen sind armselig gegen seine, zumal der Groß-Chan wird zu einer orientalischen Märchenfigur; dreimalhunderttausend Sklaven stehen im Dienst des Palastes, zehntausend Elefanten und zehntausend Adler hausen in goldenen Räumen, überhaupt wird mit Gold und Edelsteinen in diesen Schilderungen so verschwenderisch, so schwelgerisch umgegangen, daß man es dem Verfasser noch ehrenvoll anrechnet, wenn von gewöhnlichen Dingen die Rede ist.
Hier wirft sich die Frage auf, inwieweit die Menschen verschiedener Epochen fähig sind, Wirklichkeit zu erfassen. Dieses Vermögen ist im fünfzehnten Jahrhundert ein vollständig anderes als im zwanzigsten. Es gibt eine Faktentreue, die den kindlicheren Zeiten abgeht, der Begriff der Wahrheit ist so unscharf wie die Verpflichtung zur Wahrheit unverbindlich. Zwischen dem Gegenstand und dem Bild von ihm ist noch zu viel leerer Raum, den die Phantasie mit vorgelebten Anschauungen, mit Angst-, Wunsch-und Traumvorstellungen füllt und der sich erst bei zunehmendem Wissen und geordneter Erfahrung verengert. Das Auge Keplers ist nicht mehr das des Ptolemäus, das des modernen Bakteriologen ein ganz anders beschaffenes Organ als das des mittelalterlichen Alchimisten. Solange die Menschheit von der Natur und vom Leben Wunder verlangt, weil Gott nur im Wunder geglaubt wird, fühlen sich diejenigen, die tiefer in unerforschtes Wesen dringen, beinahe gezwungen, Wunder zu berichten, um sich zu legitimieren. Und berichten sie sie, so werden sie ihnen auch schon zugeschrieben, der Schwindler wird zum Hexenmeister, ohne daß ers recht merkt.
Zweites Kapitel.
Frühe Wege
Einige Bewunderer des Columbus versichern, er habe seine Studien auf der Universität Padua gemacht, sie haben sogar mit vielem Fleiß die Namen der Professoren herausgefunden, deren Collegia er besucht haben soll. Es gibt keinen Beweis dafür. Wahrscheinlich wurde ihm nur der primitivste Unterricht zuteil, und obgleich er sich mündlich und schriftlich oftmals auf die klassischen Autoren beruft, kann man annehmen, daß er sie nicht in der Ursprache gelesen, vielleicht überhaupt nicht gelesen, sondern nur von ihnen gehört und das ihm wichtig Dünkende sich eingeprägt hat. Sicherlich war sein Geist von Anfang an auf den einen einzigen Zweck gerichtet und hat alles hierzu Dienliche mit manischer Gier aufgesogen.
Das Jahr seiner Geburt ist unbestimmt. Er selbst nennt es nicht, die Angaben anderer schwanken zwischen 1436 und 46. Schon im Alter von vierzehn Jahren soll er zur See gegangen sein, doch über den Erlebnissen seiner Jugend liegt unaufhellbares Dunkel. Er schweigt so beharrlich darüber, daß man auf den Gedanken kommen muß, er habe triftigen Grund, zu schweigen. Er muß sich viel herumgetrieben, viel Mißgeschick erlitten, hart ums Brot gerungen haben, denn es wird berichtet, daß er in verhältnismäßig jungen Jahren schon grauhaarig gewesen sei.
Einmal erzählt er eine sonst nirgends verbürgte Geschichte aus dem Dämmer seines Aufstiegs, wonach er im Dienste des Königs René von Neapel eine Fahrt nach Tunis unternommen habe, um eine feindliche Galeere abzufangen. Da die Besatzung mutlos geworden sei und die Rückkehr gefordert habe, sei er zum Schein darauf eingegangen, habe jedoch heimlich die Richtung des Kompasses verändert und so die Mannschaft getäuscht. Bei Sonnenaufgang habe sich das Schiff am Kap von Cartagena befunden, während alle glaubten, es segle nach Marseille.
Davon abgesehen, daß ein historischer Anhalt für diese Begebenheit fehlt, verrät sie durch die Analogie mit einem ähnlichen Betrug während der ersten Fahrt nach Westindien, daß ihr die charakteristischen Züge erst durch eine spätere Erfahrung verliehen worden sind. Wann immer er sich über seine eigene Vergangenheit äußert, geschieht es in der Absicht, Heldenmythos zu erzeugen. Er wußte nie, wer er war, er wußte nur, wer er sein wollte.
Ebenso unerwiesen ist die Seereise nach Island und ins Polargebiet, die er unternommen zu haben behauptet, und zwar im Monat Februar des betreffenden Jahres. Seine Berichte darüber sind sehr wenig glaubwürdig, die geographischen und klimatischen Angaben falsch, auch wo sie nicht schlechthin absurd sind wie die, daß die Flut in jenen Breiten täglich sechsundzwanzig Klafter hoch steige. Nicht als ob er löge, er lügt nicht, er sieht es so oder er will es so gesehen haben, jedes Gewesene und ihm Geschehene wird ihm Roman,