Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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und den Ort, von dem er ausgegangen.

      Und noch eines. Columbus war sicherlich unfähig, die Kategorien des Denkens und Handelns in seinem Geist zu sondern und fürchtete, in dieser nicht für voll genommen zu werden, wenn er sich nicht auch jene anmaßte.

      Toscanelli, Astronom und Geograph von Rang, hatte durch Beobachtung der Sonnenhöhe vermittels des Astrolabiums (der damaligen Form des Quadranten) die Sonnen-und Mondtafeln und die Angabe der Polhöhe verschiedener Orte verbessert und in Florenz ein sogenanntes Gnomon errichtet. Als Nicolo dei Conti um 1450 von seiner Reise nach Indien und Java zurückkehrte und sich vom Papst Eugen IV, der zu der Zeit in Florenz residierte, den Ablaß erbat, weil er dort im Orient, schiffbrüchig und mit dem Tod bedroht, zum Islam übergetreten war, erstattete er auch dem großen Gelehrten ausführlichen Bericht, auf Grund dessen Toscanelli zu der Überzeugung gelangte, die Länge von Europa und Asien mache etwa zwei Drittel des Erdballs aus, d. h. zweihundertdreißig Breitengrade, daß also der Westweg über den Ozean nach Indien nur einhundertdreißig Grade betragen könne. Ein folgenschwerer Irrtum, der das ganze Leben und die ganze Ideenstruktur des Columbus beeinflußte. Ohne diesen Irrtum hätte er niemals den Mut zu seinem Unternehmen gefunden.

      Aber Toscanelli konnte sich auf Marinus von Tyrus, den Vorgänger des Ptolemäus, berufen und entlehnte auch den Netzentwurf einer oblongen Plattkarte von ihm, eine bis dahin unbekannte Art der Darstellung, die später Martin Behaim für seinen Globus benutzte. Die Karte, die er zeichnete, machte gewaltiges Aufsehen, an solchen Neuerungen hingen so viele Interessen wie heute etwa an einer umwälzenden chemischen Entdeckung. Nichts natürlicher, als daß der Gelehrte sein Werk zuerst jenem Fürsten schickte, der im Mittelpunkt aller nautischen Bestrebungen stand, dessen Schiffe bis zu den gefürchteten unüberschrittenen Grenzen die Meere schon seit Jahrzehnten berühren, dem König von Portugal. Er wandte sich, wie üblich, an den Beichtvater des Königs, setzte ihm in einem bemerkenswerten Brief die geographischen Verhältnisse, wie er sie auffaßte, klar auseinander und empfahl den Seeweg nach Indien mit den dringlichsten Argumenten. Er schrieb am 24. Juni 1474: »Ihr erseht aus meiner Karte, daß die Entfernung von Lissabon nach der Stadt Quinsay sechsundzwanzig Espacios, d. h. dreitausend neunhundertdreißig Meilen beträgt, die von der Insel Antilia bis nach Zipangu (d. i. Japan) fünfzehnhundert Meilen. Ich wünsche, daß die Karte Seiner Hoheit gefallen möge und bitte, Deroselben zu sagen, daß ich bereit und willens bin, in jeder Sache, zu der ich befohlen werde, zu Diensten zu sein.«

      König Alfonso, sei es, daß es ihm an Geld mangelte, sei es, daß seine Interessen nach anderer Richtung gingen, zeigte keine Neigung für das Projekt, und so blieb der Brief des Florentiners jahrelang unbeachtet in den Archiven liegen. Columbus, der schwerlich vor dem Jahr 1477 nach Portugal gekommen ist, mag auf irgendeine Art davon erfahren haben. Man kannte seine Leidenschaft, wie hätte er sie seiner Umgebung verhehlen können, man wußte, daß er mit seinem glühenden Traum eingesperrt war wie mit einem Tiger im Käfig, an dessen Gittern er verzweifelt rüttelte, man wird ihm gesagt haben: Toscanelli hat dem König ein wichtiges Geheimnis mitgeteilt, sieh zu, daß du das Dokument zu lesen bekommst. Das wurde nun sein einziges Trachten. Wahrscheinlich hatte ihn seine Frau mit Personen aus den Hofkreisen in Verbindung gebracht, durch deren Einfluß er die monumentale Epistel des Italieners lesen durfte, vielleicht nur in der Abschrift. Und was er las, muß ihn mit Blitzgewalt getroffen haben. Es unterliegt kaum einem Zweifel, daß diese Stunde sein Schicksal gebar. Von da an vermochte er, was er wollte, zu formulieren.

      Er schrieb nun seinerseits an Toscanelli, und zwar so, als wisse er nichts von dessen Brief an den König, kenne auch die Erdkarte nicht, die der Florentiner an den Beichtvater geschickt. Toscanelli antwortete mit großer Bereitwilligkeit, schickte eine neue Karte, gab genaue Auskunft und schloß mit den Worten: »Seid versichert, daß Ihr mächtige Königreiche finden werdet und daß es den Fürsten, die dort herrschen, Freude bereiten wird, wenn Ihr ihnen den Weg öffnet, mit der Christenheit in Verbindung zu treten und in unserer Religion und allen unsern Wissenschaften unterrichtet zu werden.«

      Columbus, sehr empfänglich für jede Art der Weissagung, schloß diese tief in sein Herz und machte sie zu seinem Glaubensartikel. Durch die Ermunterung eines solchen Mannes fühlte er sich gleichsam zum Ritter geschlagen, und nun kam alles darauf an, das Ohr des Königs zu gewinnen. Es war König Joan, dem er sein Anliegen vortrug, Alfonso war 1481 gestorben. Was er hierfür an Material, an Nachweisen, an Argumentation gesammelt, in mühevoller Arbeit vermutlich, entzieht sich unserer Kenntnis, mit alleiniger Ausnahme des Umstandes, daß er es ängstlich vermied, sich auf Toscanelli zu beziehen. Alle seine Gewährsmänner führte er ins Feld, Dichter, Philosophen, Astrologen, die biblischen Propheten, hier wie später in Spanien, den Namen Toscanelli nannte er nicht, obschon es nahelag, dem gefeierten Manne seine Reverenz zu erweisen und sich selbst dadurch zu beglaubigen.

      Sonderbar. Dabei steht fest, daß er bei der ersten Ausfahrt, zehn Jahre nachher, Toscanellis Karte an Bord hatte und nach ihr die Fahrtrichtung bestimmte. Wenn es nicht schlechtes Gewissen war, was ihn zu dieser Felonie bewog, war es vielleicht die Angst vor dem Zeitgenossen, die am Anfang begründeter Hoffnung seine dunkle und dämonisch befangene Seele erfüllte; denn wie Toscanelli ihn zur Tat befeuert, mochte es auch einem andern geschehen sein, der ihm zuvorkommen konnte. War er der erste nicht, so war er verloren und verworfen.

      Die ganze Briefgeschichte hat unter den bedingungslosen Anhängern des Columbus von jeher eine Art Panik verursacht. Um ihn von dem Vorwurf der Unredlichkeit und Hinterhältigkeit zu reinigen, wurden die Daten verschoben, der Wortlaut verschleiert oder bewußt mißdeutet, der Sachverhalt vertuscht. Alles, um glauben zu machen, er habe sich aus eigenem Antrieb an Toscanelli gewendet und nicht erst auf Schleich-und Umwegen Einblick in den jahrealten Brief an König Alfonso erhalten. Sein Brief an den Florentiner kann aus sehr stichhaltigen Gründen kaum vor dem Jahre 1479 abgefaßt sein; schon dies heißt seiner Geduld viel zumuten, denn da König Alfonso den Vorschlag Toscanellis abgelehnt hatte und ein zweiter Versuch zwecklos gewesen wäre, dauerte es ohnehin zwei Jahre, bis sich seine Aussichten durch den Tod Alfonsos verbesserten. In der Zwischenzeit wird er wohl sein Projekt den Regierungen von Frankreich und England und dem Rat von Genua vorgelegt haben, um überall abgewiesen oder vertröstet zu werden.

      Aber darum handelt es sich nicht. Um Ehrenrettung nicht, um Bemäntelung und Schönfärberei nicht. Hier soll kein Postament errichtet, sondern ein Mensch gezeigt werden, dessen eigentümliche, mit Finsterkeit vermengte Größe erst hinter der traditionellen Historie erkennbar wird. Alle die moralischen Anfechtbarkeiten gehören wie die geschichtlichen Unsicherheiten in das Kapitel ›Nebulosa de Colón‹, das ein moderner spanischer Schriftsteller mit einer Fülle von Stoff ausgestattet hat. Wären die Bemühungen der Kirche, diese Nebel zu zerstreuen, um einen neuen Heiligen zu inthronisieren, nur im entferntesten geglückt, so hätte die Figur damit ihren tragischen Glanz und ihre ergreifende Problematik eingebüßt.

      Mit dem Tag, wo ihm König Joan Audienz gewährt, tritt Columbus in das volle Licht der Geschichte.

      Er verheißt goldene Berge, im wahrsten Sinn. Er verspricht das Paradies, ebenfalls ohne Metapher, denn es zu finden, will er ausziehen. Er zeigt sich als ein Mann von erstaunlicher Beredsamkeit, und obschon ihm diese Gabe angeboren ist, kann man sich doch vorstellen, bis zu welchem Fieber, zu welch hinreißender Gewalt sie sich steigert, da er zum erstenmal Gelegenheit hat, an so hohem Ort von seiner Idee, von seiner Mission zu sprechen und alles vom Nein oder Ja des Fürsten abhängt.

      Der König schwankt. Er läßt den Vorschlag von seinen Räten prüfen. Die Räte erklären Columbus für einen hirnlosen Schwätzer, der mit seinen Phantastereien von der Insel Zipangu keinen Glauben verdiene. Hätte der Monarch noch irgend Neigung gehabt, sich weiter in Verhandlungen einzulassen, so mußte er durch die geradezu unsinnigen Forderungen des Mannes abgeschreckt werden. (An eben diesen Forderungen hielt er auch später den spanischen Hoheiten gegenüber mit eisenstirniger Hartnäckigkeit fest, ohne zu begreifen, daß sie ihn in den Augen jedes vernünftig und billig Denkenden zum Verrückten stempelten.)

      Eine zweifelhafte

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